Gestalten des gegebenen Stoffs zur vorschwebenden Idee, oder an die plastische Kraft der Natur in ihren organischen Hervor- bringungen, das spontane Sichgestalten, so wie so ist das Wort bezeichnend wie kein anderes; es weist hin auf das innere Gesetz, nach dem ein Gebild, sei es als Werk der Kunst ge- staltet wird oder als Werk der Natur sich selbst gestaltet.
Doch behält daneben das Wort Erziehung seinen eigen- tümlichen und hinreichend allgemeinen Sinn. Es ist bezeichnend gerade nach der Seite, die das Wort Bildung unentschieden lässt. Es weist darauf hin, dass die menschliche Bildung, wie sehr auch Sache natürlicher Entwicklung, doch zugleich einer auf Förderung oder wenigstens Schutz dieser Entwicklung planvoll gerichteten Bemühung bedarf. Es liegt darin die Ana- logie des Aufziehens, des absichtlichen Züchtens, der "Kultur" von Pflanzen und Tieren, im Unterschied vom bloss natürlichen, spontanen Aufwachsen. Das Wort besagt: durch geeignete Behandlung oder Pflege zum gedeihlichen Wachstum bringen. Darin liegen diese zwei Voraussetzungen: erstens, es giebt ein Wachstum, eine stetig wie nach innerem Plan fortschreitende Entwicklung mitgebrachter Anlagen zu einer gewissen Höhe, die unter bestimmten, normalen Bedingungen sicher erreicht wird; zweitens aber, es ist möglich und notwendig, dies Wachs- tum zu unterstützen, mindestens Störungen desselben hintanzu- halten durch eigens darauf gerichtete planmässige Vorsorge, ohne welche die gleiche Höhe der Ausbildung nicht, oder nicht ebenso rasch, oder nur mit sonstigen Nachteilen erreicht wird. Es wird damit nicht geleugnet, dass Bildung innere Entfaltung gegebener Keime ist; auch das Wachstum der Pflanze, des Tiers macht ja nicht die Kultur; aber es wird bestimmter heraus- gehoben, dass die mitwirkende Thätigkeit des andern gleich- wohl unerlässlich ist, ohne die auch des Menschen eigenste Anlage sich nicht gehörig entfalten, sondern verkümmern würde. Auch wenn von Selbsterziehung gesprochen wird, denkt man eigentlich zwei Personen in einer vereint, die, welche erzogen wird, und die andere, welche erzieht. Auch so betont das Wort, dass nicht nur der Wille es ist, welcher gebildet werden soll, sondern auch die bildende Thätigkeit Sache des Willens,
Gestalten des gegebenen Stoffs zur vorschwebenden Idee, oder an die plastische Kraft der Natur in ihren organischen Hervor- bringungen, das spontane Sichgestalten, so wie so ist das Wort bezeichnend wie kein anderes; es weist hin auf das innere Gesetz, nach dem ein Gebild, sei es als Werk der Kunst ge- staltet wird oder als Werk der Natur sich selbst gestaltet.
