Die Natur biologischer Gesetze lässt es auch nicht zu, dass diesem Mangel je abgeholfen werden, dass Gesetze von der Art der logischen jemals ihre Begründung auf biologischem Wege finden sollten.
Nicht annehmbarer ist für uns die zweite Ansicht. Ihr scheinbarer Vorzug ist, dass sie eine gewisse Selbständigkeit des Psychischen doch anerkennt; die logischen Gesetze sollen doch wenigstens eigentümliche Gesetze des Bewusstseins sein, von denen umgekehrt alles Denken ausserbewusster Dinge ab- hänge. Allein giebt es überhaupt eigentümliche kausale Ge- setze psychischen Geschehens? Wir haben die Frage oben verneint. Wir würden uns, wenn einmal nach ursachlichen Gesetzen des, gleichviel ob wahren oder falschen Denkens ge- fragt wird, eher noch auf die Seite des Biologen schlagen. Kausalität ist es überhaupt, welche den Begriff der Physis schafft, welche den Gegenstand der Naturwissenschaft erst konstituiert; wer das annimmt, wird nicht einräumen können, dass es andere als physische Ursachen gebe.
Aber die Frage der logischen Begründung ist eben wurzel- haft verschieden von der der Verursachung des Denkens. Es ist im Grunde eine ganz einfache Begriffsverwechslung, die hier begegnet. Naturgesetze, sagt man, "begründen" That- sachen welcher Art immer, also auch die Thatsachen des logischen wie unlogischen Denkens; darunter versteht man: sie geben die zeitlichen Bedingungen unseres So-denkens an. Allein der Inhalt der Naturgesetze setzt den der logischen Gesetze vielmehr voraus, er wird durch sie in einem ganz andern, eben dem logisch genannten Verhältnis, das mit der Zeit nichts zu thun hat, bedingt oder "begründet".
Dieselbe Zweideutigkeit kann sich hinter dem Wort That- sache verbergen. Gesetze, sagt man, sind nur Allgemeinaus- drücke für Thatsachen. Gewiss, jedes Gesetz sagt aus, was allgemein stattfindet; sofern man also jedes Stattfinden ohne Unterschied Thatsache nennt, ist jedes Gesetz eine allgemeine Aussage über Thatsachen. Es ist in diesem Sinne Thatsache, dass 2 x 2 = 4, und Thatsache, dass Widersprechendes nicht gleichermassen wahr ist u. s. f. Aber zu dem Schluss:
Natorp, Sozialpädagogik. 2
Die Natur biologischer Gesetze lässt es auch nicht zu, dass diesem Mangel je abgeholfen werden, dass Gesetze von der Art der logischen jemals ihre Begründung auf biologischem Wege finden sollten.
Nicht annehmbarer ist für uns die zweite Ansicht. Ihr scheinbarer Vorzug ist, dass sie eine gewisse Selbständigkeit des Psychischen doch anerkennt; die logischen Gesetze sollen doch wenigstens eigentümliche Gesetze des Bewusstseins sein, von denen umgekehrt alles Denken ausserbewusster Dinge ab- hänge. Allein giebt es überhaupt eigentümliche kausale Ge- setze psychischen Geschehens? Wir haben die Frage oben verneint. Wir würden uns, wenn einmal nach ursachlichen Gesetzen des, gleichviel ob wahren oder falschen Denkens ge- fragt wird, eher noch auf die Seite des Biologen schlagen. Kausalität ist es überhaupt, welche den Begriff der Physis schafft, welche den Gegenstand der Naturwissenschaft erst konstituiert; wer das annimmt, wird nicht einräumen können, dass es andere als physische Ursachen gebe.
Aber die Frage der logischen Begründung ist eben wurzel- haft verschieden von der der Verursachung des Denkens. Es ist im Grunde eine ganz einfache Begriffsverwechslung, die hier begegnet. Naturgesetze, sagt man, „begründen“ That- sachen welcher Art immer, also auch die Thatsachen des logischen wie unlogischen Denkens; darunter versteht man: sie geben die zeitlichen Bedingungen unseres So-denkens an. Allein der Inhalt der Naturgesetze setzt den der logischen Gesetze vielmehr voraus, er wird durch sie in einem ganz andern, eben dem logisch genannten Verhältnis, das mit der Zeit nichts zu thun hat, bedingt oder „begründet“.
Dieselbe Zweideutigkeit kann sich hinter dem Wort That- sache verbergen. Gesetze, sagt man, sind nur Allgemeinaus- drücke für Thatsachen. Gewiss, jedes Gesetz sagt aus, was allgemein stattfindet; sofern man also jedes Stattfinden ohne Unterschied Thatsache nennt, ist jedes Gesetz eine allgemeine Aussage über Thatsachen. Es ist in diesem Sinne Thatsache, dass 2 × 2 = 4, und Thatsache, dass Widersprechendes nicht gleichermassen wahr ist u. s. f. Aber zu dem Schluss:
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Die Natur biologischer Gesetze lässt es auch nicht zu, dass
diesem Mangel je abgeholfen werden, dass Gesetze von der
Art der logischen jemals ihre Begründung auf biologischem
Wege finden sollten.
Nicht annehmbarer ist für uns die zweite Ansicht. Ihr
scheinbarer Vorzug ist, dass sie eine gewisse Selbständigkeit
des Psychischen doch anerkennt; die logischen Gesetze sollen
doch wenigstens eigentümliche Gesetze des Bewusstseins sein,
von denen umgekehrt alles Denken ausserbewusster Dinge ab-
hänge. Allein giebt es überhaupt eigentümliche kausale Ge-
setze psychischen Geschehens? Wir haben die Frage oben
verneint. Wir würden uns, wenn einmal nach ursachlichen
Gesetzen des, gleichviel ob wahren oder falschen Denkens ge-
fragt wird, eher noch auf die Seite des Biologen schlagen.
Kausalität ist es überhaupt, welche den Begriff der Physis
schafft, welche den Gegenstand der Naturwissenschaft erst
konstituiert; wer das annimmt, wird nicht einräumen können,
dass es andere als physische Ursachen gebe.
Aber die Frage der logischen Begründung ist eben wurzel-
haft verschieden von der der Verursachung des Denkens. Es
ist im Grunde eine ganz einfache Begriffsverwechslung, die
hier begegnet. Naturgesetze, sagt man, „begründen“ That-
sachen welcher Art immer, also auch die Thatsachen des
logischen wie unlogischen Denkens; darunter versteht man:
sie geben die zeitlichen Bedingungen unseres So-denkens
an. Allein der Inhalt der Naturgesetze setzt den der
logischen Gesetze vielmehr voraus, er wird durch sie in einem
ganz andern, eben dem logisch genannten Verhältnis, das mit
der Zeit nichts zu thun hat, bedingt oder „begründet“.
Dieselbe Zweideutigkeit kann sich hinter dem Wort That-
sache verbergen. Gesetze, sagt man, sind nur Allgemeinaus-
drücke für Thatsachen. Gewiss, jedes Gesetz sagt aus, was
allgemein stattfindet; sofern man also jedes Stattfinden ohne
Unterschied Thatsache nennt, ist jedes Gesetz eine allgemeine
Aussage über Thatsachen. Es ist in diesem Sinne Thatsache,
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/33>, abgerufen am 30.01.2025.
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