Einige von unsern Matrosen, die sich oben im Mastkorbe befanden, wollten zu gleicher Zeit bemerkt haben, daß auf dem Verdeck des fremden Schiffes menschliche Leichname ausgestreckt umher gelegen.
Diese vermeyntliche Entdeckung war gleich- wohl zu unstatthaft, um bei uns Uebrigen Glauben zu finden. Was sollte diesen Un- glücklichen den Tod gebracht haben? Das Schiff schien unversehrt und gut; kein Feind hatte mit Feuer und Schwerdt darauf ge- hauset. An ansteckende Seuchen, an Ver- hungern und Verdürsten war eben so wenig zu denken: denn die frischen Lebensmittel, die wir wahrgenommen, bewiesen genüg- lich, daß das Schiff erst ganz vor kur- zem einen europäischen Hafen verlassen ha- ben müsse. Genug indeß, daß uns hier ein Räthsel aufgegeben war, dessen Lösung uns eben so eifrig, als fruchtlos beschäf- tigte!
Jnzwischen legten wir um und hielten diesmal unsern Strich noch näher an das verödete Schiff, ohne es an unserm wieder- hohlten und durchdringenden Holla! Holla! fehlen zu lassen. Jmmer noch sahen wir kein lebendiges Wesen, und hörten keine Stimme, als das Bellen des Hundes, der
1. Bändchen. (17)
Einige von unſern Matroſen, die ſich oben im Maſtkorbe befanden, wollten zu gleicher Zeit bemerkt haben, daß auf dem Verdeck des fremden Schiffes menſchliche Leichname ausgeſtreckt umher gelegen.
Dieſe vermeyntliche Entdeckung war gleich- wohl zu unſtatthaft, um bei uns Uebrigen Glauben zu finden. Was ſollte dieſen Un- gluͤcklichen den Tod gebracht haben? Das Schiff ſchien unverſehrt und gut; kein Feind hatte mit Feuer und Schwerdt darauf ge- hauſet. An anſteckende Seuchen, an Ver- hungern und Verduͤrſten war eben ſo wenig zu denken: denn die friſchen Lebensmittel, die wir wahrgenommen, bewieſen genuͤg- lich, daß das Schiff erſt ganz vor kur- zem einen europaͤiſchen Hafen verlaſſen ha- ben muͤſſe. Genug indeß, daß uns hier ein Raͤthſel aufgegeben war, deſſen Loͤſung uns eben ſo eifrig, als fruchtlos beſchaͤf- tigte!
Jnzwiſchen legten wir um und hielten diesmal unſern Strich noch naͤher an das veroͤdete Schiff, ohne es an unſerm wieder- hohlten und durchdringenden Holla! Holla! fehlen zu laſſen. Jmmer noch ſahen wir kein lebendiges Weſen, und hoͤrten keine Stimme, als das Bellen des Hundes, der
1. Bändchen. (17)
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Einige von unſern Matroſen, die ſich oben
im Maſtkorbe befanden, wollten zu gleicher
Zeit bemerkt haben, daß auf dem Verdeck
des fremden Schiffes menſchliche Leichname
ausgeſtreckt umher gelegen.
Dieſe vermeyntliche Entdeckung war gleich-
wohl zu unſtatthaft, um bei uns Uebrigen
Glauben zu finden. Was ſollte dieſen Un-
gluͤcklichen den Tod gebracht haben? Das
Schiff ſchien unverſehrt und gut; kein Feind
hatte mit Feuer und Schwerdt darauf ge-
hauſet. An anſteckende Seuchen, an Ver-
hungern und Verduͤrſten war eben ſo wenig
zu denken: denn die friſchen Lebensmittel,
die wir wahrgenommen, bewieſen genuͤg-
lich, daß das Schiff erſt ganz vor kur-
zem einen europaͤiſchen Hafen verlaſſen ha-
ben muͤſſe. Genug indeß, daß uns hier
ein Raͤthſel aufgegeben war, deſſen Loͤſung
uns eben ſo eifrig, als fruchtlos beſchaͤf-
tigte!
Jnzwiſchen legten wir um und hielten
diesmal unſern Strich noch naͤher an das
veroͤdete Schiff, ohne es an unſerm wieder-
hohlten und durchdringenden Holla! Holla!
fehlen zu laſſen. Jmmer noch ſahen wir
kein lebendiges Weſen, und hoͤrten keine
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1. Bändchen. (17)
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/273>, abgerufen am 18.07.2024.
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