Es ergab sich, daß die Mehrzahl unsrer menschenfreundlichen Retter aus österreichi- schen Soldaten bestand, welche hier, seitdem ihre Kaiserinn, Maria Theresia, sich auch mit England im Kriege befand, zu Deckung der Küste postirt standen und etwa alle zweitau- send Schritte ein Wachthaus am Strande hatten. Jn ein solches Gebäude ward nun auch unser armer zerschmetterter Oheim von uns, mit Hülfe der Soldaten, an Armen und Beinen getragen, und man deckte ihn mit Allem, was sich an trocknen Kleidungsstücken vorfand, sorgfältig zu, um ihn wieder zu erwärmen. Neben ihm, zu beiden Seiten, lagen sein Sohn und ich, hielten ihn umfaßt und nahmen ihm von Zeit zu Zeit das ge- ronnene Blut aus dem Munde.
So mochte er etwa eine Stunde gelegen haben, als er, zum Erstenmale wieder nach seinem unglücklichen Fall, den Mund zu der hervorgestöhnten Frage öffnete: "O Gott! Jst mir noch zu helfen?" -- Das war Musik in meinen Ohren! Mit freudiger Hast erwie- derte ich ihm: "Ja, ja, lieber Vatersbruder! Gott kann -- Gott wird Euch noch wieder helfen. Wir sind am Lande." -- "So bringt mich denn zu einem Doctor; -- war seine kaum verständliche Antwort; und ich konnte ihn damit trösten, daß bereits nach demselben geschickt sey.
3. Bändchen. (4)
Es ergab ſich, daß die Mehrzahl unſrer menſchenfreundlichen Retter aus oͤſterreichi- ſchen Soldaten beſtand, welche hier, ſeitdem ihre Kaiſerinn, Maria Thereſia, ſich auch mit England im Kriege befand, zu Deckung der Kuͤſte poſtirt ſtanden und etwa alle zweitau- ſend Schritte ein Wachthaus am Strande hatten. Jn ein ſolches Gebaͤude ward nun auch unſer armer zerſchmetterter Oheim von uns, mit Huͤlfe der Soldaten, an Armen und Beinen getragen, und man deckte ihn mit Allem, was ſich an trocknen Kleidungsſtuͤcken vorfand, ſorgfaͤltig zu, um ihn wieder zu erwaͤrmen. Neben ihm, zu beiden Seiten, lagen ſein Sohn und ich, hielten ihn umfaßt und nahmen ihm von Zeit zu Zeit das ge- ronnene Blut aus dem Munde.
So mochte er etwa eine Stunde gelegen haben, als er, zum Erſtenmale wieder nach ſeinem ungluͤcklichen Fall, den Mund zu der hervorgeſtoͤhnten Frage oͤffnete: „O Gott! Jſt mir noch zu helfen?‟ — Das war Muſik in meinen Ohren! Mit freudiger Haſt erwie- derte ich ihm: „Ja, ja, lieber Vatersbruder! Gott kann — Gott wird Euch noch wieder helfen. Wir ſind am Lande.‟ — „So bringt mich denn zu einem Doctor; — war ſeine kaum verſtaͤndliche Antwort; und ich konnte ihn damit troͤſten, daß bereits nach demſelben geſchickt ſey.
3. Bändchen. (4)
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Es ergab ſich, daß die Mehrzahl unſrer
menſchenfreundlichen Retter aus oͤſterreichi-
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ihre Kaiſerinn, Maria Thereſia, ſich auch mit
England im Kriege befand, zu Deckung der
Kuͤſte poſtirt ſtanden und etwa alle zweitau-
ſend Schritte ein Wachthaus am Strande
hatten. Jn ein ſolches Gebaͤude ward nun
auch unſer armer zerſchmetterter Oheim von
uns, mit Huͤlfe der Soldaten, an Armen und
Beinen getragen, und man deckte ihn mit
Allem, was ſich an trocknen Kleidungsſtuͤcken
vorfand, ſorgfaͤltig zu, um ihn wieder zu
erwaͤrmen. Neben ihm, zu beiden Seiten,
lagen ſein Sohn und ich, hielten ihn umfaßt
und nahmen ihm von Zeit zu Zeit das ge-
ronnene Blut aus dem Munde.
So mochte er etwa eine Stunde gelegen
haben, als er, zum Erſtenmale wieder nach
ſeinem ungluͤcklichen Fall, den Mund zu der
hervorgeſtoͤhnten Frage oͤffnete: „O Gott! Jſt
mir noch zu helfen?‟ — Das war Muſik
in meinen Ohren! Mit freudiger Haſt erwie-
derte ich ihm: „Ja, ja, lieber Vatersbruder!
Gott kann — Gott wird Euch noch wieder
helfen. Wir ſind am Lande.‟ — „So bringt
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3. Bändchen. (4)
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/65>, abgerufen am 16.02.2025.
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