spriet zu klettern. Sobald die nächste Welle sich weit genug zurückzöge, wollte ich's zu- erst versuchen, mich schnell an einem Tau (deren dort überall eine Menge zerrissen hieng) hinabzulassen; und wenn ich festen Boden unter mir fühlte, sollten sie, auf mein gegebenes Zeichen, beim nächsten Ab- lauf einer Woge, meinem Beispiele getrost nachfolgen. Auch den Uebrigen schrie ich zu, sich auf diesem Wege zu retten: allein das Sturm- und Wellengebrause war zu mächtig, als daß ich hätte können verstanden werden.
Unser Wagstück gelang nach Wunsch; wir kamen glücklich an Land und fielen alle Drei voll Entzücken auf unsre Kniee, um dem göttlichen Erretter unsern Dank darzu- bringen. Durchnäßt bis auf die Haut und erstarrt vor Frost, war indeß hier nicht der Ort und die Zeit, lange hinter uns zu sehen. Vielmehr wanderten wir unverzüglich auf eine Feuerbaake zu, die hier auf dem Schel- ling zum Besten der Seefahrenden unterhal- ten wird, und deren Licht wir etwa 2000 Schritte von uns flimmern sahen. Wohl hundert Mal fielen wir in der dicken Fin- sterniß und auf den unebenen Sanddünen über unsere eigenen Füße: aber innig froh, dem tosenden Meere entronnen zu seyn, hät-
ſpriet zu klettern. Sobald die naͤchſte Welle ſich weit genug zuruͤckzoͤge, wollte ich’s zu- erſt verſuchen, mich ſchnell an einem Tau (deren dort uͤberall eine Menge zerriſſen hieng) hinabzulaſſen; und wenn ich feſten Boden unter mir fuͤhlte, ſollten ſie, auf mein gegebenes Zeichen, beim naͤchſten Ab- lauf einer Woge, meinem Beiſpiele getroſt nachfolgen. Auch den Uebrigen ſchrie ich zu, ſich auf dieſem Wege zu retten: allein das Sturm- und Wellengebrauſe war zu maͤchtig, als daß ich haͤtte koͤnnen verſtanden werden.
Unſer Wagſtuͤck gelang nach Wunſch; wir kamen gluͤcklich an Land und fielen alle Drei voll Entzuͤcken auf unſre Kniee, um dem goͤttlichen Erretter unſern Dank darzu- bringen. Durchnaͤßt bis auf die Haut und erſtarrt vor Froſt, war indeß hier nicht der Ort und die Zeit, lange hinter uns zu ſehen. Vielmehr wanderten wir unverzuͤglich auf eine Feuerbaake zu, die hier auf dem Schel- ling zum Beſten der Seefahrenden unterhal- ten wird, und deren Licht wir etwa 2000 Schritte von uns flimmern ſahen. Wohl hundert Mal fielen wir in der dicken Fin- ſterniß und auf den unebenen Sandduͤnen uͤber unſere eigenen Fuͤße: aber innig froh, dem toſenden Meere entronnen zu ſeyn, haͤt-
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ſpriet zu klettern. Sobald die naͤchſte Welle
ſich weit genug zuruͤckzoͤge, wollte ich’s zu-
erſt verſuchen, mich ſchnell an einem Tau
(deren dort uͤberall eine Menge zerriſſen
hieng) hinabzulaſſen; und wenn ich feſten
Boden unter mir fuͤhlte, ſollten ſie, auf
mein gegebenes Zeichen, beim naͤchſten Ab-
lauf einer Woge, meinem Beiſpiele getroſt
nachfolgen. Auch den Uebrigen ſchrie ich
zu, ſich auf dieſem Wege zu retten: allein
das Sturm- und Wellengebrauſe war zu
maͤchtig, als daß ich haͤtte koͤnnen verſtanden
werden.
Unſer Wagſtuͤck gelang nach Wunſch;
wir kamen gluͤcklich an Land und fielen alle
Drei voll Entzuͤcken auf unſre Kniee, um
dem goͤttlichen Erretter unſern Dank darzu-
bringen. Durchnaͤßt bis auf die Haut und
erſtarrt vor Froſt, war indeß hier nicht der
Ort und die Zeit, lange hinter uns zu ſehen.
Vielmehr wanderten wir unverzuͤglich auf
eine Feuerbaake zu, die hier auf dem Schel-
ling zum Beſten der Seefahrenden unterhal-
ten wird, und deren Licht wir etwa 2000
Schritte von uns flimmern ſahen. Wohl
hundert Mal fielen wir in der dicken Fin-
ſterniß und auf den unebenen Sandduͤnen
uͤber unſere eigenen Fuͤße: aber innig froh,
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/84>, abgerufen am 16.02.2025.
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