Technik selbst auf dem Fortschritt der Naturerkenntnis, also doch einem Fortschritt des Bewusstseins. Sodann aber, dass die neue Erkenntnis thatsächlich in den Dienst mensch- licher, und zwar in Gemeinschaft verfolgter Zwecke gestellt wird, setzt voraus, dass auch die sozialen Ordnungen sich den neuen Bedingungen anpassen. Dazu aber gehört erstlich wieder- um ein Fortschritt technischer, nämlich sozialtechnischer Ein- sicht, dann aber und hauptsächlich die Umwandlung des Willens derer, von denen die Gestaltung der sozialen Ord- nung abhängt. Diese aber beruht nicht allein auf der tech- nischen Erwägung des für einen gegebenen Zweck tauglichsten Mittels, sondern gerade, wo es sich um tiefgreifende Aende- rungen handelt, wird es sich vor allem fragen, ob der Zweck selbst wünschenswert sei, eine Frage, die sich allein entscheidet aus dem Gesichtspunkte der bestmöglichen Ordnung der Zwecke selbst. Das aber fällt schon gar nicht mehr unter technische, sondern unmittelbar unter sittliche Erwägung. Es wäre die wunderlichste Selbsttäuschung, wenn der Sozialis- mus, der sich selbst den wissenschaftlichen nennt, glauben würde, in der Erwägung der zu erwartenden und zu befördernden sozialen Entwicklung vom sittlichen Gesichtspunkt überhaupt absehen zu können. Man wird sich auf die Dauer der ganz prinzipiellen Ueberlegung nicht entziehen können: dass erstens jeder einzelne hier in Betracht kommende Fortschritt, heisse er material oder geistig, doch eben Fortschritt des Be- wusstseins ist; und zweitens, was dieser bloss erkenntniskriti- schen Besinnung erst volles Gewicht in der Entscheidung der hier gestellten Frage giebt: dass, was überhaupt von irgend einer Seite her das Bewusstsein berührt, kraft des Grund- gesetzes der Einheit, der Kontinuität des Bewusstseins, in innerem, methodisch zu begründendem, mithin gesetzmässigem Zusammenhang gedacht und dargestellt werden kann und muss; dass von den untersten materialen Bedingungen bis zum höchsten Gesetze der Bewusstseinsform, dem Gesetze der Idee, ein durchgehender, ununterbrochener Zusammenhang besteht. Dies folgt deduktiv aus den Prinzi- pien des Idealismus, während es aus denen des Materialismus
Technik selbst auf dem Fortschritt der Naturerkenntnis, also doch einem Fortschritt des Bewusstseins. Sodann aber, dass die neue Erkenntnis thatsächlich in den Dienst mensch- licher, und zwar in Gemeinschaft verfolgter Zwecke gestellt wird, setzt voraus, dass auch die sozialen Ordnungen sich den neuen Bedingungen anpassen. Dazu aber gehört erstlich wieder- um ein Fortschritt technischer, nämlich sozialtechnischer Ein- sicht, dann aber und hauptsächlich die Umwandlung des Willens derer, von denen die Gestaltung der sozialen Ord- nung abhängt. Diese aber beruht nicht allein auf der tech- nischen Erwägung des für einen gegebenen Zweck tauglichsten Mittels, sondern gerade, wo es sich um tiefgreifende Aende- rungen handelt, wird es sich vor allem fragen, ob der Zweck selbst wünschenswert sei, eine Frage, die sich allein entscheidet aus dem Gesichtspunkte der bestmöglichen Ordnung der Zwecke selbst. Das aber fällt schon gar nicht mehr unter technische, sondern unmittelbar unter sittliche Erwägung. Es wäre die wunderlichste Selbsttäuschung, wenn der Sozialis- mus, der sich selbst den wissenschaftlichen nennt, glauben würde, in der Erwägung der zu erwartenden und zu befördernden sozialen Entwicklung vom sittlichen Gesichtspunkt überhaupt absehen zu können. Man wird sich auf die Dauer der ganz prinzipiellen Ueberlegung nicht entziehen können: dass erstens jeder einzelne hier in Betracht kommende Fortschritt, heisse er material oder geistig, doch eben Fortschritt des Be- wusstseins ist; und zweitens, was dieser bloss erkenntniskriti- schen Besinnung erst volles Gewicht in der Entscheidung der hier gestellten Frage giebt: dass, was überhaupt von irgend einer Seite her das Bewusstsein berührt, kraft des Grund- gesetzes der Einheit, der Kontinuität des Bewusstseins, in innerem, methodisch zu begründendem, mithin gesetzmässigem Zusammenhang gedacht und dargestellt werden kann und muss; dass von den untersten materialen Bedingungen bis zum höchsten Gesetze der Bewusstseinsform, dem Gesetze der Idee, ein durchgehender, ununterbrochener Zusammenhang besteht. Dies folgt deduktiv aus den Prinzi- pien des Idealismus, während es aus denen des Materialismus
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Technik selbst auf dem Fortschritt der Naturerkenntnis, also
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dass die neue Erkenntnis thatsächlich in den Dienst mensch-
licher, und zwar in Gemeinschaft verfolgter Zwecke gestellt
wird, setzt voraus, dass auch die sozialen Ordnungen sich den
neuen Bedingungen anpassen. Dazu aber gehört erstlich wieder-
um ein Fortschritt technischer, nämlich sozialtechnischer Ein-
sicht, dann aber und hauptsächlich die Umwandlung des
Willens derer, von denen die Gestaltung der sozialen Ord-
nung abhängt. Diese aber beruht nicht allein auf der tech-
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Mittels, sondern gerade, wo es sich um tiefgreifende Aende-
rungen handelt, wird es sich vor allem fragen, ob der Zweck
selbst wünschenswert sei, eine Frage, die sich allein entscheidet
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Zwecke selbst. Das aber fällt schon gar nicht mehr unter
technische, sondern unmittelbar unter sittliche Erwägung.
Es wäre die wunderlichste Selbsttäuschung, wenn der Sozialis-
mus, der sich selbst den wissenschaftlichen nennt, glauben würde,
in der Erwägung der zu erwartenden und zu befördernden
sozialen Entwicklung vom sittlichen Gesichtspunkt überhaupt
absehen zu können. Man wird sich auf die Dauer der ganz
prinzipiellen Ueberlegung nicht entziehen können: dass erstens
jeder einzelne hier in Betracht kommende Fortschritt,
heisse er material oder geistig, doch eben Fortschritt des Be-
wusstseins ist; und zweitens, was dieser bloss erkenntniskriti-
schen Besinnung erst volles Gewicht in der Entscheidung der
hier gestellten Frage giebt: dass, was überhaupt von irgend
einer Seite her das Bewusstsein berührt, kraft des Grund-
gesetzes der Einheit, der Kontinuität des Bewusstseins,
in innerem, methodisch zu begründendem, mithin
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werden kann und muss; dass von den untersten materialen
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/182>, abgerufen am 04.12.2024.
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