Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

ist das Gesetz der Wirtschaft nicht etwa identisch mit diesem
biologischen Gesetz oder eine reine Ableitung aus ihm; es ist
überhaupt kein blosses Naturgesetz, sondern ein Gesetz der
Technik, welche den sonst bloss natürlich sich vollziehenden
Umsatz der Kräfte zum Werk menschlicher, d. i. zweck-
bewusster Arbeit umwandelt. Aller Verbrauch und Ersatz
von Kräften, auch und besonders der eigenen Kräfte des Menschen,
soll zweckgemäss d. h. so eingerichtet werden, dass mit dem
geringsten Aufwand an Kraft das grösste Maass vorrätiger
Kraft wiedererzeugt wird. Kräfte zu jedweder menschlicher
Thätigkeit bereitzustellen, ist der eigentümliche Zweck der
Wirtschaft; also darf keine Kraft verschwendet, d. h. ohne
entsprechenden Ersatz aufgebraucht werden. Das ist es denn
auch, was man unter wirtschaftlichem Verhalten vorzugsweise
versteht. Zu welchen Zwecken die so immerfort sich er-
neuernde Triebenergie weiterhin zu verwenden sei, ist dagegen
durch den Begriff der Wirtschaft nicht bestimmt. Nur ein
Zweck ihrer Verwendung folgt aus ihm, nämlich es muss jeden-
falls die wirtschaftliche Thätigkeit selbst reproduziert werden,
d. h. es muss immer wenigstens so viel an verfügbarer Energie
herauskommen, als erforderlich ist, um die Wirtschaft selbst,
d. h. die planmässige Erneuerung jeder verbrauchten Energie,
in Gang zu halten, und nicht nur überhaupt in Gang, sondern
in gutem, geregeltem, sich selbst erhaltendem Stande zu halten
und womöglich zu steigern. Da es aber, ausser der Erhaltung
des Betriebes des menschlichen Lebens selbst, doch noch sehr
viele andre und darunter nicht minder wesentliche Zwecke giebt
-- Zwecke, deren ordentliche Verfolgung einerseits wirtschaft-
licher Kräfte bedarf, und die andrerseits der Wirtschaft selbst nicht
gleichgültig sein können, weil keiner der wesentlichen mensch-
lichen Zwecke ohne Beziehung zu den andern bleiben kann --,
so folgt, dass über den zur Erhaltung des Betriebs erforder-
lichen Bestand verfügbarer Kräfte stets noch ein Ueberschuss
produziert werden muss, damit jederzeit ohne Schaden für die
Erhaltung der Gesamtkraft ein gewisses Quantum Energie
andern als wirtschaftlichen Zwecken zugeführt werden kann.
Auf dieser Grundlage dürften wohl die allgemeinsten That-

ist das Gesetz der Wirtschaft nicht etwa identisch mit diesem
biologischen Gesetz oder eine reine Ableitung aus ihm; es ist
überhaupt kein blosses Naturgesetz, sondern ein Gesetz der
Technik, welche den sonst bloss natürlich sich vollziehenden
Umsatz der Kräfte zum Werk menschlicher, d. i. zweck-
bewusster Arbeit umwandelt. Aller Verbrauch und Ersatz
von Kräften, auch und besonders der eigenen Kräfte des Menschen,
soll zweckgemäss d. h. so eingerichtet werden, dass mit dem
geringsten Aufwand an Kraft das grösste Maass vorrätiger
Kraft wiedererzeugt wird. Kräfte zu jedweder menschlicher
Thätigkeit bereitzustellen, ist der eigentümliche Zweck der
Wirtschaft; also darf keine Kraft verschwendet, d. h. ohne
entsprechenden Ersatz aufgebraucht werden. Das ist es denn
auch, was man unter wirtschaftlichem Verhalten vorzugsweise
versteht. Zu welchen Zwecken die so immerfort sich er-
neuernde Triebenergie weiterhin zu verwenden sei, ist dagegen
durch den Begriff der Wirtschaft nicht bestimmt. Nur ein
Zweck ihrer Verwendung folgt aus ihm, nämlich es muss jeden-
falls die wirtschaftliche Thätigkeit selbst reproduziert werden,
d. h. es muss immer wenigstens so viel an verfügbarer Energie
herauskommen, als erforderlich ist, um die Wirtschaft selbst,
d. h. die planmässige Erneuerung jeder verbrauchten Energie,
in Gang zu halten, und nicht nur überhaupt in Gang, sondern
in gutem, geregeltem, sich selbst erhaltendem Stande zu halten
und womöglich zu steigern. Da es aber, ausser der Erhaltung
des Betriebes des menschlichen Lebens selbst, doch noch sehr
viele andre und darunter nicht minder wesentliche Zwecke giebt
— Zwecke, deren ordentliche Verfolgung einerseits wirtschaft-
licher Kräfte bedarf, und die andrerseits der Wirtschaft selbst nicht
gleichgültig sein können, weil keiner der wesentlichen mensch-
lichen Zwecke ohne Beziehung zu den andern bleiben kann —,
so folgt, dass über den zur Erhaltung des Betriebs erforder-
lichen Bestand verfügbarer Kräfte stets noch ein Ueberschuss
produziert werden muss, damit jederzeit ohne Schaden für die
Erhaltung der Gesamtkraft ein gewisses Quantum Energie
andern als wirtschaftlichen Zwecken zugeführt werden kann.
