wäre von andern als ursachlichen Beziehungen zu reden über- haupt kein Anlass.
So erscheint hier der Unterschied ursachlicher und zweck- licher, kausaler und teleologischer Betrachtung nur "subjektiv", nur ein Unterschied des Standorts des Beurteilers. Soll aber eins von beiden den "objektiven" Thatbestand ausdrücken, so kann es nur das Ursachverhältnis sein; kein Wunder, da ein Thatbestand eben nur ist, niemals, als solcher, bloss sein soll.
Also das Sollen scheint in der teleologischen Betrachtung materieller Entwicklung überhaupt ohne Not eingeführt zu werden; jedenfalls nachdem es einmal eingeführt worden, ist alles Weitere nur Erwägung des Verhältnisses von Bedingung und Bedingtem; also, da es sich um zeitliche Bedingtheit handelt, des ursachlichen Verhältnisses. Nur diese Erwägung ist natur- wissenschaftlich, nicht die teleologische.
Zum Beispiel, das einzelne Organ dient -- so sagt man -- oder ist bestimmt zu einer gewissen Verrichtung; das heisst im Grunde nur, diese ist durch jenes bedingt. Diese Ver- richtung dient etwa weiter der Erhaltung des individuellen Organismus; diese der Erhaltung der Gattung; und diese etwa der Erhaltung von Leben überhaupt; wenn ein Leben über- haupt unter solchen und solchen Bedingungen bestehen sollte, so musste eine diesen Bedingungen angepasste Organisation sich bilden. Allein weshalb musste überhaupt Leben sein? So lange man im Kreise naturwissenschaftlicher Erwägung bleibt, giebt es auf eine solche Frage keine Antwort mehr. Irgend ein letztes Soll wird also grundlos eingeführt; wenigstens langen die Methoden der Naturwissenschaft nicht zu es zu begründen. Das Hypothese zu nennen wäre Missbrauch des Namens. Naturwissenschaftliche Hypothesen müssen den Be- dingungen naturwissenschaftlicher Bewahrheitung genügen; naturwissenschaftlicher Beweis aber langt zu für Thatsachen und ursachliche Zusammenhänge von Thatsachen, nicht für ein Sollen, das etwas mehr als ein andrer Ausdruck des Ur- sachverhältnisses wäre. Ein ursprüngliches Sollen liegt ganz ausser dem Wege der Naturwissenschaft. Das Sollen, von dem sie etwa spricht, ist kein ursprüngliches, sondern es ist, eigent-
wäre von andern als ursachlichen Beziehungen zu reden über- haupt kein Anlass.
So erscheint hier der Unterschied ursachlicher und zweck- licher, kausaler und teleologischer Betrachtung nur „subjektiv“, nur ein Unterschied des Standorts des Beurteilers. Soll aber eins von beiden den „objektiven“ Thatbestand ausdrücken, so kann es nur das Ursachverhältnis sein; kein Wunder, da ein Thatbestand eben nur ist, niemals, als solcher, bloss sein soll.
Also das Sollen scheint in der teleologischen Betrachtung materieller Entwicklung überhaupt ohne Not eingeführt zu werden; jedenfalls nachdem es einmal eingeführt worden, ist alles Weitere nur Erwägung des Verhältnisses von Bedingung und Bedingtem; also, da es sich um zeitliche Bedingtheit handelt, des ursachlichen Verhältnisses. Nur diese Erwägung ist natur- wissenschaftlich, nicht die teleologische.
Zum Beispiel, das einzelne Organ dient — so sagt man — oder ist bestimmt zu einer gewissen Verrichtung; das heisst im Grunde nur, diese ist durch jenes bedingt. Diese Ver- richtung dient etwa weiter der Erhaltung des individuellen Organismus; diese der Erhaltung der Gattung; und diese etwa der Erhaltung von Leben überhaupt; wenn ein Leben über- haupt unter solchen und solchen Bedingungen bestehen sollte, so musste eine diesen Bedingungen angepasste Organisation sich bilden. Allein weshalb musste überhaupt Leben sein? So lange man im Kreise naturwissenschaftlicher Erwägung bleibt, giebt es auf eine solche Frage keine Antwort mehr. Irgend ein letztes Soll wird also grundlos eingeführt; wenigstens langen die Methoden der Naturwissenschaft nicht zu es zu begründen. Das Hypothese zu nennen wäre Missbrauch des Namens. Naturwissenschaftliche Hypothesen müssen den Be- dingungen naturwissenschaftlicher Bewahrheitung genügen; naturwissenschaftlicher Beweis aber langt zu für Thatsachen und ursachliche Zusammenhänge von Thatsachen, nicht für ein Sollen, das etwas mehr als ein andrer Ausdruck des Ur- sachverhältnisses wäre. Ein ursprüngliches Sollen liegt ganz ausser dem Wege der Naturwissenschaft. Das Sollen, von dem sie etwa spricht, ist kein ursprüngliches, sondern es ist, eigent-
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wäre von andern als ursachlichen Beziehungen zu reden über-
haupt kein Anlass.
So erscheint hier der Unterschied ursachlicher und zweck-
licher, kausaler und teleologischer Betrachtung nur „subjektiv“,
nur ein Unterschied des Standorts des Beurteilers. Soll aber
eins von beiden den „objektiven“ Thatbestand ausdrücken, so
kann es nur das Ursachverhältnis sein; kein Wunder, da ein
Thatbestand eben nur ist, niemals, als solcher, bloss sein soll.
Also das Sollen scheint in der teleologischen Betrachtung
materieller Entwicklung überhaupt ohne Not eingeführt zu
werden; jedenfalls nachdem es einmal eingeführt worden, ist
alles Weitere nur Erwägung des Verhältnisses von Bedingung
und Bedingtem; also, da es sich um zeitliche Bedingtheit handelt,
des ursachlichen Verhältnisses. Nur diese Erwägung ist natur-
wissenschaftlich, nicht die teleologische.
Zum Beispiel, das einzelne Organ dient — so sagt man —
oder ist bestimmt zu einer gewissen Verrichtung; das heisst
im Grunde nur, diese ist durch jenes bedingt. Diese Ver-
richtung dient etwa weiter der Erhaltung des individuellen
Organismus; diese der Erhaltung der Gattung; und diese etwa
der Erhaltung von Leben überhaupt; wenn ein Leben über-
haupt unter solchen und solchen Bedingungen bestehen sollte,
so musste eine diesen Bedingungen angepasste Organisation
sich bilden. Allein weshalb musste überhaupt Leben sein?
So lange man im Kreise naturwissenschaftlicher Erwägung
bleibt, giebt es auf eine solche Frage keine Antwort mehr.
Irgend ein letztes Soll wird also grundlos eingeführt; wenigstens
langen die Methoden der Naturwissenschaft nicht zu es zu
begründen. Das Hypothese zu nennen wäre Missbrauch des
Namens. Naturwissenschaftliche Hypothesen müssen den Be-
dingungen naturwissenschaftlicher Bewahrheitung genügen;
naturwissenschaftlicher Beweis aber langt zu für Thatsachen
und ursachliche Zusammenhänge von Thatsachen, nicht für
ein Sollen, das etwas mehr als ein andrer Ausdruck des Ur-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/24>, abgerufen am 21.11.2024.
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