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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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Thätigkeiten liegen, immer auch noch die Aufgabe hat, für ihre
eigene Erhaltung zu sorgen. Daher stellt das Recht nicht
bloss Normen für wirtschaftliche und bildende Thätigkeit auf,
sondern auch Normen darüber, wie Recht gemacht und durch-
geführt und, wenn verletzt, wiederhergestellt wird; wie der
ganze, der Erhaltung und auch Fortbildung des Rechtszustands
dienende Betrieb in Gang zu erhalten, die abgehenden Kräfte
zu ersetzen sind u. s. f. Kurz, das Recht, und so alle Regie-
rung, muss in weitem Umfang für sich selber, d. h. für seine
beständige Reproduktion sorgen; und dieser Zwang der Selbst-
sorge erklärt die oft auffallende Einseitigkeit, in der die regie-
renden Thätigkeiten, bis zur Vergewaltigung andrer, vielleicht
wesentlicherer Zwecke, nur ihre eigene Bedeutung und Autorität
um jeden Preis behaupten zu wollen scheinen; während sie
doch unmöglich Zweck ihrer selbst, sondern nur ein zu sonstigen
menschlichen Zwecken dienendes Mittel sein können. Es soll
damit die Einseitigkeit der Ansprüche, welche die regierenden
Funktionen im sozialen Leben erheben, keineswegs gutgeheissen
werden; aber sie ist hier von Interesse als ein auffallender Beweis
der relativen Selbständigkeit dieser Funktionen. Es würde sogar
voreilig sein, aus dieser etwa zu schliessen, dass die regierenden
Funktionen notwendig einer abgesonderten regierenden
Klasse
zufielen. Es würde an unsren Aufstellungen nichts
geändert, auch wenn man sich eine so vollendete Selbstregierung
dächte, dass es einer eigenen regierenden Klasse überhaupt
nicht mehr bedürfte. Das wäre etwa der verständliche Sinn
des "Anarchismus": nicht dass es keine Regierung, sondern
keinen regierenden Stand, d. h. bloss Selbstregierung gäbe.
Die Funktionen der Regierung selbst könnten dabei immer
noch ganz die gleiche Selbständigkeit bewahren, wie da, wo
sie ausschliesslich oder doch der Hauptsache nach in der Hand
einer eigenen Klasse sind.

Ebenso wenig aber lässt sich verkennen, dass auch der
dritte Grundfaktor menschlicher Thätigkeit, die Vernunft,
eine eigene, von beiden andern begrifflich scharf zu sondernde
Klasse von Thätigkeiten und zwar auch sozialen Thätigkeiten
begründet. Wir nennen sie bildende Thätigkeiten, indem wir

Thätigkeiten liegen, immer auch noch die Aufgabe hat, für ihre
eigene Erhaltung zu sorgen. Daher stellt das Recht nicht
bloss Normen für wirtschaftliche und bildende Thätigkeit auf,
sondern auch Normen darüber, wie Recht gemacht und durch-
geführt und, wenn verletzt, wiederhergestellt wird; wie der
ganze, der Erhaltung und auch Fortbildung des Rechtszustands
dienende Betrieb in Gang zu erhalten, die abgehenden Kräfte
zu ersetzen sind u. s. f. Kurz, das Recht, und so alle Regie-
rung, muss in weitem Umfang für sich selber, d. h. für seine
beständige Reproduktion sorgen; und dieser Zwang der Selbst-
sorge erklärt die oft auffallende Einseitigkeit, in der die regie-
renden Thätigkeiten, bis zur Vergewaltigung andrer, vielleicht
wesentlicherer Zwecke, nur ihre eigene Bedeutung und Autorität
um jeden Preis behaupten zu wollen scheinen; während sie
doch unmöglich Zweck ihrer selbst, sondern nur ein zu sonstigen
menschlichen Zwecken dienendes Mittel sein können. Es soll
damit die Einseitigkeit der Ansprüche, welche die regierenden
Funktionen im sozialen Leben erheben, keineswegs gutgeheissen
werden; aber sie ist hier von Interesse als ein auffallender Beweis
der relativen Selbständigkeit dieser Funktionen. Es würde sogar
voreilig sein, aus dieser etwa zu schliessen, dass die regierenden
Funktionen notwendig einer abgesonderten regierenden
Klasse
zufielen. Es würde an unsren Aufstellungen nichts
geändert, auch wenn man sich eine so vollendete Selbstregierung
dächte, dass es einer eigenen regierenden Klasse überhaupt
nicht mehr bedürfte. Das wäre etwa der verständliche Sinn
des „Anarchismus“: nicht dass es keine Regierung, sondern
keinen regierenden Stand, d. h. bloss Selbstregierung gäbe.
Die Funktionen der Regierung selbst könnten dabei immer
noch ganz die gleiche Selbständigkeit bewahren, wie da, wo
sie ausschliesslich oder doch der Hauptsache nach in der Hand
einer eigenen Klasse sind.

