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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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staltung doch immer schon voraussetzen; diese sind vielmehr
ursprüngliche Entwürfe des anschauenden Geistes: aus
der Linie, dem Winkel u. s. f., d. h. gemäss der Konstruk-
tionsregel, die diese Begriffe darstellen, bauen sich die Ge-
stalten, die wir in den Dingen wahrzunehmen glauben, in
unserem Geiste ursprünglich auf, und nur vermöge dieser ur-
sprünglichen Konstruktion werden sie diesem anschauenden
Geiste erkennbar; er vermag sie zu erkennen nur, weil er sie
selber gestaltet. So ist schliesslich jeder echte Begriff Aus-
druck eines besonderen Denkverfahrens, daher zuletzt nur ver-
ständlich aus solchen reinen Grundbegriffen, welche die Ele-
mente alles Denkverfahrens in Erzeugung von Gegenständen
überhaupt, d. h. (nach Kant) die notwendigen und hinreichenden
Konstruktionsstücke einer "möglichen Erfahrung" zum Inhalt
haben, und in diesem ihnen ursprünglich eigenen Gesetzes-
charakter auch abgesondert zu Bewusstsein gebracht werden
können und müssen. Indem diese Genesis des menschlichen
Verstandes Pestalozzi bestimmt vor Augen stand, musste er
es freilich schwer genug finden, sie gerade in der frühesten
menschlichen Geistesentwicklung, der sein Interesse fast aus-
schliesslich zugewandt war und die, so meinte er, diese Ele-
mente am deutlichsten erkennen lassen müsste, in genügend
reiner und unmittelbarer Gestalt wiederzuerkennen. Das ist es
hauptsächlich, was ihn zur vollen Klarheit nicht durchdringen
liess, wie denn auch die Ausführung, die er seinem Grund-
gedanken zu geben vermochte, ihm selber niemals genügt hat.
Diese Schwierigkeit ist begreiflich; auch der heutige Stand
der Untersuchung ermöglicht nicht ihre glatte und reine Be-
wältigung, obgleich der Weg ihrer Ueberwindung bereits un-
vergleichlich klarer als vor hundert Jahren erkennbar geworden
ist. Indem nämlich die komplexeren Bildungen der Vorstellung
sich anfangs ohne bestimmtes Bewusstsein vollziehen, oder doch
nicht ihr Vollzug, sondern nur das Ergebnis in bestimmtem
Bewusstsein verbleibt, so bedarf es immer erst einer oft schwie-
rigen Analyse, die von diesen komplexen Gestaltungen (als
den gegebenen) ihren Ausgang nehmen und zu ihren einfacheren
Elementen bis zu den einfachsten erst zurückgehen muss. Diese

staltung doch immer schon voraussetzen; diese sind vielmehr
ursprüngliche Entwürfe des anschauenden Geistes: aus
der Linie, dem Winkel u. s. f., d. h. gemäss der Konstruk-
tionsregel, die diese Begriffe darstellen, bauen sich die Ge-
stalten, die wir in den Dingen wahrzunehmen glauben, in
unserem Geiste ursprünglich auf, und nur vermöge dieser ur-
sprünglichen Konstruktion werden sie diesem anschauenden
Geiste erkennbar; er vermag sie zu erkennen nur, weil er sie
selber gestaltet. So ist schliesslich jeder echte Begriff Aus-
druck eines besonderen Denkverfahrens, daher zuletzt nur ver-
ständlich aus solchen reinen Grundbegriffen, welche die Ele-
mente alles Denkverfahrens in Erzeugung von Gegenständen
überhaupt, d. h. (nach Kant) die notwendigen und hinreichenden
Konstruktionsstücke einer „möglichen Erfahrung“ zum Inhalt
haben, und in diesem ihnen ursprünglich eigenen Gesetzes-
charakter auch abgesondert zu Bewusstsein gebracht werden
können und müssen. Indem diese Genesis des menschlichen
Verstandes Pestalozzi bestimmt vor Augen stand, musste er
es freilich schwer genug finden, sie gerade in der frühesten
menschlichen Geistesentwicklung, der sein Interesse fast aus-
schliesslich zugewandt war und die, so meinte er, diese Ele-
mente am deutlichsten erkennen lassen müsste, in genügend
reiner und unmittelbarer Gestalt wiederzuerkennen. Das ist es
hauptsächlich, was ihn zur vollen Klarheit nicht durchdringen
liess, wie denn auch die Ausführung, die er seinem Grund-
gedanken zu geben vermochte, ihm selber niemals genügt hat.
