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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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aller und jeder Richtung. Ein Losriss erfolgt nicht, es muss
nur, was erst ein Ganzes schien, ja es für die frühere Ent-
wicklungsstufe auch war, jetzt an das grössere Ganze sich an-
schliessen, da es an sich freilich kein Ganzes ist.

Und nicht anders verhält es sich mit dem zweiten Elemente
der Erziehung, der bewusst gewollten Organisation. Auch
sie muss bleiben, sie darf nur nicht mehr Selbstzweck sein.
Insofern sie heteronomen Charakter trägt, widerstrebt ja ihr
am meisten das einmal voll erwachte Selbstbewusstsein des
jugendlichen Menschen, der im beglückten Finden seiner selbst
eher den Trieb hat, von allen bloss äussern Ordnungen sich
loszumachen. Ihm muss zumeist der Zwang einer Schule wider-
streben, in der irgend ein engherziger Geist waltet, die es nicht
versteht, die natürliche Lockerung des äusseren Zwanges
sich zur rechten Zeit von selbst vollziehen zu lassen. Aber
die Gemeinschaft selbst erhält sich dabei nicht nur, sondern
sie erschliesst erst jetzt ihren tiefsten und letzten Sinn; sie
erhält die neue Bedeutung freier Gemeinschaft. Nicht um-
sonst lässt Platos Diotima aus der sich auseinandersetzenden
und verständigenden Zwiesprache die vergeistigte Liebesgemein-
schaft und damit die Ideenschau entspringen, die dann schon
unmittelbar den Drang in sich trägt, zeugungskräftig in der
Gestaltung des Gemeinlebens sich zu bethätigen. Das ist
der neue Sinn der Gemeinschaft, der auf dieser Stufe klar
wird: die gegenseitige autonome Verständigung als
einzige, endgültige Begründung der Gemeinschaft; der Sinn
jener echtesten Gerechtigkeit, als der Gleichachtung der
sittlichen Person im Andern, und in jedem Andern.

Nun ist diese Gemeinschaft nirgends verwirklicht oder unter
irdischen Bedingungen überhaupt zu verwirklichen, es sei denn
etwa im seltenen Bunde weniger Einzelnen. Allein die Idee
dieser Gemeinschaft wird deshalb nicht weniger, vielmehr sie
wird eben deshalb festgehalten. Und diese Idee muss sich
auch irgendwie einen Ausdruck schaffen; es muss die vor-
handene
Gemeinschaft, ein wie unvollkommener Ausdruck
der Idee sie sein mag, dennoch als ihr seinsollender, beabsichtigter
Ausdruck begriffen und dadurch geheiligt und vertieft werden.

aller und jeder Richtung. Ein Losriss erfolgt nicht, es muss
nur, was erst ein Ganzes schien, ja es für die frühere Ent-
wicklungsstufe auch war, jetzt an das grössere Ganze sich an-
schliessen, da es an sich freilich kein Ganzes ist.

Und nicht anders verhält es sich mit dem zweiten Elemente
der Erziehung, der bewusst gewollten Organisation. Auch
sie muss bleiben, sie darf nur nicht mehr Selbstzweck sein.
Insofern sie heteronomen Charakter trägt, widerstrebt ja ihr
am meisten das einmal voll erwachte Selbstbewusstsein des
jugendlichen Menschen, der im beglückten Finden seiner selbst
eher den Trieb hat, von allen bloss äussern Ordnungen sich
loszumachen. Ihm muss zumeist der Zwang einer Schule wider-
streben, in der irgend ein engherziger Geist waltet, die es nicht
versteht, die natürliche Lockerung des äusseren Zwanges
sich zur rechten Zeit von selbst vollziehen zu lassen. Aber
die Gemeinschaft selbst erhält sich dabei nicht nur, sondern
sie erschliesst erst jetzt ihren tiefsten und letzten Sinn; sie
erhält die neue Bedeutung freier Gemeinschaft. Nicht um-
sonst lässt Platos Diotima aus der sich auseinandersetzenden
und verständigenden Zwiesprache die vergeistigte Liebesgemein-
schaft und damit die Ideenschau entspringen, die dann schon
unmittelbar den Drang in sich trägt, zeugungskräftig in der
Gestaltung des Gemeinlebens sich zu bethätigen. Das ist
der neue Sinn der Gemeinschaft, der auf dieser Stufe klar
wird: die gegenseitige autonome Verständigung als
einzige, endgültige Begründung der Gemeinschaft; der Sinn
jener echtesten Gerechtigkeit, als der Gleichachtung der
sittlichen Person im Andern, und in jedem Andern.

