Jndeß mußt' ich mich schon mit hinauf- schleppen lassen, und fand dort den Titular- Rath hustend auf einem Bette sitzen. Jch sah mich nun in dem Stübchen um, wo Alles ein ärmliches beklommenes Ansehen hatte, und konnte mich nicht enthalten, aus- zubrechen: "Leute, wie habt Jhr gewirth- schaftet! Was habe ich gehört? und was sehe ich jetzt selbst? Seyd Jhr's wohl werth, daß Euch das Glück einmal so freundlich angelacht hat?" -- Beide weinten und sag- ten: Dann würde ich auch gehört haben, wie sie von ihren besten Freunden betrogen worden. -- "Nun warlich doch nicht ohne Eure Schuld!" gab ich ihnen unmuthig zur Antwort -- "Hättet Jhr die Nase nicht stets höher getragen, als Euch zukam; hättet Jhr Gott still und demüthig gedankt, daß er Euch einen ruhigen Nothhafen für Eure alten Tage eröffnet; hättet Jhr fein zu Rathe gehalten, was mehr, als genüglich, für Euer Nothwendiges ausreichte"... Und wie denn der derbe Levite weiter lautete, den ich glaubte, ihnen lesen zu müssen.
Sie gestanden ihr Unrecht ein und ge- lobten Besserung, wenn ich ihnen nur jetzt behülflich seyn wollte, einen Brief an ihre Tochter zu besorgen, worinn sie derselben ihre äusserste Noth vorstellig machen und sie um eine letzte Unterstützung bitten wollten.
Jndeß mußt’ ich mich ſchon mit hinauf- ſchleppen laſſen, und fand dort den Titular- Rath huſtend auf einem Bette ſitzen. Jch ſah mich nun in dem Stuͤbchen um, wo Alles ein aͤrmliches beklommenes Anſehen hatte, und konnte mich nicht enthalten, aus- zubrechen: „Leute, wie habt Jhr gewirth- ſchaftet! Was habe ich gehoͤrt? und was ſehe ich jetzt ſelbſt? Seyd Jhr’s wohl werth, daß Euch das Gluͤck einmal ſo freundlich angelacht hat?‟ — Beide weinten und ſag- ten: Dann wuͤrde ich auch gehoͤrt haben, wie ſie von ihren beſten Freunden betrogen worden. — „Nun warlich doch nicht ohne Eure Schuld!‟ gab ich ihnen unmuthig zur Antwort — „Haͤttet Jhr die Naſe nicht ſtets hoͤher getragen, als Euch zukam; haͤttet Jhr Gott ſtill und demuͤthig gedankt, daß er Euch einen ruhigen Nothhafen fuͤr Eure alten Tage eroͤffnet; haͤttet Jhr fein zu Rathe gehalten, was mehr, als genuͤglich, fuͤr Euer Nothwendiges ausreichte‟… Und wie denn der derbe Levite weiter lautete, den ich glaubte, ihnen leſen zu muͤſſen.
Sie geſtanden ihr Unrecht ein und ge- lobten Beſſerung, wenn ich ihnen nur jetzt behuͤlflich ſeyn wollte, einen Brief an ihre Tochter zu beſorgen, worinn ſie derſelben ihre aͤuſſerſte Noth vorſtellig machen und ſie um eine letzte Unterſtuͤtzung bitten wollten.
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Jndeß mußt’ ich mich ſchon mit hinauf-
ſchleppen laſſen, und fand dort den Titular-
Rath huſtend auf einem Bette ſitzen. Jch
ſah mich nun in dem Stuͤbchen um, wo
Alles ein aͤrmliches beklommenes Anſehen
hatte, und konnte mich nicht enthalten, aus-
zubrechen: „Leute, wie habt Jhr gewirth-
ſchaftet! Was habe ich gehoͤrt? und was
ſehe ich jetzt ſelbſt? Seyd Jhr’s wohl werth,
daß Euch das Gluͤck einmal ſo freundlich
angelacht hat?‟ — Beide weinten und ſag-
ten: Dann wuͤrde ich auch gehoͤrt haben,
wie ſie von ihren beſten Freunden betrogen
worden. — „Nun warlich doch nicht ohne
Eure Schuld!‟ gab ich ihnen unmuthig zur
Antwort — „Haͤttet Jhr die Naſe nicht
ſtets hoͤher getragen, als Euch zukam; haͤttet
Jhr Gott ſtill und demuͤthig gedankt, daß er
Euch einen ruhigen Nothhafen fuͤr Eure
alten Tage eroͤffnet; haͤttet Jhr fein zu Rathe
gehalten, was mehr, als genuͤglich, fuͤr Euer
Nothwendiges ausreichte‟… Und wie
denn der derbe Levite weiter lautete, den
ich glaubte, ihnen leſen zu muͤſſen.
Sie geſtanden ihr Unrecht ein und ge-
lobten Beſſerung, wenn ich ihnen nur jetzt
behuͤlflich ſeyn wollte, einen Brief an ihre
Tochter zu beſorgen, worinn ſie derſelben
ihre aͤuſſerſte Noth vorſtellig machen und ſie
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/142>, abgerufen am 17.07.2024.
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