Diese Schwierigkeit ist begreiflich; auch der heutige Stand
der Untersuchung ermöglicht nicht ihre glatte und reine Be-
wältigung, obgleich der Weg ihrer Ueberwindung bereits un-
vergleichlich klarer als vor hundert Jahren erkennbar geworden
ist. Indem nämlich die komplexeren Bildungen der Vorstellung
sich anfangs ohne bestimmtes Bewusstsein vollziehen, oder doch
nicht ihr Vollzug, sondern nur das Ergebnis in bestimmtem
Bewusstsein verbleibt, so bedarf es immer erst einer oft schwie-
rigen Analyse, die von diesen komplexen Gestaltungen (als
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[278/0294] staltung doch immer schon voraussetzen; diese sind vielmehr ursprüngliche Entwürfe des anschauenden Geistes: aus der Linie, dem Winkel u. s. f., d. h. gemäss der Konstruk- tionsregel, die diese Begriffe darstellen, bauen sich die Ge- stalten, die wir in den Dingen wahrzunehmen glauben, in unserem Geiste ursprünglich auf, und nur vermöge dieser ur- sprünglichen Konstruktion werden sie diesem anschauenden Geiste erkennbar; er vermag sie zu erkennen nur, weil er sie selber gestaltet. So ist schliesslich jeder echte Begriff Aus- druck eines besonderen Denkverfahrens, daher zuletzt nur ver- ständlich aus solchen reinen Grundbegriffen, welche die Ele- mente alles Denkverfahrens in Erzeugung von Gegenständen überhaupt, d. h. (nach Kant) die notwendigen und hinreichenden Konstruktionsstücke einer „möglichen Erfahrung“ zum Inhalt haben, und in diesem ihnen ursprünglich eigenen Gesetzes- charakter auch abgesondert zu Bewusstsein gebracht werden können und müssen. Indem diese Genesis des menschlichen Verstandes Pestalozzi bestimmt vor Augen stand, musste er es freilich schwer genug finden, sie gerade in der frühesten menschlichen Geistesentwicklung, der sein Interesse fast aus- schliesslich zugewandt war und die, so meinte er, diese Ele- mente am deutlichsten erkennen lassen müsste, in genügend reiner und unmittelbarer Gestalt wiederzuerkennen. Das ist es hauptsächlich, was ihn zur vollen Klarheit nicht durchdringen liess, wie denn auch die Ausführung, die er seinem Grund- gedanken zu geben vermochte, ihm selber niemals genügt hat. Diese Schwierigkeit ist begreiflich; auch der heutige Stand der Untersuchung ermöglicht nicht ihre glatte und reine Be- wältigung, obgleich der Weg ihrer Ueberwindung bereits un- vergleichlich klarer als vor hundert Jahren erkennbar geworden ist. Indem nämlich die komplexeren Bildungen der Vorstellung sich anfangs ohne bestimmtes Bewusstsein vollziehen, oder doch nicht ihr Vollzug, sondern nur das Ergebnis in bestimmtem Bewusstsein verbleibt, so bedarf es immer erst einer oft schwie- rigen Analyse, die von diesen komplexen Gestaltungen (als den gegebenen) ihren Ausgang nehmen und zu ihren einfacheren Elementen bis zu den einfachsten erst zurückgehen muss. Diese

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/294>, abgerufen am 22.11.2024.