Doch behält daneben das Wort Erziehung seinen eigen- tümlichen und hinreichend allgemeinen Sinn. Es ist bezeichnend gerade nach der Seite, die das Wort Bildung unentschieden lässt. Es weist darauf hin, dass die menschliche Bildung, wie sehr auch Sache natürlicher Entwicklung, doch zugleich einer auf Förderung oder wenigstens Schutz dieser Entwicklung planvoll gerichteten Bemühung bedarf. Es liegt darin die Ana- logie des Aufziehens, des absichtlichen Züchtens, der „Kultur“ von Pflanzen und Tieren, im Unterschied vom bloss natürlichen, spontanen Aufwachsen. Das Wort besagt: durch geeignete Behandlung oder Pflege zum gedeihlichen Wachstum bringen. Darin liegen diese zwei Voraussetzungen: erstens, es giebt ein Wachstum, eine stetig wie nach innerem Plan fortschreitende Entwicklung mitgebrachter Anlagen zu einer gewissen Höhe, die unter bestimmten, normalen Bedingungen sicher erreicht wird; zweitens aber, es ist möglich und notwendig, dies Wachs- tum zu unterstützen, mindestens Störungen desselben hintanzu- halten durch eigens darauf gerichtete planmässige Vorsorge, ohne welche die gleiche Höhe der Ausbildung nicht, oder nicht ebenso rasch, oder nur mit sonstigen Nachteilen erreicht wird. Es wird damit nicht geleugnet, dass Bildung innere Entfaltung gegebener Keime ist; auch das Wachstum der Pflanze, des Tiers macht ja nicht die Kultur; aber es wird bestimmter heraus- gehoben, dass die mitwirkende Thätigkeit des andern gleich- wohl unerlässlich ist, ohne die auch des Menschen eigenste Anlage sich nicht gehörig entfalten, sondern verkümmern würde. Auch wenn von Selbsterziehung gesprochen wird, denkt man eigentlich zwei Personen in einer vereint, die, welche erzogen wird, und die andere, welche erzieht. Auch so betont das Wort, dass nicht nur der Wille es ist, welcher gebildet werden soll, sondern auch die bildende Thätigkeit Sache des Willens,
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Gestalten des gegebenen Stoffs zur vorschwebenden Idee, oder
an die plastische Kraft der Natur in ihren organischen Hervor-
bringungen, das spontane Sichgestalten, so wie so ist das Wort
bezeichnend wie kein anderes; es weist hin auf das innere
Gesetz, nach dem ein Gebild, sei es als Werk der Kunst ge-
staltet wird oder als Werk der Natur sich selbst gestaltet.
Doch behält daneben das Wort Erziehung seinen eigen-
tümlichen und hinreichend allgemeinen Sinn. Es ist bezeichnend
gerade nach der Seite, die das Wort Bildung unentschieden
lässt. Es weist darauf hin, dass die menschliche Bildung,
wie sehr auch Sache natürlicher Entwicklung, doch zugleich
einer auf Förderung oder wenigstens Schutz dieser Entwicklung
planvoll gerichteten Bemühung bedarf. Es liegt darin die Ana-
logie des Aufziehens, des absichtlichen Züchtens, der „Kultur“
von Pflanzen und Tieren, im Unterschied vom bloss natürlichen,
spontanen Aufwachsen. Das Wort besagt: durch geeignete
Behandlung oder Pflege zum gedeihlichen Wachstum bringen.
Darin liegen diese zwei Voraussetzungen: erstens, es giebt ein
Wachstum, eine stetig wie nach innerem Plan fortschreitende
Entwicklung mitgebrachter Anlagen zu einer gewissen Höhe,
die unter bestimmten, normalen Bedingungen sicher erreicht
wird; zweitens aber, es ist möglich und notwendig, dies Wachs-
tum zu unterstützen, mindestens Störungen desselben hintanzu-
halten durch eigens darauf gerichtete planmässige Vorsorge,
ohne welche die gleiche Höhe der Ausbildung nicht, oder nicht
ebenso rasch, oder nur mit sonstigen Nachteilen erreicht wird.
Es wird damit nicht geleugnet, dass Bildung innere Entfaltung
gegebener Keime ist; auch das Wachstum der Pflanze, des Tiers
macht ja nicht die Kultur; aber es wird bestimmter heraus-
gehoben, dass die mitwirkende Thätigkeit des andern gleich-
wohl unerlässlich ist, ohne die auch des Menschen eigenste
Anlage sich nicht gehörig entfalten, sondern verkümmern würde.
Auch wenn von Selbsterziehung gesprochen wird, denkt man
eigentlich zwei Personen in einer vereint, die, welche erzogen
wird, und die andere, welche erzieht. Auch so betont das
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/20>, abgerufen am 22.11.2024.
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