Neitzschitz, Georg Christoph von: Sieben-Jährige und gefährliche WeltBeschauung Durch die vornehmsten Drey Theil der Welt Europa/ Asia und Africa. Bautzen, 1666.Siebenjährige Welt-Beschauung. Da hat ein ieglicher sein Bett in seiner Cammer/ ein Tapet/stat deß Tisches/ auf der Erden. Jeden Tag giebt man einem ieglichen zwey Brötlein und sein Geträncke von Gerstenwas- ser gemacht/ und deß Jahrs zwey Kleider. Damit muß er das erste Jahr zu frieden seyn. Das andere Jahr bekommt ein ie- der deß Tags noch einen Asper darzu/ und der wird folgends alle Jahr mit noch einem Asper verbessert. Wollen sie was mehr haben/ so müssen sie es mit Schreiben bey andern verdie- nen/ wenn sie sonst von den Jhrigen keine Zubusse haben. So sind in Constantinopel auch sehr viel Hospitäl für Frembde/ Ar- me und Krancke von grossen Einkommen/ massen denn die Tür- cken es den Christen an Gutthätigkeit und Wercken der Liebe weit zuvor thun. Die Korn und Proviant-Häuser werden stets voll gehalten/ iedoch alle drey Jahr erneuert/ damit der Vorrath frisch bleiben soll/ und stehen solche Kornhäuser an ei- ner Ecke der Stadt gegen Gallata über und sind mit mächtigen eisern Thoren verwahret. Das grosse Zeughauß hat mich auch über die masse verwundert/ und steht flugs am Ufer deß Mee- res. Jst sehr weitläufftig/ massen ich 180. gewölbte Bogen ge- zehlet/ die alle voller Rüstung seyn/ und hat man mich für ge- wiß berichtet/ daß 46000. Arbeiter drinnen zu thun haben/ und gehet doch alles gar ordentlich zu. Das Regiment und Iustiz ist höchlich zu loben. Der Obriste Richter/ so über Tod und Leben zu sprechen hat/ heißt Stambol Cadish. Sonderlich sind die Türcken dem Diebstahl feind und straffen ihn ohn alle Gnade an Leib und Leben. Der Ort da man die Gefangene Christen verkastffet/ ist ihn
Siebenjaͤhrige Welt-Beſchauung. Da hat ein ieglicher ſein Bett in ſeiner Cammer/ ein Tapet/ſtat deß Tiſches/ auf der Erden. Jeden Tag giebt man einem ieglichen zwey Broͤtlein und ſein Getraͤncke von Gerſtenwaſ- ſer gemacht/ und deß Jahrs zwey Kleider. Damit muß er das erſte Jahr zu frieden ſeyn. Das andere Jahr bekommt ein ie- der deß Tags noch einen Aſper darzu/ und der wird folgends alle Jahr mit noch einem Aſper verbeſſert. Wollen ſie was mehr haben/ ſo muͤſſen ſie es mit Schreiben bey andern verdie- nen/ wenn ſie ſonſt von den Jhrigen keine Zubuſſe haben. So ſind in Conſtantinopel auch ſehr viel Hoſpitaͤl fuͤr Frembde/ Ar- me und Krancke von groſſen Einkommen/ maſſen denn die Tuͤr- cken es den Chriſten an Gutthaͤtigkeit und Wercken der Liebe weit zuvor thun. Die Korn und Proviant-Haͤuſer werden ſtets voll gehalten/ iedoch alle drey Jahr erneuert/ damit der Vorrath friſch bleiben ſoll/ und ſtehen ſolche Kornhaͤuſer an ei- ner Ecke der Stadt gegen Gallata uͤber und ſind mit maͤchtigen eiſern Thoren verwahret. Das groſſe Zeughauß hat mich auch uͤber die maſſe verwundert/ und ſteht flugs am Ufer deß Mee- res. Jſt ſehr weitlaͤufftig/ maſſen ich 180. gewoͤlbte Bogen ge- zehlet/ die alle voller Ruͤſtung ſeyn/ und hat man mich fuͤr ge- wiß berichtet/ daß 46000. Arbeiteꝛ drinnen zu thun haben/ und gehet doch alles gar ordentlich zu. Das Regiment und Iuſtiz iſt hoͤchlich zu loben. Der Obriſte Richter/ ſo uͤber Tod und Leben zu ſprechen hat/ heißt Stambol Cadiſh. Sonderlich ſind die Tuͤrcken dem Diebſtahl feind und ſtraffen ihn ohn alle Gnade an Leib und Leben. Der Ort da man die Gefangene Chriſten verkaſtffet/ iſt ihn
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Siebenjaͤhrige Welt-Beſchauung.
