an seinen Zöglingen verrichten zu sollen. Er weiss vielmehr, dass er sein Bestes auch in sittlicher Absicht wirkt durch Treue gegen die Sache, ernstes Besinnen, unbestochene Wahrheitsliebe. Das absichtliche Betonen der "Gesinnung" stumpft den Sinn dafür eher ab oder verführt geradeswegs zu Unwahrheit. Auch ist es eine Täuschung, dass man den Heran- wachsenden damit am sichersten gewinne. Der gesunde Knabe ist, wie schon öfter bemerkt, ziemlich kühler Rationalist; er ist nicht fühllos, aber zu keusch in seinem Gefühl, um es gern zur Schau zu tragen, oder seinen Ausbruch beim Andern, zu- mal beim gesetzten Manne, sonderlich schön zu finden. Ueber einen Lehrer zumal, den er nicht anders als in erregtem Pathos auf sich einreden hört, wird er sich im stillen lustig machen, jedenfalls ungerührt bleiben und in seinem Gleichmut sich ihm eigentlich überlegen fühlen. Aber auch was im Jüngling die tiefste, nachhaltigste Bewegung weckt, ist nicht der Prediger- und Seelsorgerton, sondern es sind die ersten aufdämmernden Ahnungen von der Grösse einer Sache, es ist die in ihrer Neuheit doppelt überwältigende Erfahrung jener mächtigen Er- weiterung der Seele, die aus der in tiefgründiger, weit aus- blickender Erkenntnis erfassten Bedeutung des Gegenstandes fliesst. Der Lehrer, der weiss, dass auch ein klares, reines, dauerhaftes Gefühl für eine Sache nur auf dem Grunde sicherer Einsicht erwachsen kann, und der nun die ernste Schwierig- keit vor Augen sieht, diese gerade dem erregbaren, innerlich stark beschäftigten, nach Besinnung erst mühsam ringenden Jünglingsalter einzupflanzen, wird, glaube ich, vor den kleinen Mitteln der Gefühlserregung, vor all dem Pathos, das man ihm zumutet, eher zurückscheuen, und sich fort und fort den un- schätzbaren Rat gegenwärtig halten: Sei er kein schellenlauter Thor! Such er den redlichen Gewinn!
Ein Einwand liegt nahe: der Geschichtsbetrieb, den wir fordern, sei zu hoch für das Schulalter. Darauf ist zu ant- worten: es ist hier nicht an das Schulalter allein gedacht. Wir stimmen der runden Erklärung Willmanns ganz zu: "Ge- schichte ist keine Schulwissenschaft." Wohl aber liegt es in der Kompetenz der Schule, ein ernstes Verlangen nach
an seinen Zöglingen verrichten zu sollen. Er weiss vielmehr, dass er sein Bestes auch in sittlicher Absicht wirkt durch Treue gegen die Sache, ernstes Besinnen, unbestochene Wahrheitsliebe. Das absichtliche Betonen der „Gesinnung“ stumpft den Sinn dafür eher ab oder verführt geradeswegs zu Unwahrheit. Auch ist es eine Täuschung, dass man den Heran- wachsenden damit am sichersten gewinne. Der gesunde Knabe ist, wie schon öfter bemerkt, ziemlich kühler Rationalist; er ist nicht fühllos, aber zu keusch in seinem Gefühl, um es gern zur Schau zu tragen, oder seinen Ausbruch beim Andern, zu- mal beim gesetzten Manne, sonderlich schön zu finden. Ueber einen Lehrer zumal, den er nicht anders als in erregtem Pathos auf sich einreden hört, wird er sich im stillen lustig machen, jedenfalls ungerührt bleiben und in seinem Gleichmut sich ihm eigentlich überlegen fühlen. Aber auch was im Jüngling die tiefste, nachhaltigste Bewegung weckt, ist nicht der Prediger- und Seelsorgerton, sondern es sind die ersten aufdämmernden Ahnungen von der Grösse einer Sache, es ist die in ihrer Neuheit doppelt überwältigende Erfahrung jener mächtigen Er- weiterung der Seele, die aus der in tiefgründiger, weit aus- blickender Erkenntnis erfassten Bedeutung des Gegenstandes fliesst. Der Lehrer, der weiss, dass auch ein klares, reines, dauerhaftes Gefühl für eine Sache nur auf dem Grunde sicherer Einsicht erwachsen kann, und der nun die ernste Schwierig- keit vor Augen sieht, diese gerade dem erregbaren, innerlich stark beschäftigten, nach Besinnung erst mühsam ringenden Jünglingsalter einzupflanzen, wird, glaube ich, vor den kleinen Mitteln der Gefühlserregung, vor all dem Pathos, das man ihm zumutet, eher zurückscheuen, und sich fort und fort den un- schätzbaren Rat gegenwärtig halten: Sei er kein schellenlauter Thor! Such er den redlichen Gewinn!