Nun ist diese Gemeinschaft nirgends verwirklicht oder unter
irdischen Bedingungen überhaupt zu verwirklichen, es sei denn
etwa im seltenen Bunde weniger Einzelnen. Allein die Idee
dieser Gemeinschaft wird deshalb nicht weniger, vielmehr sie
wird eben deshalb festgehalten. Und diese Idee muss sich
auch irgendwie einen Ausdruck schaffen; es muss die vor-
handene
Gemeinschaft, ein wie unvollkommener Ausdruck
der Idee sie sein mag, dennoch als ihr seinsollender, beabsichtigter
Ausdruck begriffen und dadurch geheiligt und vertieft werden.

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[265/0281] aller und jeder Richtung. Ein Losriss erfolgt nicht, es muss nur, was erst ein Ganzes schien, ja es für die frühere Ent- wicklungsstufe auch war, jetzt an das grössere Ganze sich an- schliessen, da es an sich freilich kein Ganzes ist. Und nicht anders verhält es sich mit dem zweiten Elemente der Erziehung, der bewusst gewollten Organisation. Auch sie muss bleiben, sie darf nur nicht mehr Selbstzweck sein. Insofern sie heteronomen Charakter trägt, widerstrebt ja ihr am meisten das einmal voll erwachte Selbstbewusstsein des jugendlichen Menschen, der im beglückten Finden seiner selbst eher den Trieb hat, von allen bloss äussern Ordnungen sich loszumachen. Ihm muss zumeist der Zwang einer Schule wider- streben, in der irgend ein engherziger Geist waltet, die es nicht versteht, die natürliche Lockerung des äusseren Zwanges sich zur rechten Zeit von selbst vollziehen zu lassen. Aber die Gemeinschaft selbst erhält sich dabei nicht nur, sondern sie erschliesst erst jetzt ihren tiefsten und letzten Sinn; sie erhält die neue Bedeutung freier Gemeinschaft. Nicht um- sonst lässt Platos Diotima aus der sich auseinandersetzenden und verständigenden Zwiesprache die vergeistigte Liebesgemein- schaft und damit die Ideenschau entspringen, die dann schon unmittelbar den Drang in sich trägt, zeugungskräftig in der Gestaltung des Gemeinlebens sich zu bethätigen. Das ist der neue Sinn der Gemeinschaft, der auf dieser Stufe klar wird: die gegenseitige autonome Verständigung als einzige, endgültige Begründung der Gemeinschaft; der Sinn jener echtesten Gerechtigkeit, als der Gleichachtung der sittlichen Person im Andern, und in jedem Andern. Nun ist diese Gemeinschaft nirgends verwirklicht oder unter irdischen Bedingungen überhaupt zu verwirklichen, es sei denn etwa im seltenen Bunde weniger Einzelnen. Allein die Idee dieser Gemeinschaft wird deshalb nicht weniger, vielmehr sie wird eben deshalb festgehalten. Und diese Idee muss sich auch irgendwie einen Ausdruck schaffen; es muss die vor- handene Gemeinschaft, ein wie unvollkommener Ausdruck der Idee sie sein mag, dennoch als ihr seinsollender, beabsichtigter Ausdruck begriffen und dadurch geheiligt und vertieft werden.

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/281>, abgerufen am 22.11.2024.