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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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für die zweite auf verständige, für die dritte auf vernünftige.
Es ist richtig in der Ethik, dass sinnliche Motive nicht Sitt-
lichkeit begründen; aber es bleibt darum nicht minder richtig
in der Pädagogik, dass die Anfänge des Verhaltens, das in
Absicht der Bildung zum Sittlichen vom Kinde gefordert werden
muss, bloss sinnlicher Motive bedürfen und allein durch solche
zu erzielen sind. Daher wird auch die sittliche Lehre für diese
Stufe, die nur bestimmt ist, ein solches Verhalten auch von
seiten des Begriffs zu unterstützen, keine andern als sinnliche
Motive geltend machen müssen. Das wäre freilich unver-
ständlich, wenn Sittlichkeit und Sinnlichkeit sich aufhebende
Gegensätze wären. Nachdem aber erkannt ist, dass es eine
Tugend der Sinnlichkeit giebt, jene, welche wir als Rein-
heit oder Maass bezeichnen, ist es ganz verständlich, dass der
erste Aufruf zur Tugend sich richten muss nicht an die Sinn-
lichkeit schlechtweg, aber an die Tugend der Sinnlichkeit, um
von dieser Seite her, zufolge des notwendigen Zusammenhanges
der Tugenden, zur ganzen Sittlichkeit den ersten Grund zu
legen. Ebenso wäre es in der Ethik verkehrt, auf den Grund
der Willensdisziplin und dadurch zu erreichenden Höhe der
Energie, der dem Knabenalter doch so einleuchtend ist, die
Sittlichkeit etwa ganz und gar zu gründen; aber es bleibt
darum nicht minder richtig in der Pädagogik, für die zweite
Erziehungsstufe dies Motiv, für das sie am zugänglichsten ist,
voranzustellen. Denn es giebt eine eigene Tugend der
Willensdisziplin
, die Tapferkeit, und es hat wohl Sinn,
jetzt vorzugsweise durch Weckung dieser Tugend auf das
Ganze der Sittlichkeit hinzuarbeiten, unter Festhaltung und
fortdauernder Pflege dessen, was von der sinnlichen Seite
her schon auf der ersten Stufe gewonnen wurde. Das Letzte
fügt dann die dritte Stufe hinzu, indem sie nun erst bis zum
innersten Grunde des Sittlichen, zum Grunde der "Wahrheit"
zurückgeht, und zeigt, wie in ihm alles bis dahin Gewonnene
zugleich bestätigt und überboten wird. Die sittliche Lehre
der ersten Stufe sagt also: Sei gut um der Reinheit willen;
die der zweiten: Sei gut um jener Selbstdisziplin willen, die
der wahre Sinn der Tapferkeit ist; und erst die der dritten:

