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Neickel, Kaspar Friedrich [i. e. Jencquel, Kaspar Friedrich]; Kanold, Johann: Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum, oder Raritäten-Kammern. Leipzig u. a., 1727.

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IV. Theil Anmerckungen
rung und Bedeutung dieses oder jenes Wunder-Dinges: Das Fühlen be-
richtet, ob ein Ding gelind oder rauh, Eis-kalt oder warm, leicht oder schwer,
zu fassen sey: Jn Summa, alle äusserliche Sinnen haben bey der Natur-
Betrachtung ihre Lust und Nutzen. Am allermeisten aber empfindet der
innerliche Mensch, das Gemüth und die Seele, bey dieser Betrachtung die
gröste Freude, das höchste Vergnügen, und die unaussprechlichste Lust.
Diß ist das Centrum, wohin die Empfindung aller äusserlichen Sinne ge-
hen, und daher ist hier die Empfindlichkeit desto grösser, feuriger und voll-
kommner. Warlich, es ist ein sehr grosser Unterscheid zwischen einem Men-
schen, der von dem Wesen und Würckung der Natur einigen Begriff hat,
und zwischen einem solchen, der in derselben gantz unwissend und unkundig ist.
Die heilige Schrifft saget, der natürliche Mensch vernimmt nichts
vom Geiste GOttes, es ist ihm eine Thorheit, und kan es nicht be-
greiffen;
(1. Cor. cap. 2.) und so mag ich hier wohl sagen: Der unwis-
sende Mensch vernimmt nichts von dem himmlischen Vergnügen der Na-
tur-Betrachtung, dahero ist es ihm wohl eine Thorheit, und kan es nicht be-
greiffen, warum man so viel Worte und Wesen davon macht. Man saget
im gemeinen Sprichwort: Er siehet es an, als die Kuhe ein neues
Thor.
Und eben solche Beschaffenheit hat es auch mit den unwissenden
Menschen. Sie sehen an dem Himmel das Licht der Sonnen, des Mondes,
der Sterne; aber diese können bey ihnen nicht die geringste Verwunderung
erwecken, weil sie schon viele Jahre und Tage am Himmel gestanden haben,
und so seyn müssen: Also schauen sie auch auf dem Erdboden das Abfallen
und Wiederhervorkommen an allerley Bäumen und Kräuter, den Unter-
scheid so mancherley tausend Creaturen und dergleichen mehr; aber warum
solten sie sich darum viel verwundern, da doch vergangenen und vor vergan-
genen Winter und Sommer auch das Laub abgefallen, das Kraut verwel-
cket und darnach wieder hervor kommen etc. Die nothwendigen und nützli-
chen Fragen aber, warum, und weßwegen solches geschiehet, von wem sol-
ches alles komme, wozu es sein Absehen und Nutzen habe? sind bey ihnen ent-
weder Thorheiten und unnöthig, oder auch verhast, weil die Beantwortung
und Unterricht davon zu weitläufftig seyn würde. Für solcher Art Men-
schen nützen Musea nicht, sondern der angenehme Anblick göldener Ducaten,
oder schöner silbernen Müntzen hat bey ihnen einen solchen Vorzug, dabey je-
ner gar nicht aufkommen kan. Andre haben noch einen bessern Anblick, der
ihr Hertz über alles erfreuen kan, nemlich der im Glase so schön und roth spie-
lende Wein, die herrlichen Gemählde der Charten-Blätter, und das Don-
nern im Bret-Spiel sind ihnen solche anmuthige Sachen, daß sie nach kei-

nem

IV. Theil Anmerckungen
rung und Bedeutung dieſes oder jenes Wunder-Dinges: Das Fuͤhlen be-
richtet, ob ein Ding gelind oder rauh, Eis-kalt oder warm, leicht oder ſchwer,
zu faſſen ſey: Jn Summa, alle aͤuſſerliche Sinnen haben bey der Natur-
Betrachtung ihre Luſt und Nutzen. Am allermeiſten aber empfindet der
innerliche Menſch, das Gemuͤth und die Seele, bey dieſer Betrachtung die
groͤſte Freude, das hoͤchſte Vergnuͤgen, und die unausſprechlichſte Luſt.
Diß iſt das Centrum, wohin die Empfindung aller aͤuſſerlichen Sinne ge-
hen, und daher iſt hier die Empfindlichkeit deſto groͤſſer, feuriger und voll-
kommner. Warlich, es iſt ein ſehr groſſer Unterſcheid zwiſchen einem Men-
ſchen, der von dem Weſen und Wuͤrckung der Natur einigen Begriff hat,
und zwiſchen einem ſolchen, der in derſelben gantz unwiſſend und unkundig iſt.
Die heilige Schrifft ſaget, der natuͤrliche Menſch vernimmt nichts
vom Geiſte GOttes, es iſt ihm eine Thorheit, und kan es nicht be-
greiffen;
(1. Cor. cap. 2.) und ſo mag ich hier wohl ſagen: Der unwiſ-
ſende Menſch vernimmt nichts von dem himmliſchen Vergnuͤgen der Na-
tur-Betrachtung, dahero iſt es ihm wohl eine Thorheit, und kan es nicht be-
greiffen, warum man ſo viel Worte und Weſen davon macht. Man ſaget
im gemeinen Sprichwort: Er ſiehet es an, als die Kuhe ein neues
Thor.
Und eben ſolche Beſchaffenheit hat es auch mit den unwiſſenden
Menſchen. Sie ſehen an dem Himmel das Licht der Sonnen, des Mondes,
der Sterne; aber dieſe koͤnnen bey ihnen nicht die geringſte Verwunderung
erwecken, weil ſie ſchon viele Jahre und Tage am Himmel geſtanden haben,
und ſo ſeyn muͤſſen: Alſo ſchauen ſie auch auf dem Erdboden das Abfallen
und Wiederhervorkommen an allerley Baͤumen und Kraͤuter, den Unter-
ſcheid ſo mancherley tauſend Creaturen und dergleichen mehr; aber warum
ſolten ſie ſich darum viel verwundern, da doch vergangenen und vor vergan-
genen Winter und Sommer auch das Laub abgefallen, das Kraut verwel-
cket und darnach wieder hervor kommen ꝛc. Die nothwendigen und nuͤtzli-
chen Fragen aber, warum, und weßwegen ſolches geſchiehet, von wem ſol-
ches alles komme, wozu es ſein Abſehen und Nutzen habe? ſind bey ihnen ent-
weder Thorheiten und unnoͤthig, oder auch verhaſt, weil die Beantwortung
und Unterricht davon zu weitlaͤufftig ſeyn wuͤrde. Fuͤr ſolcher Art Men-
ſchen nuͤtzen Muſea nicht, ſondern der angenehme Anblick goͤldener Ducaten,
oder ſchoͤner ſilbernen Muͤntzen hat bey ihnen einen ſolchen Vorzug, dabey je-
ner gar nicht aufkommen kan. Andre haben noch einen beſſern Anblick, der
ihr Hertz uͤber alles erfreuen kan, nemlich der im Glaſe ſo ſchoͤn und roth ſpie-
lende Wein, die herrlichen Gemaͤhlde der Charten-Blaͤtter, und das Don-
nern im Bret-Spiel ſind ihnen ſolche anmuthige Sachen, daß ſie nach kei-

