Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

sucht ähnliche Bahnen. Es geht desto leichter und williger
in eigentliche, zweckbewusste Arbeit über; sie wird am wenigsten
in diesem Alter als Frohndienst empfunden, sondern als will-
kommene Uebung der Kraft, als fröhlicher Krieg gegen den
widerstrebenden Stoff. Der Sinn für Regel und Ordnung ist
dem normal entwickelten Kinde dieses Alters natürlich, ebenso
wie jener dem Bürgersinn vorarbeitende Gemeinsinn, wie er
in den festen Organisationen des Hauses, mehr aber der Schule,
dem verkleinerten Abbild einer bürgerlichen Gemeinschaft, sich
jetzt bestimmter herauszubilden Gelegenheit hat. Mit dem
Sinn des trotzigen Sichbehauptens und Insichverschliessens --
"als Knabe verschlossen und trutzig", sagt Goethe -- vereint
sich ganz wohl die freudige Anerkennung des gleich tüchtigen,
gleich selbständigen Andern. Das Verhältnis zum Andern ist
jetzt vorzugsweise das einer auf Anerkennung persönlicher
Tüchtigkeit ruhenden Achtung. Man ist ritterlich gesinnt ge-
gen die Kleinen, denen gegenüber am ehesten etwas von ver-
haltener Zärtlichkeit im unbeobachteten Augenblick sich her-
vorwagt; ritterlich auch gegen den gleichstrebenden Altersgenossen.
Der Wetteifer, von den Pädagogen oft über Gebühr gepriesen,
oft ebenso ungebührlich gescholten, hat auf dieser Stufe der
Erziehung seinen rechtmässigen Platz; man sollte ihm den
Spielraum nicht gar zu eng ziehen, denn er ist diesem Alter
natürlich und vermag die schönsten Kräfte aus dem Schlummer
zu wecken. Seine Grenze aber und seinen Halt findet er an
dem Sinn für Recht und Gesetz und für etwas wie ritterliche
Sitten, die jeden unredlichen, zumal feiger, hinterlistiger Mittel
sich bedienenden Wettbewerb scharf verurteilen. Das alles
ist wertvoll als Schule, wie es denn auch in der Schule und
aller schulmässigen Organisation, so im Waffendienst, vor-
nehmlich seine Stätte findet.

In diesem allen ist aber wiederum der Einfluss der Ge-
meinschaft
vorzüglich wichtig, ja entscheidend. Die straffe
Organisation der Schule ist deshalb für diese Stufe eine Not-
wendigkeit und durch nichts Andres zu ersetzen. Nur eine
etwas zu einseitige Fortsetzung davon, ein bisher nicht organisch
genug sich anfügendes, seinem ganzen Charakter nach aber

Natorp, Sozialpädagogik. 17

sucht ähnliche Bahnen. Es geht desto leichter und williger
in eigentliche, zweckbewusste Arbeit über; sie wird am wenigsten
in diesem Alter als Frohndienst empfunden, sondern als will-
kommene Uebung der Kraft, als fröhlicher Krieg gegen den
widerstrebenden Stoff. Der Sinn für Regel und Ordnung ist
dem normal entwickelten Kinde dieses Alters natürlich, ebenso
wie jener dem Bürgersinn vorarbeitende Gemeinsinn, wie er
in den festen Organisationen des Hauses, mehr aber der Schule,
dem verkleinerten Abbild einer bürgerlichen Gemeinschaft, sich
jetzt bestimmter herauszubilden Gelegenheit hat. Mit dem
Sinn des trotzigen Sichbehauptens und Insichverschliessens —
„als Knabe verschlossen und trutzig“, sagt Goethe — vereint
sich ganz wohl die freudige Anerkennung des gleich tüchtigen,
gleich selbständigen Andern. Das Verhältnis zum Andern ist
jetzt vorzugsweise das einer auf Anerkennung persönlicher
Tüchtigkeit ruhenden Achtung. Man ist ritterlich gesinnt ge-
gen die Kleinen, denen gegenüber am ehesten etwas von ver-
haltener Zärtlichkeit im unbeobachteten Augenblick sich her-
vorwagt; ritterlich auch gegen den gleichstrebenden Altersgenossen.
Der Wetteifer, von den Pädagogen oft über Gebühr gepriesen,
oft ebenso ungebührlich gescholten, hat auf dieser Stufe der
Erziehung seinen rechtmässigen Platz; man sollte ihm den
Spielraum nicht gar zu eng ziehen, denn er ist diesem Alter
natürlich und vermag die schönsten Kräfte aus dem Schlummer
zu wecken. Seine Grenze aber und seinen Halt findet er an
dem Sinn für Recht und Gesetz und für etwas wie ritterliche
Sitten, die jeden unredlichen, zumal feiger, hinterlistiger Mittel
sich bedienenden Wettbewerb scharf verurteilen. Das alles
ist wertvoll als Schule, wie es denn auch in der Schule und
aller schulmässigen Organisation, so im Waffendienst, vor-
nehmlich seine Stätte findet.

