Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821.

Bild:
<< vorherige Seite

Bei manchen andern Kindereien war ich
auch ein großer Liebhaber von Tauben.
Von meinem Frühstücks-Gelde sparte ich
mir so viel am Munde ab, daß ich mir ein
Paar kaufen konnte. Das war nun eine
Herrlichkeit! Da aber meine Groß-Eltern
unter dem Posthause, bei Herrn Frauendorf,
wohnten, so gab es hier keine Gelegenheit,
die Tauben ausfliegen zu lassen. Jch machte
daher mit dem sogenannten "Postjungen,"
Johann Witte (nachherigem Post- und Banco-
Director in Memel) einen Accord, daß er
meine Tauben zu sich nehmen, ich aber täg-
lich eine gewisse Portion Erbsen zum Füttern
hergeben sollte, die ich meinen Groß-Eltern
leider! heimlich in den Taschen wegtrug.
Die Tauben vermehrten sich: hinfolglich auch
die Futter-Erbsen.

Bei all diesen Spielereien ward (wie-
derum leider!) die Schule versäumt: ich
hatte weder Lust noch Zeit dazu. Wenn
meine Großmutter meynte, ich säße fleissig
auf der Schulbank, so schiffte ich in Rinn-
steinen und Teichen, oder ich verkehrte mit
meinen Tauben; und das machte mir so viel
zu schaffen, daß ich weder bei Tage, noch
bei Nacht, davor ruhen konnte. Diese un-
ruhige Geschäftigkeit hat mich auch nach-
mals in mein männliches Wesen, bei weit

Bei manchen andern Kindereien war ich
auch ein großer Liebhaber von Tauben.
Von meinem Fruͤhſtuͤcks-Gelde ſparte ich
mir ſo viel am Munde ab, daß ich mir ein
Paar kaufen konnte. Das war nun eine
Herrlichkeit! Da aber meine Groß-Eltern
unter dem Poſthauſe, bei Herrn Frauendorf,
wohnten, ſo gab es hier keine Gelegenheit,
die Tauben ausfliegen zu laſſen. Jch machte
daher mit dem ſogenannten „Poſtjungen,‟
Johann Witte (nachherigem Poſt- und Banco-
Director in Memel) einen Accord, daß er
meine Tauben zu ſich nehmen, ich aber taͤg-
lich eine gewiſſe Portion Erbſen zum Fuͤttern
hergeben ſollte, die ich meinen Groß-Eltern
leider! heimlich in den Taſchen wegtrug.
Die Tauben vermehrten ſich: hinfolglich auch
die Futter-Erbſen.

Bei all dieſen Spielereien ward (wie-
derum leider!) die Schule verſaͤumt: ich
hatte weder Luſt noch Zeit dazu. Wenn
meine Großmutter meynte, ich ſaͤße fleiſſig
auf der Schulbank, ſo ſchiffte ich in Rinn-
ſteinen und Teichen, oder ich verkehrte mit
meinen Tauben; und das machte mir ſo viel
zu ſchaffen, daß ich weder bei Tage, noch
bei Nacht, davor ruhen konnte. Dieſe un-
ruhige Geſchaͤftigkeit hat mich auch nach-
mals in mein maͤnnliches Weſen, bei weit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0026" n="10"/>
        <p>Bei manchen andern Kindereien war ich<lb/>
auch ein großer Liebhaber von Tauben.<lb/>
Von meinem Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;cks-Gelde &#x017F;parte ich<lb/>
mir &#x017F;o viel am Munde ab, daß ich mir ein<lb/>
Paar kaufen konnte. Das war nun eine<lb/>
Herrlichkeit! Da aber meine Groß-Eltern<lb/>
unter dem Po&#x017F;thau&#x017F;e, bei Herrn Frauendorf,<lb/>
wohnten, &#x017F;o gab es hier keine Gelegenheit,<lb/>
die Tauben ausfliegen zu la&#x017F;&#x017F;en. Jch machte<lb/>
daher mit dem &#x017F;ogenannten &#x201E;Po&#x017F;tjungen,&#x201F;<lb/>
Johann Witte (nachherigem Po&#x017F;t- und Banco-<lb/>
Director in Memel) einen Accord, daß er<lb/>
meine Tauben zu &#x017F;ich nehmen, ich aber ta&#x0364;g-<lb/>
lich eine gewi&#x017F;&#x017F;e Portion Erb&#x017F;en zum Fu&#x0364;ttern<lb/>
hergeben &#x017F;ollte, die ich meinen Groß-Eltern<lb/>
leider! heimlich in den Ta&#x017F;chen wegtrug.<lb/>
Die Tauben vermehrten &#x017F;ich: hinfolglich auch<lb/>
die Futter-Erb&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Bei all die&#x017F;en Spielereien ward (wie-<lb/>
derum leider!) die Schule ver&#x017F;a&#x0364;umt: ich<lb/>
hatte weder Lu&#x017F;t noch Zeit dazu. Wenn<lb/>
meine Großmutter meynte, ich &#x017F;a&#x0364;ße flei&#x017F;&#x017F;ig<lb/>
auf der Schulbank, &#x017F;o &#x017F;chiffte ich in Rinn-<lb/>
&#x017F;teinen und Teichen, oder ich verkehrte mit<lb/>
meinen Tauben; und das machte mir &#x017F;o viel<lb/>
zu &#x017F;chaffen, daß ich weder bei Tage, noch<lb/>
bei Nacht, davor ruhen konnte. Die&#x017F;e un-<lb/>
ruhige Ge&#x017F;cha&#x0364;ftigkeit hat mich auch nach-<lb/>
mals in mein ma&#x0364;nnliches We&#x017F;en, bei weit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0026] Bei manchen andern Kindereien war ich auch ein großer Liebhaber von Tauben. Von meinem Fruͤhſtuͤcks-Gelde ſparte ich mir ſo viel am Munde ab, daß ich mir ein Paar kaufen konnte. Das war nun eine Herrlichkeit! Da aber meine Groß-Eltern unter dem Poſthauſe, bei Herrn Frauendorf, wohnten, ſo gab es hier keine Gelegenheit, die Tauben ausfliegen zu laſſen. Jch machte daher mit dem ſogenannten „Poſtjungen,‟ Johann Witte (nachherigem Poſt- und Banco- Director in Memel) einen Accord, daß er meine Tauben zu ſich nehmen, ich aber taͤg- lich eine gewiſſe Portion Erbſen zum Fuͤttern hergeben ſollte, die ich meinen Groß-Eltern leider! heimlich in den Taſchen wegtrug. Die Tauben vermehrten ſich: hinfolglich auch die Futter-Erbſen. Bei all dieſen Spielereien ward (wie- derum leider!) die Schule verſaͤumt: ich hatte weder Luſt noch Zeit dazu. Wenn meine Großmutter meynte, ich ſaͤße fleiſſig auf der Schulbank, ſo ſchiffte ich in Rinn- ſteinen und Teichen, oder ich verkehrte mit meinen Tauben; und das machte mir ſo viel zu ſchaffen, daß ich weder bei Tage, noch bei Nacht, davor ruhen konnte. Dieſe un- ruhige Geſchaͤftigkeit hat mich auch nach- mals in mein maͤnnliches Weſen, bei weit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/26
Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/26>, abgerufen am 23.11.2024.