nem
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[448/0476] IV. Theil Anmerckungen rung und Bedeutung dieſes oder jenes Wunder-Dinges: Das Fuͤhlen be- richtet, ob ein Ding gelind oder rauh, Eis-kalt oder warm, leicht oder ſchwer, zu faſſen ſey: Jn Summa, alle aͤuſſerliche Sinnen haben bey der Natur- Betrachtung ihre Luſt und Nutzen. Am allermeiſten aber empfindet der innerliche Menſch, das Gemuͤth und die Seele, bey dieſer Betrachtung die groͤſte Freude, das hoͤchſte Vergnuͤgen, und die unausſprechlichſte Luſt. Diß iſt das Centrum, wohin die Empfindung aller aͤuſſerlichen Sinne ge- hen, und daher iſt hier die Empfindlichkeit deſto groͤſſer, feuriger und voll- kommner. Warlich, es iſt ein ſehr groſſer Unterſcheid zwiſchen einem Men- ſchen, der von dem Weſen und Wuͤrckung der Natur einigen Begriff hat, und zwiſchen einem ſolchen, der in derſelben gantz unwiſſend und unkundig iſt. Die heilige Schrifft ſaget, der natuͤrliche Menſch vernimmt nichts vom Geiſte GOttes, es iſt ihm eine Thorheit, und kan es nicht be- greiffen; (1. Cor. cap. 2.) und ſo mag ich hier wohl ſagen: Der unwiſ- ſende Menſch vernimmt nichts von dem himmliſchen Vergnuͤgen der Na- tur-Betrachtung, dahero iſt es ihm wohl eine Thorheit, und kan es nicht be- greiffen, warum man ſo viel Worte und Weſen davon macht. Man ſaget im gemeinen Sprichwort: Er ſiehet es an, als die Kuhe ein neues Thor. Und eben ſolche Beſchaffenheit hat es auch mit den unwiſſenden Menſchen. Sie ſehen an dem Himmel das Licht der Sonnen, des Mondes, der Sterne; aber dieſe koͤnnen bey ihnen nicht die geringſte Verwunderung erwecken, weil ſie ſchon viele Jahre und Tage am Himmel geſtanden haben, und ſo ſeyn muͤſſen: Alſo ſchauen ſie auch auf dem Erdboden das Abfallen und Wiederhervorkommen an allerley Baͤumen und Kraͤuter, den Unter- ſcheid ſo mancherley tauſend Creaturen und dergleichen mehr; aber warum ſolten ſie ſich darum viel verwundern, da doch vergangenen und vor vergan- genen Winter und Sommer auch das Laub abgefallen, das Kraut verwel- cket und darnach wieder hervor kommen ꝛc. Die nothwendigen und nuͤtzli- chen Fragen aber, warum, und weßwegen ſolches geſchiehet, von wem ſol- ches alles komme, wozu es ſein Abſehen und Nutzen habe? ſind bey ihnen ent- weder Thorheiten und unnoͤthig, oder auch verhaſt, weil die Beantwortung und Unterricht davon zu weitlaͤufftig ſeyn wuͤrde. Fuͤr ſolcher Art Men- ſchen nuͤtzen Muſea nicht, ſondern der angenehme Anblick goͤldener Ducaten, oder ſchoͤner ſilbernen Muͤntzen hat bey ihnen einen ſolchen Vorzug, dabey je- ner gar nicht aufkommen kan. Andre haben noch einen beſſern Anblick, der ihr Hertz uͤber alles erfreuen kan, nemlich der im Glaſe ſo ſchoͤn und roth ſpie- lende Wein, die herrlichen Gemaͤhlde der Charten-Blaͤtter, und das Don- nern im Bret-Spiel ſind ihnen ſolche anmuthige Sachen, daß ſie nach kei- nem

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Zitationshilfe: Neickel, Kaspar Friedrich [i. e. Jencquel, Kaspar Friedrich]; Kanold, Johann: Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum, oder Raritäten-Kammern. Leipzig u. a., 1727, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/neickel_museographia_1727/476>, abgerufen am 22.11.2024.