Ein Einwand liegt nahe: der Geschichtsbetrieb, den wir fordern, sei zu hoch für das Schulalter. Darauf ist zu ant- worten: es ist hier nicht an das Schulalter allein gedacht. Wir stimmen der runden Erklärung Willmanns ganz zu: „Ge- schichte ist keine Schulwissenschaft.“ Wohl aber liegt es in der Kompetenz der Schule, ein ernstes Verlangen nach
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an seinen Zöglingen verrichten zu sollen. Er weiss vielmehr,
dass er sein Bestes auch in sittlicher Absicht wirkt durch
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Wahrheitsliebe. Das absichtliche Betonen der „Gesinnung“
stumpft den Sinn dafür eher ab oder verführt geradeswegs zu
Unwahrheit. Auch ist es eine Täuschung, dass man den Heran-
wachsenden damit am sichersten gewinne. Der gesunde Knabe
ist, wie schon öfter bemerkt, ziemlich kühler Rationalist; er ist
nicht fühllos, aber zu keusch in seinem Gefühl, um es gern
zur Schau zu tragen, oder seinen Ausbruch beim Andern, zu-
mal beim gesetzten Manne, sonderlich schön zu finden. Ueber
einen Lehrer zumal, den er nicht anders als in erregtem Pathos
auf sich einreden hört, wird er sich im stillen lustig machen,
jedenfalls ungerührt bleiben und in seinem Gleichmut sich
ihm eigentlich überlegen fühlen. Aber auch was im Jüngling
die tiefste, nachhaltigste Bewegung weckt, ist nicht der Prediger-
und Seelsorgerton, sondern es sind die ersten aufdämmernden
Ahnungen von der Grösse einer Sache, es ist die in ihrer
Neuheit doppelt überwältigende Erfahrung jener mächtigen Er-
weiterung der Seele, die aus der in tiefgründiger, weit aus-
blickender Erkenntnis erfassten Bedeutung des Gegenstandes
fliesst. Der Lehrer, der weiss, dass auch ein klares, reines,
dauerhaftes Gefühl für eine Sache nur auf dem Grunde sicherer
Einsicht erwachsen kann, und der nun die ernste Schwierig-
keit vor Augen sieht, diese gerade dem erregbaren, innerlich
stark beschäftigten, nach Besinnung erst mühsam ringenden
Jünglingsalter einzupflanzen, wird, glaube ich, vor den kleinen
Mitteln der Gefühlserregung, vor all dem Pathos, das man ihm
zumutet, eher zurückscheuen, und sich fort und fort den un-
schätzbaren Rat gegenwärtig halten: Sei er kein schellenlauter
Thor! Such er den redlichen Gewinn!
Ein Einwand liegt nahe: der Geschichtsbetrieb, den wir
fordern, sei zu hoch für das Schulalter. Darauf ist zu ant-
worten: es ist hier nicht an das Schulalter allein gedacht.
Wir stimmen der runden Erklärung Willmanns ganz zu: „Ge-
schichte ist keine Schulwissenschaft.“ Wohl aber liegt
es in der Kompetenz der Schule, ein ernstes Verlangen nach
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/312>, abgerufen am 26.11.2024.
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