vor seiner Abfahrt nicht nach uns Flüchtlinge visitirt werden dürfte? Jnzwischen brach der Tag an, und am Borde ward es über unsern Köpfen lebendig. Wir unterschieden deutlich, wie man Anstalten machte, in See zu gehen; ja, einwenig später spürten wir, mit steigen- der Freude, das Schiff in Bewegung, dann das Anschlagen der Brandung an die Sei- tenborde und endlich auch den Abgang des Lootsen, der uns zum Hafen hinaus begleitet hatte. Da auch der Wind gut seyn mußte, so glaubten wir, nach Verlauf von noch einer Stunde, weit genug von Colberg, das uns ein Schreckensort geworden, entfernt zu seyn, um uns wieder an's Tageslicht hervorwagen zu dürfen. Wir setzten also die Leiter an, schoben die große Luke auf, und traten wohl- gemuthet auf das Verdeck hervor.
Das Erstaunen des Schiffers über unsern unerwarteten Anblick kannte keine Grenzen: aber auch von seinem Volke mußten selbst die, welche vielleicht um das Geheimniß wußten, sich billig verwundern, daß wir uns, ihnen unter den Händen, in unsrer Anzahl verdop- pelt hatten. Eines besonders freundlichen Empfangs hatten wir uns indeß nicht zu rühmen. Der Kapitain, der nur seine schwere Verantwortlichkeit erwog, tobte, wie besessen. "Könnt' ich nur gegen den Wind ankommen,"
vor ſeiner Abfahrt nicht nach uns Fluͤchtlinge viſitirt werden duͤrfte? Jnzwiſchen brach der Tag an, und am Borde ward es uͤber unſern Koͤpfen lebendig. Wir unterſchieden deutlich, wie man Anſtalten machte, in See zu gehen; ja, einwenig ſpaͤter ſpuͤrten wir, mit ſteigen- der Freude, das Schiff in Bewegung, dann das Anſchlagen der Brandung an die Sei- tenborde und endlich auch den Abgang des Lootſen, der uns zum Hafen hinaus begleitet hatte. Da auch der Wind gut ſeyn mußte, ſo glaubten wir, nach Verlauf von noch einer Stunde, weit genug von Colberg, das uns ein Schreckensort geworden, entfernt zu ſeyn, um uns wieder an’s Tageslicht hervorwagen zu duͤrfen. Wir ſetzten alſo die Leiter an, ſchoben die große Luke auf, und traten wohl- gemuthet auf das Verdeck hervor.
Das Erſtaunen des Schiffers uͤber unſern unerwarteten Anblick kannte keine Grenzen: aber auch von ſeinem Volke mußten ſelbſt die, welche vielleicht um das Geheimniß wußten, ſich billig verwundern, daß wir uns, ihnen unter den Haͤnden, in unſrer Anzahl verdop- pelt hatten. Eines beſonders freundlichen Empfangs hatten wir uns indeß nicht zu ruͤhmen. Der Kapitain, der nur ſeine ſchwere Verantwortlichkeit erwog, tobte, wie beſeſſen. „Koͤnnt’ ich nur gegen den Wind ankommen,‟
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vor ſeiner Abfahrt nicht nach uns Fluͤchtlinge
viſitirt werden duͤrfte? Jnzwiſchen brach der
Tag an, und am Borde ward es uͤber unſern
Koͤpfen lebendig. Wir unterſchieden deutlich,
wie man Anſtalten machte, in See zu gehen;
ja, einwenig ſpaͤter ſpuͤrten wir, mit ſteigen-
der Freude, das Schiff in Bewegung, dann
das Anſchlagen der Brandung an die Sei-
tenborde und endlich auch den Abgang des
Lootſen, der uns zum Hafen hinaus begleitet
hatte. Da auch der Wind gut ſeyn mußte,
ſo glaubten wir, nach Verlauf von noch einer
Stunde, weit genug von Colberg, das uns
ein Schreckensort geworden, entfernt zu ſeyn,
um uns wieder an’s Tageslicht hervorwagen
zu duͤrfen. Wir ſetzten alſo die Leiter an,
ſchoben die große Luke auf, und traten wohl-
gemuthet auf das Verdeck hervor.
Das Erſtaunen des Schiffers uͤber unſern
unerwarteten Anblick kannte keine Grenzen:
aber auch von ſeinem Volke mußten ſelbſt die,
welche vielleicht um das Geheimniß wußten,
ſich billig verwundern, daß wir uns, ihnen
unter den Haͤnden, in unſrer Anzahl verdop-
pelt hatten. Eines beſonders freundlichen
Empfangs hatten wir uns indeß nicht zu
ruͤhmen. Der Kapitain, der nur ſeine ſchwere
Verantwortlichkeit erwog, tobte, wie beſeſſen.
„Koͤnnt’ ich nur gegen den Wind ankommen,‟
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/109>, abgerufen am 22.11.2024.
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