durchaus nichts Aesthetisches, sondern ein nebenher gehender, ziemlich unaufrichtiger Selbstbetrug. Sondern allein, dass der gestaltende Geist Herr der Gestaltung ist, ist tiefster Quell der ästhetischen Freude. Das besagt aber im Grunde nur, das Gesetz der Gestaltung sei Herr; und im rein ästhe- tischen Empfinden wird in der That nur dies empfunden.
Das religiöse Gefühl hingegen hängt durchaus nicht an der Gestaltung. Zwar sucht es auch alle Gestaltung zu durch- dringen, da es überhaupt eine unumschränkte Herrschaft bean- sprucht über alles, was im Bewusstsein Sein und Leben hat. Aber es will noch etwas unergründlich Tieferes sein als alle einem Menschenbewusstsein fassliche, notwendig doch end- liche Gestaltung. Dieser über alle objektivierende Gestaltung (menschlicher Art) hinausgehende Anspruch der Religion ist es, für den ich keine andre Erklärung finde als in der Eigen- heit des Gefühls. Was damit gemeint, ist die Unmittel- barkeit rein innerlichen Lebens, im Unterschied von aller objektivierenden und damit veräussernden Gestaltung, der doch gerade das eigen ist, den "Gegenstand" vom unmittel- baren Erlebnis des Subjekts abzulösen und als ein Andres, für sich Seiendes, ihm gegenüberzustellen. Es ist die ursprüng- liche Konkretion des unmittelbaren Erlebnisses, der gegen- über jede objektivierende Gestaltung zur blassen, unzuläng- lichen Abstraktion herabsinkt. Auch das Gefühl in der von Psychologen gemeinhin angenommenen Bedeutung der Lust und Unlust ist nur eine solche Abstraktion, in der nur gleichsam nach dem Pegelstand des augenblicklichen subjek- tiven Befindens gefragt, von allem aber, was dabei innerlichst erlebt wird, geflissentlich abgesehen wird. Darin ist besten- falls eine und zwar die äusserlichste, daher fasslichste Seite des Gefühls zum Ausdruck gebracht, sein wirklicher Gehalt aber ist ein ohne allen Vergleich reicherer. Dass es so schwer ist, von diesem letzten Gehalt des Gefühles zu reden -- "Ge- fühl ist alles, Name ist Schall und Rauch" -- versteht sich eben aus dieser seiner unnahbaren Innerlichkeit. Ausdrückbar wird es etwa nur durch die unausführbare Vorschrift: setze alle möglichen Abstraktionen, die irgend welchen besonderen
durchaus nichts Aesthetisches, sondern ein nebenher gehender, ziemlich unaufrichtiger Selbstbetrug. Sondern allein, dass der gestaltende Geist Herr der Gestaltung ist, ist tiefster Quell der ästhetischen Freude. Das besagt aber im Grunde nur, das Gesetz der Gestaltung sei Herr; und im rein ästhe- tischen Empfinden wird in der That nur dies empfunden.
Das religiöse Gefühl hingegen hängt durchaus nicht an der Gestaltung. Zwar sucht es auch alle Gestaltung zu durch- dringen, da es überhaupt eine unumschränkte Herrschaft bean- sprucht über alles, was im Bewusstsein Sein und Leben hat. Aber es will noch etwas unergründlich Tieferes sein als alle einem Menschenbewusstsein fassliche, notwendig doch end- liche Gestaltung. Dieser über alle objektivierende Gestaltung (menschlicher Art) hinausgehende Anspruch der Religion ist es, für den ich keine andre Erklärung finde als in der Eigen- heit des Gefühls. Was damit gemeint, ist die Unmittel- barkeit rein innerlichen Lebens, im Unterschied von aller objektivierenden und damit veräussernden Gestaltung, der doch gerade das eigen ist, den „Gegenstand“ vom unmittel- baren Erlebnis des Subjekts abzulösen und als ein Andres, für sich Seiendes, ihm gegenüberzustellen. Es ist die ursprüng- liche Konkretion des unmittelbaren Erlebnisses, der gegen- über jede objektivierende Gestaltung zur blassen, unzuläng- lichen Abstraktion herabsinkt. Auch das Gefühl in der von Psychologen gemeinhin angenommenen Bedeutung der Lust und Unlust ist nur eine solche Abstraktion, in der nur gleichsam nach dem Pegelstand des augenblicklichen subjek- tiven Befindens gefragt, von allem aber, was dabei innerlichst erlebt wird, geflissentlich abgesehen wird. Darin ist besten- falls eine und zwar die äusserlichste, daher fasslichste Seite des Gefühls zum Ausdruck gebracht, sein wirklicher Gehalt aber ist ein ohne allen Vergleich reicherer. Dass es so schwer ist, von diesem letzten Gehalt des Gefühles zu reden — „Ge- fühl ist alles, Name ist Schall und Rauch“ — versteht sich eben aus dieser seiner unnahbaren Innerlichkeit. Ausdrückbar wird es etwa nur durch die unausführbare Vorschrift: setze alle möglichen Abstraktionen, die irgend welchen besonderen
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durchaus nichts Aesthetisches, sondern ein nebenher gehender,
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Quell der ästhetischen Freude. Das besagt aber im Grunde
nur, das Gesetz der Gestaltung sei Herr; und im rein ästhe-
tischen Empfinden wird in der That nur dies empfunden.
Das religiöse Gefühl hingegen hängt durchaus nicht an
der Gestaltung. Zwar sucht es auch alle Gestaltung zu durch-
dringen, da es überhaupt eine unumschränkte Herrschaft bean-
sprucht über alles, was im Bewusstsein Sein und Leben hat.
Aber es will noch etwas unergründlich Tieferes sein als alle
einem Menschenbewusstsein fassliche, notwendig doch end-
liche Gestaltung. Dieser über alle objektivierende Gestaltung
(menschlicher Art) hinausgehende Anspruch der Religion ist
es, für den ich keine andre Erklärung finde als in der Eigen-
heit des Gefühls. Was damit gemeint, ist die Unmittel-
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aller objektivierenden und damit veräussernden Gestaltung,
der doch gerade das eigen ist, den „Gegenstand“ vom unmittel-
baren Erlebnis des Subjekts abzulösen und als ein Andres, für
sich Seiendes, ihm gegenüberzustellen. Es ist die ursprüng-
liche Konkretion des unmittelbaren Erlebnisses, der gegen-
über jede objektivierende Gestaltung zur blassen, unzuläng-
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von Psychologen gemeinhin angenommenen Bedeutung der
Lust und Unlust ist nur eine solche Abstraktion, in der nur
gleichsam nach dem Pegelstand des augenblicklichen subjek-
tiven Befindens gefragt, von allem aber, was dabei innerlichst
erlebt wird, geflissentlich abgesehen wird. Darin ist besten-
falls eine und zwar die äusserlichste, daher fasslichste Seite
des Gefühls zum Ausdruck gebracht, sein wirklicher Gehalt
aber ist ein ohne allen Vergleich reicherer. Dass es so schwer
ist, von diesem letzten Gehalt des Gefühles zu reden — „Ge-
fühl ist alles, Name ist Schall und Rauch“ — versteht sich
eben aus dieser seiner unnahbaren Innerlichkeit. Ausdrückbar
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/344>, abgerufen am 29.11.2024.
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