Ebenso wenig aber lässt sich verkennen, dass auch der
dritte Grundfaktor menschlicher Thätigkeit, die Vernunft,
eine eigene, von beiden andern begrifflich scharf zu sondernde
Klasse von Thätigkeiten und zwar auch sozialen Thätigkeiten
begründet. Wir nennen sie bildende Thätigkeiten, indem wir

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[156/0172] Thätigkeiten liegen, immer auch noch die Aufgabe hat, für ihre eigene Erhaltung zu sorgen. Daher stellt das Recht nicht bloss Normen für wirtschaftliche und bildende Thätigkeit auf, sondern auch Normen darüber, wie Recht gemacht und durch- geführt und, wenn verletzt, wiederhergestellt wird; wie der ganze, der Erhaltung und auch Fortbildung des Rechtszustands dienende Betrieb in Gang zu erhalten, die abgehenden Kräfte zu ersetzen sind u. s. f. Kurz, das Recht, und so alle Regie- rung, muss in weitem Umfang für sich selber, d. h. für seine beständige Reproduktion sorgen; und dieser Zwang der Selbst- sorge erklärt die oft auffallende Einseitigkeit, in der die regie- renden Thätigkeiten, bis zur Vergewaltigung andrer, vielleicht wesentlicherer Zwecke, nur ihre eigene Bedeutung und Autorität um jeden Preis behaupten zu wollen scheinen; während sie doch unmöglich Zweck ihrer selbst, sondern nur ein zu sonstigen menschlichen Zwecken dienendes Mittel sein können. Es soll damit die Einseitigkeit der Ansprüche, welche die regierenden Funktionen im sozialen Leben erheben, keineswegs gutgeheissen werden; aber sie ist hier von Interesse als ein auffallender Beweis der relativen Selbständigkeit dieser Funktionen. Es würde sogar voreilig sein, aus dieser etwa zu schliessen, dass die regierenden Funktionen notwendig einer abgesonderten regierenden Klasse zufielen. Es würde an unsren Aufstellungen nichts geändert, auch wenn man sich eine so vollendete Selbstregierung dächte, dass es einer eigenen regierenden Klasse überhaupt nicht mehr bedürfte. Das wäre etwa der verständliche Sinn des „Anarchismus“: nicht dass es keine Regierung, sondern keinen regierenden Stand, d. h. bloss Selbstregierung gäbe. Die Funktionen der Regierung selbst könnten dabei immer noch ganz die gleiche Selbständigkeit bewahren, wie da, wo sie ausschliesslich oder doch der Hauptsache nach in der Hand einer eigenen Klasse sind. Ebenso wenig aber lässt sich verkennen, dass auch der dritte Grundfaktor menschlicher Thätigkeit, die Vernunft, eine eigene, von beiden andern begrifflich scharf zu sondernde Klasse von Thätigkeiten und zwar auch sozialen Thätigkeiten begründet. Wir nennen sie bildende Thätigkeiten, indem wir

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/172>, abgerufen am 29.11.2024.