Diese Eingewöhnung ist, wie wir durchweg anerkannt haben, sogar ein wesentlicher Faktor der Willenserziehung, und zwar der beherrschende auf einer bestimmten mittleren Stufe zwischen sinnlicher Abhängigkeit und sittlicher Freiheit, reiner Hetero- nomie und reiner Autonomie.
Das dürfte das Zutreffendste sein, was zu Gunsten der Notwendigkeit äusserer Autorität, also auch wohl der äusseren Mittel, die man zu ihrer Aufrechthaltung ins Spiel setzt, ge- sagt werden kann: dass ein Bewusstsein der Verantwortlichkeit nicht nur gegen sich selbst, gegen das Gesetz in der eignen Brust, sondern auch nach aussen, gegen den Andern, gegen das Gesetz der Gemeinschaft, in der man lebt, dadurch geweckt wird. Das ist in der That so wichtig, dass man -- voraus- gesetzt es sei durch die gedachten Mittel und nur durch sie zu erreichen -- selbst einigen Schaden in andrer Absicht da- gegen in den Kauf nehmen müsste. Der Erzieher darf vom Zögling verlangen, dass er das und das thut, er ist es schuldig, nicht bloss sich selbst; es geht nicht ihn allein, sondern auch den Andern an, wenn er es unterlässt oder Gegenteiliges thut; es bleibt ihm alsdann etwas gutzumachen. Auch genügt dazu nicht irgend eine aus freiem Ermessen etwa übernommene Leistung, geschweige gute Worte und gute Miene zum bösen Spiel, wie das Kind so gern glaubt, sondern der, dem es ver- antwortlich ist, hat zu bestimmen, was zum Gutmachen hin- reiche, er hat nach dem Grundsatz des Gleich um Gleich über den Schuldigen auch gegen seinen Willen zu verfügen. Das alles hat Sinn und Wert, und wenn es dem hartnäckig Widerstrebenden oder auch nur Schwerfälligen hin und wieder etwas derb zu Gemüte geführt werden muss, so ist das viel- leicht zu bedauern, aber nicht zu ändern, und dient schliess- lich zu seinem eignen Besten. Aus solchen Gründen ist die Strafjustiz in der häuslichen und Schulerziehung ebenso wie in der grösseren Erziehung der bürgerlichen Gemeinschaft un- entbehrlich und heilsam.
Aber zum wenigsten muss man sich klar machen, dass die rohen sinnlichen Mittel, die dem Erzieher so be- quem sind, die beabsichtigte Wirkung fast sicher ver-
Diese Eingewöhnung ist, wie wir durchweg anerkannt haben, sogar ein wesentlicher Faktor der Willenserziehung, und zwar der beherrschende auf einer bestimmten mittleren Stufe zwischen sinnlicher Abhängigkeit und sittlicher Freiheit, reiner Hetero- nomie und reiner Autonomie.
Das dürfte das Zutreffendste sein, was zu Gunsten der Notwendigkeit äusserer Autorität, also auch wohl der äusseren Mittel, die man zu ihrer Aufrechthaltung ins Spiel setzt, ge- sagt werden kann: dass ein Bewusstsein der Verantwortlichkeit nicht nur gegen sich selbst, gegen das Gesetz in der eignen Brust, sondern auch nach aussen, gegen den Andern, gegen das Gesetz der Gemeinschaft, in der man lebt, dadurch geweckt wird. Das ist in der That so wichtig, dass man — voraus- gesetzt es sei durch die gedachten Mittel und nur durch sie zu erreichen — selbst einigen Schaden in andrer Absicht da- gegen in den Kauf nehmen müsste. Der Erzieher darf vom Zögling verlangen, dass er das und das thut, er ist es schuldig, nicht bloss sich selbst; es geht nicht ihn allein, sondern auch den Andern an, wenn er es unterlässt oder Gegenteiliges thut; es bleibt ihm alsdann etwas gutzumachen. Auch genügt dazu nicht irgend eine aus freiem Ermessen etwa übernommene Leistung, geschweige gute Worte und gute Miene zum bösen Spiel, wie das Kind so gern glaubt, sondern der, dem es ver- antwortlich ist, hat zu bestimmen, was zum Gutmachen hin- reiche, er hat nach dem Grundsatz des Gleich um Gleich über den Schuldigen auch gegen seinen Willen zu verfügen. Das alles hat Sinn und Wert, und wenn es dem hartnäckig Widerstrebenden oder auch nur Schwerfälligen hin und wieder etwas derb zu Gemüte geführt werden muss, so ist das viel- leicht zu bedauern, aber nicht zu ändern, und dient schliess- lich zu seinem eignen Besten. Aus solchen Gründen ist die Strafjustiz in der häuslichen und Schulerziehung ebenso wie in der grösseren Erziehung der bürgerlichen Gemeinschaft un- entbehrlich und heilsam.
Aber zum wenigsten muss man sich klar machen, dass die rohen sinnlichen Mittel, die dem Erzieher so be- quem sind, die beabsichtigte Wirkung fast sicher ver-
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Diese Eingewöhnung ist, wie wir durchweg anerkannt haben,
sogar ein wesentlicher Faktor der Willenserziehung, und zwar
der beherrschende auf einer bestimmten mittleren Stufe zwischen
sinnlicher Abhängigkeit und sittlicher Freiheit, reiner Hetero-
nomie und reiner Autonomie.
Das dürfte das Zutreffendste sein, was zu Gunsten der
Notwendigkeit äusserer Autorität, also auch wohl der äusseren
Mittel, die man zu ihrer Aufrechthaltung ins Spiel setzt, ge-
sagt werden kann: dass ein Bewusstsein der Verantwortlichkeit
nicht nur gegen sich selbst, gegen das Gesetz in der eignen
Brust, sondern auch nach aussen, gegen den Andern, gegen
das Gesetz der Gemeinschaft, in der man lebt, dadurch geweckt
wird. Das ist in der That so wichtig, dass man — voraus-
gesetzt es sei durch die gedachten Mittel und nur durch sie
zu erreichen — selbst einigen Schaden in andrer Absicht da-
gegen in den Kauf nehmen müsste. Der Erzieher darf vom
Zögling verlangen, dass er das und das thut, er ist es schuldig,
nicht bloss sich selbst; es geht nicht ihn allein, sondern auch
den Andern an, wenn er es unterlässt oder Gegenteiliges thut;
es bleibt ihm alsdann etwas gutzumachen. Auch genügt dazu
nicht irgend eine aus freiem Ermessen etwa übernommene
Leistung, geschweige gute Worte und gute Miene zum bösen
Spiel, wie das Kind so gern glaubt, sondern der, dem es ver-
antwortlich ist, hat zu bestimmen, was zum Gutmachen hin-
reiche, er hat nach dem Grundsatz des Gleich um Gleich
über den Schuldigen auch gegen seinen Willen zu verfügen.
Das alles hat Sinn und Wert, und wenn es dem hartnäckig
Widerstrebenden oder auch nur Schwerfälligen hin und wieder
etwas derb zu Gemüte geführt werden muss, so ist das viel-
leicht zu bedauern, aber nicht zu ändern, und dient schliess-
lich zu seinem eignen Besten. Aus solchen Gründen ist die
Strafjustiz in der häuslichen und Schulerziehung ebenso wie
in der grösseren Erziehung der bürgerlichen Gemeinschaft un-
entbehrlich und heilsam.
Aber zum wenigsten muss man sich klar machen, dass
die rohen sinnlichen Mittel, die dem Erzieher so be-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/247>, abgerufen am 23.11.2024.
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