Da hat ein ieglicher ſein Bett in ſeiner Cammer/ ein Tapet/
ſtat deß Tiſches/ auf der Erden. Jeden Tag giebt man einem
ieglichen zwey Broͤtlein und ſein Getraͤncke von Gerſtenwaſ-
ſer gemacht/ und deß Jahrs zwey Kleider. Damit muß er das
erſte Jahr zu frieden ſeyn. Das andere Jahr bekommt ein ie-
der deß Tags noch einen Aſper darzu/ und der wird folgends
alle Jahr mit noch einem Aſper verbeſſert. Wollen ſie was
mehr haben/ ſo muͤſſen ſie es mit Schreiben bey andern verdie-
nen/ wenn ſie ſonſt von den Jhrigen keine Zubuſſe haben. So
ſind in Conſtantinopel auch ſehr viel Hoſpitaͤl fuͤr Frembde/ Ar-
me und Krancke von groſſen Einkommen/ maſſen denn die Tuͤr-
cken es den Chriſten an Gutthaͤtigkeit und Wercken der Liebe
weit zuvor thun. Die Korn und Proviant-Haͤuſer werden
ſtets voll gehalten/ iedoch alle drey Jahr erneuert/ damit der
Vorrath friſch bleiben ſoll/ und ſtehen ſolche Kornhaͤuſer an ei-
ner Ecke der Stadt gegen Gallata uͤber und ſind mit maͤchtigen
eiſern Thoren verwahret. Das groſſe Zeughauß hat mich auch
uͤber die maſſe verwundert/ und ſteht flugs am Ufer deß Mee-
res. Jſt ſehr weitlaͤufftig/ maſſen ich 180. gewoͤlbte Bogen ge-
zehlet/ die alle voller Ruͤſtung ſeyn/ und hat man mich fuͤr ge-
wiß berichtet/ daß 46000. Arbeiteꝛ drinnen zu thun haben/ und
gehet doch alles gar ordentlich zu. Das Regiment und Iuſtiz iſt
hoͤchlich zu loben. Der Obriſte Richter/ ſo uͤber Tod und Leben
zu ſprechen hat/ heißt Stambol Cadiſh. Sonderlich ſind die
Tuͤrcken dem Diebſtahl feind und ſtraffen ihn ohn alle Gnade
an Leib und Leben.
Der Ort da man die Gefangene Chriſten verkaſtffet/ iſt
eine groſſe Gaſſe/ da denn abſcheulich anzuſehen/ wenn ein
Tuͤrcke einen ſolchen armen Menſchen Manns und Weibs-
Geſchlechtes kauffen will. Er ſihet demſelben in den Mund/ ob
er etwann Mangel an den Zaͤhnen. Er bekuͤcket und befuͤhlet
ihn
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Zitationshilfe: | Neitzschitz, Georg Christoph von: Sieben-Jährige und gefährliche WeltBeschauung Durch die vornehmsten Drey Theil der Welt Europa/ Asia und Africa. Bautzen, 1666. , S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/neitschitz_reise_1666/60>, abgerufen am 07.07.2024. |