lich ausgedrückt, blosse Kausalität. Der Vogel hat Flügel, weil er fliegen soll; nein, er hat Flügel und kann daher fliegen. Das Individuum erhält sich, weil die Gattung sich erhalten soll; nein, vielmehr damit, dass die Einzelwesen sich in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erhalten, erhält sich die Gat- tung in der ihrigen. Und schliesslich, indem die Gattungen unter sich ändernden Lebensbedingungen variationsfähig sind, erhält sich das Leben im ganzen, nämlich auf diesem Planeten, oder unter sonstwie begrenzten natürlichen Bedingungen. Dass aber Leben überhaupt, unter allen Bedingungen sich erhalten müsse, d. h. solle, ist keine Erkenntnis der Naturwissenschaft mehr, und keine naturwissenschaftlich mögliche Hypothese.
Wenn dies aber so ist, wie kommt überhaupt die Zweck- betrachtung in die Natur? Sie ist hineingetragen, wird man antworten. Allein woher hineingetragen? Aus uns; sie ist unsere subjektive Zuthat. Es sei; aber damit eröffnet sich eine ganz neue Aussicht. Die Zweckbetrachtung ist subjektiv, sie stammt aus uns; sind also wir nicht Naturwesen? Wie fände sonst bei uns die Zweckbetrachtung Anwendung, da doch bei keinem Naturwesen? Man muss wohl schliessen: da die Zweckbetrachtung ganz ausser der Bahn bloss naturwissen- schaftlicher Erwägung liegt, so kann sie auch aus uns nicht in die Natur hineingetragen sein, ausgenommen, wir selbst unter- liegen noch irgend andrer als naturwissenschaftlicher Erwägung.
Aller Zweck sei der Natur bloss angedichtet; es sei bloss subjektiver Zusatz zur kausalen Auffassung, die allein objektiven Grund hat. Es sei also, wie Spinoza will: Natur hat keine Zwecke, nur wir schreiben sie ihr zu, weil wir uns Zwecke setzen und geneigt sind, Natur nach menschlicher Analogie vorzustellen. Allein, wären wir selbst nichts andres als Natur (wie derselbe Spinoza behauptet), dächten wir uns nicht zum wenigsten anders, als wir Natur denken, so hätte die Idee des Zwecks genau so wenig Sinn für uns wie für die Natur. Dann aber, woher käme uns überhaupt dieser Begriff? Vielleicht wird man nun antworten: er ist überhaupt rechtlos, in Be- ziehung auf uns sowohl als auf die Natur. Allein nach seiner Berechtigung ist hier noch gar nicht die Frage, sondern nach
lich ausgedrückt, blosse Kausalität. Der Vogel hat Flügel, weil er fliegen soll; nein, er hat Flügel und kann daher fliegen. Das Individuum erhält sich, weil die Gattung sich erhalten soll; nein, vielmehr damit, dass die Einzelwesen sich in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erhalten, erhält sich die Gat- tung in der ihrigen. Und schliesslich, indem die Gattungen unter sich ändernden Lebensbedingungen variationsfähig sind, erhält sich das Leben im ganzen, nämlich auf diesem Planeten, oder unter sonstwie begrenzten natürlichen Bedingungen. Dass aber Leben überhaupt, unter allen Bedingungen sich erhalten müsse, d. h. solle, ist keine Erkenntnis der Naturwissenschaft mehr, und keine naturwissenschaftlich mögliche Hypothese.
Wenn dies aber so ist, wie kommt überhaupt die Zweck- betrachtung in die Natur? Sie ist hineingetragen, wird man antworten. Allein woher hineingetragen? Aus uns; sie ist unsere subjektive Zuthat. Es sei; aber damit eröffnet sich eine ganz neue Aussicht. Die Zweckbetrachtung ist subjektiv, sie stammt aus uns; sind also wir nicht Naturwesen? Wie fände sonst bei uns die Zweckbetrachtung Anwendung, da doch bei keinem Naturwesen? Man muss wohl schliessen: da die Zweckbetrachtung ganz ausser der Bahn bloss naturwissen- schaftlicher Erwägung liegt, so kann sie auch aus uns nicht in die Natur hineingetragen sein, ausgenommen, wir selbst unter- liegen noch irgend andrer als naturwissenschaftlicher Erwägung.