In diesem allen ist aber wiederum der Einfluss der Ge-
meinschaft
vorzüglich wichtig, ja entscheidend. Die straffe
Organisation der Schule ist deshalb für diese Stufe eine Not-
wendigkeit und durch nichts Andres zu ersetzen. Nur eine
etwas zu einseitige Fortsetzung davon, ein bisher nicht organisch
genug sich anfügendes, seinem ganzen Charakter nach aber

Natorp, Sozialpädagogik. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0273" n="257"/>
sucht ähnliche Bahnen. Es geht desto leichter und williger<lb/>
in eigentliche, zweckbewusste Arbeit über; sie wird am wenigsten<lb/>
in diesem Alter als Frohndienst empfunden, sondern als will-<lb/>
kommene Uebung der Kraft, als fröhlicher Krieg gegen den<lb/>
widerstrebenden Stoff. Der Sinn für Regel und Ordnung ist<lb/>
dem normal entwickelten Kinde dieses Alters natürlich, ebenso<lb/>
wie jener dem Bürgersinn vorarbeitende Gemeinsinn, wie er<lb/>
in den festen Organisationen des Hauses, mehr aber der Schule,<lb/>
dem verkleinerten Abbild einer bürgerlichen Gemeinschaft, sich<lb/>
jetzt bestimmter herauszubilden Gelegenheit hat. Mit dem<lb/>
Sinn des trotzigen Sichbehauptens und Insichverschliessens &#x2014;<lb/>
&#x201E;als Knabe verschlossen und trutzig&#x201C;, sagt Goethe &#x2014; vereint<lb/>
sich ganz wohl die freudige Anerkennung des gleich tüchtigen,<lb/>
gleich selbständigen Andern. Das Verhältnis zum Andern ist<lb/>
jetzt vorzugsweise das einer auf Anerkennung persönlicher<lb/>
Tüchtigkeit ruhenden Achtung. Man ist ritterlich gesinnt ge-<lb/>
gen die Kleinen, denen gegenüber am ehesten etwas von ver-<lb/>
haltener Zärtlichkeit im unbeobachteten Augenblick sich her-<lb/>
vorwagt; ritterlich auch gegen den gleichstrebenden Altersgenossen.<lb/>
Der Wetteifer, von den Pädagogen oft über Gebühr gepriesen,<lb/>
oft ebenso ungebührlich gescholten, hat auf dieser Stufe der<lb/>
Erziehung seinen rechtmässigen Platz; man sollte ihm den<lb/>
Spielraum nicht gar zu eng ziehen, denn er ist diesem Alter<lb/>
natürlich und vermag die schönsten Kräfte aus dem Schlummer<lb/>
zu wecken. Seine Grenze aber und seinen Halt findet er an<lb/>
dem Sinn für Recht und Gesetz und für etwas wie ritterliche<lb/>
Sitten, die jeden unredlichen, zumal feiger, hinterlistiger Mittel<lb/>
sich bedienenden Wettbewerb scharf verurteilen. Das alles<lb/>
ist wertvoll als Schule, wie es denn auch in der Schule und<lb/>
aller schulmässigen Organisation, so im Waffendienst, vor-<lb/>
nehmlich seine Stätte findet.</p><lb/>
          <p>In diesem allen ist aber wiederum der Einfluss der <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
meinschaft</hi> vorzüglich wichtig, ja entscheidend. Die straffe<lb/>
Organisation der Schule ist deshalb für diese Stufe eine Not-<lb/>
wendigkeit und durch nichts Andres zu ersetzen. Nur eine<lb/>
etwas zu einseitige Fortsetzung davon, ein bisher nicht organisch<lb/>
genug sich anfügendes, seinem ganzen Charakter nach aber<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Natorp</hi>, Sozialpädagogik. 17</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0273] sucht ähnliche Bahnen. Es geht desto leichter und williger in eigentliche, zweckbewusste Arbeit über; sie wird am wenigsten in diesem Alter als Frohndienst empfunden, sondern als will- kommene Uebung der Kraft, als fröhlicher Krieg gegen den widerstrebenden Stoff. Der Sinn für Regel und Ordnung ist dem normal entwickelten Kinde dieses Alters natürlich, ebenso wie jener dem Bürgersinn vorarbeitende Gemeinsinn, wie er in den festen Organisationen des Hauses, mehr aber der Schule, dem verkleinerten Abbild einer bürgerlichen Gemeinschaft, sich jetzt bestimmter herauszubilden Gelegenheit hat. Mit dem Sinn des trotzigen Sichbehauptens und Insichverschliessens — „als Knabe verschlossen und trutzig“, sagt Goethe — vereint sich ganz wohl die freudige Anerkennung des gleich tüchtigen, gleich selbständigen Andern. Das Verhältnis zum Andern ist jetzt vorzugsweise das einer auf Anerkennung persönlicher Tüchtigkeit ruhenden Achtung. Man ist ritterlich gesinnt ge- gen die Kleinen, denen gegenüber am ehesten etwas von ver- haltener Zärtlichkeit im unbeobachteten Augenblick sich her- vorwagt; ritterlich auch gegen den gleichstrebenden Altersgenossen. Der Wetteifer, von den Pädagogen oft über Gebühr gepriesen, oft ebenso ungebührlich gescholten, hat auf dieser Stufe der Erziehung seinen rechtmässigen Platz; man sollte ihm den Spielraum nicht gar zu eng ziehen, denn er ist diesem Alter natürlich und vermag die schönsten Kräfte aus dem Schlummer zu wecken. Seine Grenze aber und seinen Halt findet er an dem Sinn für Recht und Gesetz und für etwas wie ritterliche Sitten, die jeden unredlichen, zumal feiger, hinterlistiger Mittel sich bedienenden Wettbewerb scharf verurteilen. Das alles ist wertvoll als Schule, wie es denn auch in der Schule und aller schulmässigen Organisation, so im Waffendienst, vor- nehmlich seine Stätte findet. In diesem allen ist aber wiederum der Einfluss der Ge- meinschaft vorzüglich wichtig, ja entscheidend. Die straffe Organisation der Schule ist deshalb für diese Stufe eine Not- wendigkeit und durch nichts Andres zu ersetzen. Nur eine etwas zu einseitige Fortsetzung davon, ein bisher nicht organisch genug sich anfügendes, seinem ganzen Charakter nach aber Natorp, Sozialpädagogik. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/273
Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/273>, abgerufen am 03.12.2024.