Schulkamerad, David Spärke, eines hiesigen Schiffers Sohn, leistete mir Gesellschaft. Diesen beredete ich, den Ritt auf dem Kir- chendache mitzumachen. Jch zuerst stieg aus der Luke auf das Gerüst und von da auf die Farst des Daches. David Spärke kam mir zuversichtlich nach, da er mich so flink und sicher darauf handthieren sah.
Allein kaum war er mir sechs oder acht Fuß nachgeritten, so überfiel ihn plötzlich eine Angst, daß er erbärmlich zu schreien begann, sich zu beiden Seiten an den kup- fernen Reifen festklammerte und nicht vor- nicht rückwärts kommen konnte. Jch kehrte mich nach ihm um, kam dicht zu ihm heran; und hier saßen wir nun Beide, sahen uns betrübt in's Gesicht und wußten nicht, wo aus noch ein. Er wagte es nicht, sich um- zudrehen: ich konnte an ihm nicht vorbei- kommen. Dabei hörte er nicht auf, in seiner Seelenangst aus vollem Halse zu schreien. Auf der Straße gab es einen Zusammen- lauf, und bald auch Hülfe. Denn der alte Glöckner mit seinem Sohne und mehreren Andern kamen auf den Thurm und zogen meinen Freund David mit umgeworfenen Leinen rücklings nach dem Gerüst und so vollends in die Luke hinein. Jch aber folgte,
wie
Schulkamerad, David Spaͤrke, eines hieſigen Schiffers Sohn, leiſtete mir Geſellſchaft. Dieſen beredete ich, den Ritt auf dem Kir- chendache mitzumachen. Jch zuerſt ſtieg aus der Luke auf das Geruͤſt und von da auf die Farſt des Daches. David Spaͤrke kam mir zuverſichtlich nach, da er mich ſo flink und ſicher darauf handthieren ſah.
Allein kaum war er mir ſechs oder acht Fuß nachgeritten, ſo uͤberfiel ihn ploͤtzlich eine Angſt, daß er erbaͤrmlich zu ſchreien begann, ſich zu beiden Seiten an den kup- fernen Reifen feſtklammerte und nicht vor- nicht ruͤckwaͤrts kommen konnte. Jch kehrte mich nach ihm um, kam dicht zu ihm heran; und hier ſaßen wir nun Beide, ſahen uns betruͤbt in’s Geſicht und wußten nicht, wo aus noch ein. Er wagte es nicht, ſich um- zudrehen: ich konnte an ihm nicht vorbei- kommen. Dabei hoͤrte er nicht auf, in ſeiner Seelenangſt aus vollem Halſe zu ſchreien. Auf der Straße gab es einen Zuſammen- lauf, und bald auch Huͤlfe. Denn der alte Gloͤckner mit ſeinem Sohne und mehreren Andern kamen auf den Thurm und zogen meinen Freund David mit umgeworfenen Leinen ruͤcklings nach dem Geruͤſt und ſo vollends in die Luke hinein. Jch aber folgte,
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Schulkamerad, David Spaͤrke, eines hieſigen
Schiffers Sohn, leiſtete mir Geſellſchaft.
Dieſen beredete ich, den Ritt auf dem Kir-
chendache mitzumachen. Jch zuerſt ſtieg aus
der Luke auf das Geruͤſt und von da auf
die Farſt des Daches. David Spaͤrke kam
mir zuverſichtlich nach, da er mich ſo flink
und ſicher darauf handthieren ſah.
Allein kaum war er mir ſechs oder acht
Fuß nachgeritten, ſo uͤberfiel ihn ploͤtzlich
eine Angſt, daß er erbaͤrmlich zu ſchreien
begann, ſich zu beiden Seiten an den kup-
fernen Reifen feſtklammerte und nicht vor-
nicht ruͤckwaͤrts kommen konnte. Jch kehrte
mich nach ihm um, kam dicht zu ihm heran;
und hier ſaßen wir nun Beide, ſahen uns
betruͤbt in’s Geſicht und wußten nicht, wo
aus noch ein. Er wagte es nicht, ſich um-
zudrehen: ich konnte an ihm nicht vorbei-
kommen. Dabei hoͤrte er nicht auf, in ſeiner
Seelenangſt aus vollem Halſe zu ſchreien.
Auf der Straße gab es einen Zuſammen-
lauf, und bald auch Huͤlfe. Denn der alte
Gloͤckner mit ſeinem Sohne und mehreren
Andern kamen auf den Thurm und zogen
meinen Freund David mit umgeworfenen
Leinen ruͤcklings nach dem Geruͤſt und ſo
vollends in die Luke hinein. Jch aber folgte,
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/32>, abgerufen am 16.07.2024.
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