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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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zu dem gedachten Ziel ist: dass unter dem Einfluss erhöhter
Arbeitsgemeinschaft Familienverbände sich bilden, zu deren
vornehmsten Aufgaben die gemeinschaftliche Sorge um die Er-
ziehung der Kinder gehört. So wäre eine Garantie geboten,
die einzig mögliche, wie mir scheint, dass die vor allem um
der Erziehung willen zu verlangende grössere Freiheit vom
Arbeitszwang (durch gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit
bei gleichzeitiger Sicherung eines angemessenen Arbeitsein-
kommens) auch wirklich der Erziehung zugute kommt; was
weder bei der starr individualistisch gedachten Familie noch
vollends bei gänzlicher Abwälzung der Erziehungspflicht auf
Andre der Fall wäre. So entstände etwas dem Fröbelschen
Kindergarten Aehnliches; aber es wäre eine ungleich organischere
Form der Hauserziehung, eine bloss erweiterte, von individua-
listischer Absperrung befreite Familienerziehung. Der Kinder-
garten, wie er heute möglich ist, bleibt dahinter notwendig
zurück, aber er liesse sich schrittweis dahin überführen, durch
Verbindung mit sämtlichen, irgendwie planmässig zu ver-
einigenden Anstalten zur Hebung der Lebenshaltung der Arbeiter
möglichst auf dem Wege der Selbsthülfe, und successiv stärkere
Heranziehung der Arbeiter und Arbeiterfrauen selbst, je nach
ihrer relativen Befreiung vom Arbeitszwange, zur Erziehungs-
arbeit in den an die Familienverbände der Arbeiter anzu-
gliedernden Kindergärten.

Einen andern Weg sehe ich nicht, bin aber jedem dank-
bar, der ihn zeigt. Man würde einer Verständigung vielleicht
geneigter sein, wenn man sich erst den Ernst der Frage ein-
mal ganz klar machte; wenn man sich bewusst wäre, was für
die Erziehung des Menschen gerade die ersten Lebensjahre
bedeuten. Die theoretische Pädagogik sieht darüber noch immer
in unbegreiflicher Leichtfertigkeit hinweg. Sie redet meist so,
als ob das Eigentliche der Erziehung erst mit dem schul-
pflichtigen Alter begänne, als ob das, was vorhergeht, nichts
mehr als eine geringfügige, spielende Vorarbeit für das Werk
wäre, das ernsthaft erst die Schule in ihre geschickte Hand
nehme. Und doch hat es schon Pestalozzi so ganz anders
gewusst. Es ist nicht zu viel gesagt, dass ebenso, wie das

zu dem gedachten Ziel ist: dass unter dem Einfluss erhöhter
Arbeitsgemeinschaft Familienverbände sich bilden, zu deren
vornehmsten Aufgaben die gemeinschaftliche Sorge um die Er-
ziehung der Kinder gehört. So wäre eine Garantie geboten,
die einzig mögliche, wie mir scheint, dass die vor allem um
der Erziehung willen zu verlangende grössere Freiheit vom
Arbeitszwang (durch gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit
bei gleichzeitiger Sicherung eines angemessenen Arbeitsein-
kommens) auch wirklich der Erziehung zugute kommt; was
weder bei der starr individualistisch gedachten Familie noch
vollends bei gänzlicher Abwälzung der Erziehungspflicht auf
Andre der Fall wäre. So entstände etwas dem Fröbelschen
Kindergarten Aehnliches; aber es wäre eine ungleich organischere
Form der Hauserziehung, eine bloss erweiterte, von individua-
listischer Absperrung befreite Familienerziehung. Der Kinder-
garten, wie er heute möglich ist, bleibt dahinter notwendig
zurück, aber er liesse sich schrittweis dahin überführen, durch
Verbindung mit sämtlichen, irgendwie planmässig zu ver-
einigenden Anstalten zur Hebung der Lebenshaltung der Arbeiter
möglichst auf dem Wege der Selbsthülfe, und successiv stärkere
Heranziehung der Arbeiter und Arbeiterfrauen selbst, je nach
ihrer relativen Befreiung vom Arbeitszwange, zur Erziehungs-
arbeit in den an die Familienverbände der Arbeiter anzu-
gliedernden Kindergärten.

Einen andern Weg sehe ich nicht, bin aber jedem dank-
bar, der ihn zeigt. Man würde einer Verständigung vielleicht
geneigter sein, wenn man sich erst den Ernst der Frage ein-
mal ganz klar machte; wenn man sich bewusst wäre, was für
die Erziehung des Menschen gerade die ersten Lebensjahre
bedeuten. Die theoretische Pädagogik sieht darüber noch immer
in unbegreiflicher Leichtfertigkeit hinweg. Sie redet meist so,
als ob das Eigentliche der Erziehung erst mit dem schul-
pflichtigen Alter begänne, als ob das, was vorhergeht, nichts
mehr als eine geringfügige, spielende Vorarbeit für das Werk
wäre, das ernsthaft erst die Schule in ihre geschickte Hand
nehme. Und doch hat es schon Pestalozzi so ganz anders
gewusst. Es ist nicht zu viel gesagt, dass ebenso, wie das

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[199/0215] zu dem gedachten Ziel ist: dass unter dem Einfluss erhöhter Arbeitsgemeinschaft Familienverbände sich bilden, zu deren vornehmsten Aufgaben die gemeinschaftliche Sorge um die Er- ziehung der Kinder gehört. So wäre eine Garantie geboten, die einzig mögliche, wie mir scheint, dass die vor allem um der Erziehung willen zu verlangende grössere Freiheit vom Arbeitszwang (durch gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Sicherung eines angemessenen Arbeitsein- kommens) auch wirklich der Erziehung zugute kommt; was weder bei der starr individualistisch gedachten Familie noch vollends bei gänzlicher Abwälzung der Erziehungspflicht auf Andre der Fall wäre. So entstände etwas dem Fröbelschen Kindergarten Aehnliches; aber es wäre eine ungleich organischere Form der Hauserziehung, eine bloss erweiterte, von individua- listischer Absperrung befreite Familienerziehung. Der Kinder- garten, wie er heute möglich ist, bleibt dahinter notwendig zurück, aber er liesse sich schrittweis dahin überführen, durch Verbindung mit sämtlichen, irgendwie planmässig zu ver- einigenden Anstalten zur Hebung der Lebenshaltung der Arbeiter möglichst auf dem Wege der Selbsthülfe, und successiv stärkere Heranziehung der Arbeiter und Arbeiterfrauen selbst, je nach ihrer relativen Befreiung vom Arbeitszwange, zur Erziehungs- arbeit in den an die Familienverbände der Arbeiter anzu- gliedernden Kindergärten. Einen andern Weg sehe ich nicht, bin aber jedem dank- bar, der ihn zeigt. Man würde einer Verständigung vielleicht geneigter sein, wenn man sich erst den Ernst der Frage ein- mal ganz klar machte; wenn man sich bewusst wäre, was für die Erziehung des Menschen gerade die ersten Lebensjahre bedeuten. Die theoretische Pädagogik sieht darüber noch immer in unbegreiflicher Leichtfertigkeit hinweg. Sie redet meist so, als ob das Eigentliche der Erziehung erst mit dem schul- pflichtigen Alter begänne, als ob das, was vorhergeht, nichts mehr als eine geringfügige, spielende Vorarbeit für das Werk wäre, das ernsthaft erst die Schule in ihre geschickte Hand nehme. Und doch hat es schon Pestalozzi so ganz anders gewusst. Es ist nicht zu viel gesagt, dass ebenso, wie das

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/215>, abgerufen am 24.11.2024.