welche ein Volk ausmacht, und weiter der Gemeinschaft der Völker in einer Kulturwelt, die der Idee nach die ganze Mensch- heit umfasst.
Dass im Centrum des Geschichtsunterrichts die Geschichte des eigenen Volkes stehen muss, folgt jetzt so unmittelbar und zwingend und ohne jede aussersachliche Stütze, wie man aus andern als diesen Voraussetzungen es wohl nicht hat begründen können. Es folgt aber ebenso sicher, dass als letztes Ziel die menschheitliche Kultur, also auch die Mitarbeit aller an ihrer Förderung mitbeteiligten Nationen, nicht aus den Augen ver- loren werden darf. Dürfte man nicht die Ueberzeugung hegen von einem eigenen Anteil, der unsrer Nation vor andern an den Kulturaufgaben der Menschheit zugefallen ist, so wüsste ich nicht, was den unvergleichlichen Wert, den wir dem Vater- land und dem eigenen Volkstum beilegen sollen, eigentlich rechtfertigte.
Aus diesem allein ergiebt sich nun, was das Verfahren des Geschichtsunterrichts betrifft, eine Folgerung, die von der bis jetzt in der Praxis herrschenden Auffassung ziemlich weit ab- liegt; dass nämlich jene sittliche Wirkung, die man dem sozio- logisch-historischen Unterricht mit gutem Grunde aufgiebt, auf gar keinen besonderen hinzukommenden Mitteln, sondern genau auf denselben Faktoren beruht, welche den Wert dieses Unterrichts für die Bildung des Intellekts begründen. Das Ver- fahren des Unterrichts in Absicht auf dessen sittliche Wirkung braucht ganz und gar kein andres zu sein und kann und soll kein andres sein, als welches auch in bloss verstandbildender Absicht gefordert ist. Auch die Zurückbeziehung der begriff- lichen Lehre auf die Erfahrung des Lebens in der Gemeinschaft, die wir betonen, ist genau so in verstandbildender Absicht, als Anknüpfung des Unterrichts an die Erfahrung, erforderlich; ohne das würden die Begriffe selbst nicht in wirklichen Besitz gebracht werden. Die Meinung von einer besonderen, eigen- tümlichen Vertretung, die der ethische Faktor im Geschichts- unterricht fordere, ist demnach, wie ich glaube, rundweg auf- zugeben. Der Geschichtslehrer findet sich fortan nicht mehr in der Verlegenheit, eine Art politischer und sozialer Seelsorge
welche ein Volk ausmacht, und weiter der Gemeinschaft der Völker in einer Kulturwelt, die der Idee nach die ganze Mensch- heit umfasst.
Dass im Centrum des Geschichtsunterrichts die Geschichte des eigenen Volkes stehen muss, folgt jetzt so unmittelbar und zwingend und ohne jede aussersachliche Stütze, wie man aus andern als diesen Voraussetzungen es wohl nicht hat begründen können. Es folgt aber ebenso sicher, dass als letztes Ziel die menschheitliche Kultur, also auch die Mitarbeit aller an ihrer Förderung mitbeteiligten Nationen, nicht aus den Augen ver- loren werden darf. Dürfte man nicht die Ueberzeugung hegen von einem eigenen Anteil, der unsrer Nation vor andern an den Kulturaufgaben der Menschheit zugefallen ist, so wüsste ich nicht, was den unvergleichlichen Wert, den wir dem Vater- land und dem eigenen Volkstum beilegen sollen, eigentlich rechtfertigte.
Aus diesem allein ergiebt sich nun, was das Verfahren des Geschichtsunterrichts betrifft, eine Folgerung, die von der bis jetzt in der Praxis herrschenden Auffassung ziemlich weit ab- liegt; dass nämlich jene sittliche Wirkung, die man dem sozio- logisch-historischen Unterricht mit gutem Grunde aufgiebt, auf gar keinen besonderen hinzukommenden Mitteln, sondern genau auf denselben Faktoren beruht, welche den Wert dieses Unterrichts für die Bildung des Intellekts begründen. Das Ver- fahren des Unterrichts in Absicht auf dessen sittliche Wirkung braucht ganz und gar kein andres zu sein und kann und soll kein andres sein, als welches auch in bloss verstandbildender Absicht gefordert ist. Auch die Zurückbeziehung der begriff- lichen Lehre auf die Erfahrung des Lebens in der Gemeinschaft, die wir betonen, ist genau so in verstandbildender Absicht, als Anknüpfung des Unterrichts an die Erfahrung, erforderlich; ohne das würden die Begriffe selbst nicht in wirklichen Besitz gebracht werden. Die Meinung von einer besonderen, eigen- tümlichen Vertretung, die der ethische Faktor im Geschichts- unterricht fordere, ist demnach, wie ich glaube, rundweg auf- zugeben. Der Geschichtslehrer findet sich fortan nicht mehr in der Verlegenheit, eine Art politischer und sozialer Seelsorge
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welche ein Volk ausmacht, und weiter der Gemeinschaft der
Völker in einer Kulturwelt, die der Idee nach die ganze Mensch-
heit umfasst.
Dass im Centrum des Geschichtsunterrichts die Geschichte
des eigenen Volkes stehen muss, folgt jetzt so unmittelbar und
zwingend und ohne jede aussersachliche Stütze, wie man aus
andern als diesen Voraussetzungen es wohl nicht hat begründen
können. Es folgt aber ebenso sicher, dass als letztes Ziel die
menschheitliche Kultur, also auch die Mitarbeit aller an ihrer
Förderung mitbeteiligten Nationen, nicht aus den Augen ver-
loren werden darf. Dürfte man nicht die Ueberzeugung hegen
von einem eigenen Anteil, der unsrer Nation vor andern an
den Kulturaufgaben der Menschheit zugefallen ist, so wüsste
ich nicht, was den unvergleichlichen Wert, den wir dem Vater-
land und dem eigenen Volkstum beilegen sollen, eigentlich
rechtfertigte.
Aus diesem allein ergiebt sich nun, was das Verfahren
des Geschichtsunterrichts betrifft, eine Folgerung, die von der
bis jetzt in der Praxis herrschenden Auffassung ziemlich weit ab-
liegt; dass nämlich jene sittliche Wirkung, die man dem sozio-
logisch-historischen Unterricht mit gutem Grunde aufgiebt, auf
gar keinen besonderen hinzukommenden Mitteln, sondern
genau auf denselben Faktoren beruht, welche den Wert dieses
Unterrichts für die Bildung des Intellekts begründen. Das Ver-
fahren des Unterrichts in Absicht auf dessen sittliche Wirkung
braucht ganz und gar kein andres zu sein und kann und soll
kein andres sein, als welches auch in bloss verstandbildender
Absicht gefordert ist. Auch die Zurückbeziehung der begriff-
lichen Lehre auf die Erfahrung des Lebens in der Gemeinschaft,
die wir betonen, ist genau so in verstandbildender Absicht,
als Anknüpfung des Unterrichts an die Erfahrung, erforderlich;
ohne das würden die Begriffe selbst nicht in wirklichen Besitz
gebracht werden. Die Meinung von einer besonderen, eigen-
tümlichen Vertretung, die der ethische Faktor im Geschichts-
unterricht fordere, ist demnach, wie ich glaube, rundweg auf-
zugeben. Der Geschichtslehrer findet sich fortan nicht mehr
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/311>, abgerufen am 26.11.2024.
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