Aller Zweck sei der Natur bloss angedichtet; es sei bloss subjektiver Zusatz zur kausalen Auffassung, die allein objektiven Grund hat. Es sei also, wie Spinoza will: Natur hat keine Zwecke, nur wir schreiben sie ihr zu, weil wir uns Zwecke setzen und geneigt sind, Natur nach menschlicher Analogie vorzustellen. Allein, wären wir selbst nichts andres als Natur (wie derselbe Spinoza behauptet), dächten wir uns nicht zum wenigsten anders, als wir Natur denken, so hätte die Idee des Zwecks genau so wenig Sinn für uns wie für die Natur. Dann aber, woher käme uns überhaupt dieser Begriff? Vielleicht wird man nun antworten: er ist überhaupt rechtlos, in Be- ziehung auf uns sowohl als auf die Natur. Allein nach seiner Berechtigung ist hier noch gar nicht die Frage, sondern nach
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lich ausgedrückt, blosse Kausalität. Der Vogel hat Flügel,
weil er fliegen soll; nein, er hat Flügel und kann daher fliegen.
Das Individuum erhält sich, weil die Gattung sich erhalten
soll; nein, vielmehr damit, dass die Einzelwesen sich in den
Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erhalten, erhält sich die Gat-
tung in der ihrigen. Und schliesslich, indem die Gattungen
unter sich ändernden Lebensbedingungen variationsfähig sind,
erhält sich das Leben im ganzen, nämlich auf diesem Planeten,
oder unter sonstwie begrenzten natürlichen Bedingungen. Dass
aber Leben überhaupt, unter allen Bedingungen sich erhalten
müsse, d. h. solle, ist keine Erkenntnis der Naturwissenschaft
mehr, und keine naturwissenschaftlich mögliche Hypothese.
Wenn dies aber so ist, wie kommt überhaupt die Zweck-
betrachtung in die Natur? Sie ist hineingetragen, wird man
antworten. Allein woher hineingetragen? Aus uns; sie ist
unsere subjektive Zuthat. Es sei; aber damit eröffnet sich
eine ganz neue Aussicht. Die Zweckbetrachtung ist subjektiv,
sie stammt aus uns; sind also wir nicht Naturwesen? Wie
fände sonst bei uns die Zweckbetrachtung Anwendung, da
doch bei keinem Naturwesen? Man muss wohl schliessen: da
die Zweckbetrachtung ganz ausser der Bahn bloss naturwissen-
schaftlicher Erwägung liegt, so kann sie auch aus uns nicht in
die Natur hineingetragen sein, ausgenommen, wir selbst unter-
liegen noch irgend andrer als naturwissenschaftlicher Erwägung.
Aller Zweck sei der Natur bloss angedichtet; es sei bloss
subjektiver Zusatz zur kausalen Auffassung, die allein objektiven
Grund hat. Es sei also, wie Spinoza will: Natur hat keine
Zwecke, nur wir schreiben sie ihr zu, weil wir uns Zwecke
setzen und geneigt sind, Natur nach menschlicher Analogie
vorzustellen. Allein, wären wir selbst nichts andres als Natur
(wie derselbe Spinoza behauptet), dächten wir uns nicht zum
wenigsten anders, als wir Natur denken, so hätte die Idee des
Zwecks genau so wenig Sinn für uns wie für die Natur. Dann
aber, woher käme uns überhaupt dieser Begriff? Vielleicht
wird man nun antworten: er ist überhaupt rechtlos, in Be-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/25>, abgerufen am 11.12.2024.
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