Stelle zu behaupten, gleichsam zu bejahen wagt); während zugleich ausdrücklich vorausgesetzt wird, dass dies Seinsollende nicht jetzt wirklich ist, ja sogar möglicherweise nie wirklich werden wird. Streben ist mit lust- oder unlustvoller Er- wartung so wenig einerlei, dass vielmehr die Energie des Strebens zur Sicherheit der Erwartung im umgekehrten Ver- hältnis steht und, während die letztere sich bis zur Gewissheit der vollendeten Wirklichkeit steigert, die erstere bis zum Nullpunkt herabsinkt.
Also ist wohl dies eigenartige Bewusstseinsmoment: Setzung eines Objekts als seinsollend, für dermaassen ursprünglich anzu- erkennen, dass vielmehr umgekehrt die Frage aufgeworfen werden muss, ob nicht jenes Eigentümliche der Lust und Unlust, das sie zur Erklärung des Strebens und Widerstrebens tauglich erscheinen liess, nämlich das darin liegende Moment des Bejahens und Verneinens, Annehmens und Ablehnens, auf ein zu Grunde liegendes Streben in jedem Fall zurückweist. Es ist gerade psychologisch sehr einleuchtend, dass Bewegung des Gemüts das Zugrundeliegende, ja die allgemeine Bedingung psychischen Lebens ist (völlige Gleichgültigkeit wäre Tod), und dass in der Lust und Unlust sich dies Moment der Bewegung nur deshalb mehr verbirgt, weil darin unmittelbar nicht die Be- wegung als solche, sondern der jeweilige momentane Ausschlag, gleichsam die momentane Bilanz der Strebungen, nämlich das momentane Uebergewicht der Hemmung oder der Be- hauptung wider sie ins Bewusstsein fällt. In Lust und Unlust also wird der blosse Hoch- und Tiefstand des Gemüts, die blosse Augenblickslage verspürt; während im Streben die Erhebung und Senkung als solche, und zwar als der eignen Tendenz des Bewusstseins (auf Einheit, auf Ueberein- stimmung) entsprechend oder widerstreitend bewusst wird; welches beides übrigens zuletzt derart eins ist, dass im Gefühl der Hemmung oder des nicht gehemmten bezw. die Hemmung überwindenden Sichbehauptens eben jene eigne Tendenz, in verschiedenen Graden der Bestimmtheit, gefühlt wird. Danach läge also ein Moment der Richtung, mithin der Bewegung doch schon dem Gefühl selbst zu Grunde; woraus der Gegensatz
Stelle zu behaupten, gleichsam zu bejahen wagt); während zugleich ausdrücklich vorausgesetzt wird, dass dies Seinsollende nicht jetzt wirklich ist, ja sogar möglicherweise nie wirklich werden wird. Streben ist mit lust- oder unlustvoller Er- wartung so wenig einerlei, dass vielmehr die Energie des Strebens zur Sicherheit der Erwartung im umgekehrten Ver- hältnis steht und, während die letztere sich bis zur Gewissheit der vollendeten Wirklichkeit steigert, die erstere bis zum Nullpunkt herabsinkt.
Also ist wohl dies eigenartige Bewusstseinsmoment: Setzung eines Objekts als seinsollend, für dermaassen ursprünglich anzu- erkennen, dass vielmehr umgekehrt die Frage aufgeworfen werden muss, ob nicht jenes Eigentümliche der Lust und Unlust, das sie zur Erklärung des Strebens und Widerstrebens tauglich erscheinen liess, nämlich das darin liegende Moment des Bejahens und Verneinens, Annehmens und Ablehnens, auf ein zu Grunde liegendes Streben in jedem Fall zurückweist. Es ist gerade psychologisch sehr einleuchtend, dass Bewegung des Gemüts das Zugrundeliegende, ja die allgemeine Bedingung psychischen Lebens ist (völlige Gleichgültigkeit wäre Tod), und dass in der Lust und Unlust sich dies Moment der Bewegung nur deshalb mehr verbirgt, weil darin unmittelbar nicht die Be- wegung als solche, sondern der jeweilige momentane Ausschlag, gleichsam die momentane Bilanz der Strebungen, nämlich das momentane Uebergewicht der Hemmung oder der Be- hauptung wider sie ins Bewusstsein fällt. In Lust und Unlust also wird der blosse Hoch- und Tiefstand des Gemüts, die blosse Augenblickslage verspürt; während im Streben die Erhebung und Senkung als solche, und zwar als der eignen Tendenz des Bewusstseins (auf Einheit, auf Ueberein- stimmung) entsprechend oder widerstreitend bewusst wird; welches beides übrigens zuletzt derart eins ist, dass im Gefühl der Hemmung oder des nicht gehemmten bezw. die Hemmung überwindenden Sichbehauptens eben jene eigne Tendenz, in verschiedenen Graden der Bestimmtheit, gefühlt wird. Danach läge also ein Moment der Richtung, mithin der Bewegung doch schon dem Gefühl selbst zu Grunde; woraus der Gegensatz
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[52/0068]
Stelle zu behaupten, gleichsam zu bejahen wagt); während
zugleich ausdrücklich vorausgesetzt wird, dass dies Seinsollende
nicht jetzt wirklich ist, ja sogar möglicherweise nie wirklich
werden wird. Streben ist mit lust- oder unlustvoller Er-
wartung so wenig einerlei, dass vielmehr die Energie des
Strebens zur Sicherheit der Erwartung im umgekehrten Ver-
hältnis steht und, während die letztere sich bis zur Gewissheit
der vollendeten Wirklichkeit steigert, die erstere bis zum
Nullpunkt herabsinkt.
Also ist wohl dies eigenartige Bewusstseinsmoment: Setzung
eines Objekts als seinsollend, für dermaassen ursprünglich anzu-
erkennen, dass vielmehr umgekehrt die Frage aufgeworfen werden
muss, ob nicht jenes Eigentümliche der Lust und Unlust, das sie zur
Erklärung des Strebens und Widerstrebens tauglich erscheinen
liess, nämlich das darin liegende Moment des Bejahens und
Verneinens, Annehmens und Ablehnens, auf ein zu Grunde
liegendes Streben in jedem Fall zurückweist. Es ist gerade
psychologisch sehr einleuchtend, dass Bewegung des Gemüts
das Zugrundeliegende, ja die allgemeine Bedingung psychischen
Lebens ist (völlige Gleichgültigkeit wäre Tod), und dass
in der Lust und Unlust sich dies Moment der Bewegung nur
deshalb mehr verbirgt, weil darin unmittelbar nicht die Be-
wegung als solche, sondern der jeweilige momentane Ausschlag,
gleichsam die momentane Bilanz der Strebungen, nämlich das
momentane Uebergewicht der Hemmung oder der Be-
hauptung wider sie ins Bewusstsein fällt. In Lust und
Unlust also wird der blosse Hoch- und Tiefstand des Gemüts,
die blosse Augenblickslage verspürt; während im Streben die
Erhebung und Senkung als solche, und zwar als der eignen
Tendenz des Bewusstseins (auf Einheit, auf Ueberein-
stimmung) entsprechend oder widerstreitend bewusst wird;
welches beides übrigens zuletzt derart eins ist, dass im Gefühl
der Hemmung oder des nicht gehemmten bezw. die Hemmung
überwindenden Sichbehauptens eben jene eigne Tendenz, in
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/68>, abgerufen am 25.11.2024.
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