für die zweite auf verständige, für die dritte auf vernünftige.
Es ist richtig in der Ethik, dass sinnliche Motive nicht Sitt-
lichkeit begründen; aber es bleibt darum nicht minder richtig
in der Pädagogik, dass die Anfänge des Verhaltens, das in
Absicht der Bildung zum Sittlichen vom Kinde gefordert werden
muss, bloss sinnlicher Motive bedürfen und allein durch solche
zu erzielen sind. Daher wird auch die sittliche Lehre für diese
Stufe, die nur bestimmt ist, ein solches Verhalten auch von
seiten des Begriffs zu unterstützen, keine andern als sinnliche
Motive geltend machen müssen. Das wäre freilich unver-
ständlich, wenn Sittlichkeit und Sinnlichkeit sich aufhebende
Gegensätze wären. Nachdem aber erkannt ist, dass es eine
Tugend der Sinnlichkeit giebt, jene, welche wir als Rein-
heit oder Maass bezeichnen, ist es ganz verständlich, dass der
erste Aufruf zur Tugend sich richten muss nicht an die Sinn-
lichkeit schlechtweg, aber an die Tugend der Sinnlichkeit, um
von dieser Seite her, zufolge des notwendigen Zusammenhanges
der Tugenden, zur ganzen Sittlichkeit den ersten Grund zu
legen. Ebenso wäre es in der Ethik verkehrt, auf den Grund
der Willensdisziplin und dadurch zu erreichenden Höhe der
Energie, der dem Knabenalter doch so einleuchtend ist, die
Sittlichkeit etwa ganz und gar zu gründen; aber es bleibt
darum nicht minder richtig in der Pädagogik, für die zweite
Erziehungsstufe dies Motiv, für das sie am zugänglichsten ist,
voranzustellen. Denn es giebt eine eigene Tugend der
Willensdisziplin
, die Tapferkeit, und es hat wohl Sinn,
jetzt vorzugsweise durch Weckung dieser Tugend auf das
Ganze der Sittlichkeit hinzuarbeiten, unter Festhaltung und
fortdauernder Pflege dessen, was von der sinnlichen Seite
her schon auf der ersten Stufe gewonnen wurde. Das Letzte
fügt dann die dritte Stufe hinzu, indem sie nun erst bis zum
innersten Grunde des Sittlichen, zum Grunde der „Wahrheit“
zurückgeht, und zeigt, wie in ihm alles bis dahin Gewonnene
zugleich bestätigt und überboten wird. Die sittliche Lehre
der ersten Stufe sagt also: Sei gut um der Reinheit willen;
die der zweiten: Sei gut um jener Selbstdisziplin willen, die
der wahre Sinn der Tapferkeit ist; und erst die der dritten:

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[306/0322] für die zweite auf verständige, für die dritte auf vernünftige. Es ist richtig in der Ethik, dass sinnliche Motive nicht Sitt- lichkeit begründen; aber es bleibt darum nicht minder richtig in der Pädagogik, dass die Anfänge des Verhaltens, das in Absicht der Bildung zum Sittlichen vom Kinde gefordert werden muss, bloss sinnlicher Motive bedürfen und allein durch solche zu erzielen sind. Daher wird auch die sittliche Lehre für diese Stufe, die nur bestimmt ist, ein solches Verhalten auch von seiten des Begriffs zu unterstützen, keine andern als sinnliche Motive geltend machen müssen. Das wäre freilich unver- ständlich, wenn Sittlichkeit und Sinnlichkeit sich aufhebende Gegensätze wären. Nachdem aber erkannt ist, dass es eine Tugend der Sinnlichkeit giebt, jene, welche wir als Rein- heit oder Maass bezeichnen, ist es ganz verständlich, dass der erste Aufruf zur Tugend sich richten muss nicht an die Sinn- lichkeit schlechtweg, aber an die Tugend der Sinnlichkeit, um von dieser Seite her, zufolge des notwendigen Zusammenhanges der Tugenden, zur ganzen Sittlichkeit den ersten Grund zu legen. Ebenso wäre es in der Ethik verkehrt, auf den Grund der Willensdisziplin und dadurch zu erreichenden Höhe der Energie, der dem Knabenalter doch so einleuchtend ist, die Sittlichkeit etwa ganz und gar zu gründen; aber es bleibt darum nicht minder richtig in der Pädagogik, für die zweite Erziehungsstufe dies Motiv, für das sie am zugänglichsten ist, voranzustellen. Denn es giebt eine eigene Tugend der Willensdisziplin, die Tapferkeit, und es hat wohl Sinn, jetzt vorzugsweise durch Weckung dieser Tugend auf das Ganze der Sittlichkeit hinzuarbeiten, unter Festhaltung und fortdauernder Pflege dessen, was von der sinnlichen Seite her schon auf der ersten Stufe gewonnen wurde. Das Letzte fügt dann die dritte Stufe hinzu, indem sie nun erst bis zum innersten Grunde des Sittlichen, zum Grunde der „Wahrheit“ zurückgeht, und zeigt, wie in ihm alles bis dahin Gewonnene zugleich bestätigt und überboten wird. Die sittliche Lehre der ersten Stufe sagt also: Sei gut um der Reinheit willen; die der zweiten: Sei gut um jener Selbstdisziplin willen, die der wahre Sinn der Tapferkeit ist; und erst die der dritten:

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/322>, abgerufen am 27.11.2024.