Auf dieser Grundlage dürften wohl die allgemeinsten That-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0167" n="151"/>
ist das Gesetz der Wirtschaft nicht etwa identisch mit diesem<lb/>
biologischen Gesetz oder eine reine Ableitung aus ihm; es ist<lb/>
überhaupt kein blosses Naturgesetz, sondern ein Gesetz der<lb/><hi rendition="#g">Technik</hi>, welche den sonst bloss natürlich sich vollziehenden<lb/>
Umsatz der Kräfte zum Werk menschlicher, d. i. zweck-<lb/>
bewusster Arbeit umwandelt. Aller Verbrauch und Ersatz<lb/>
von Kräften, auch und besonders der eigenen Kräfte des Menschen,<lb/>
soll zweckgemäss d. h. so eingerichtet werden, dass mit dem<lb/>
geringsten Aufwand an Kraft das grösste Maass vorrätiger<lb/>
Kraft wiedererzeugt wird. Kräfte zu jedweder menschlicher<lb/>
Thätigkeit bereitzustellen, ist der eigentümliche Zweck der<lb/>
Wirtschaft; also darf keine Kraft verschwendet, d. h. ohne<lb/>
entsprechenden Ersatz aufgebraucht werden. Das ist es denn<lb/>
auch, was man unter wirtschaftlichem Verhalten vorzugsweise<lb/>
versteht. Zu welchen Zwecken die so immerfort sich er-<lb/>
neuernde Triebenergie weiterhin zu verwenden sei, ist dagegen<lb/>
durch den Begriff der Wirtschaft nicht bestimmt. Nur <hi rendition="#g">ein</hi><lb/>
Zweck ihrer Verwendung folgt aus ihm, nämlich es muss jeden-<lb/>
falls die wirtschaftliche Thätigkeit selbst reproduziert werden,<lb/>
d. h. es muss immer wenigstens so viel an verfügbarer Energie<lb/>
herauskommen, als erforderlich ist, um die Wirtschaft selbst,<lb/>
d. h. die planmässige Erneuerung jeder verbrauchten Energie,<lb/>
in Gang zu halten, und nicht nur überhaupt in Gang, sondern<lb/>
in gutem, geregeltem, sich selbst erhaltendem Stande zu halten<lb/>
und womöglich zu steigern. Da es aber, ausser der Erhaltung<lb/>
des Betriebes des menschlichen Lebens selbst, doch noch sehr<lb/>
viele andre und darunter nicht minder wesentliche Zwecke giebt<lb/>
&#x2014; Zwecke, deren ordentliche Verfolgung einerseits wirtschaft-<lb/>
licher Kräfte bedarf, und die andrerseits der Wirtschaft selbst nicht<lb/>
gleichgültig sein können, weil keiner der wesentlichen mensch-<lb/>
lichen Zwecke ohne Beziehung zu den andern bleiben kann &#x2014;,<lb/>
so folgt, dass über den zur Erhaltung des Betriebs erforder-<lb/>
lichen Bestand verfügbarer Kräfte stets noch ein Ueberschuss<lb/>
produziert werden muss, damit jederzeit ohne Schaden für die<lb/>
Erhaltung der Gesamtkraft ein gewisses Quantum Energie<lb/>
andern als wirtschaftlichen Zwecken zugeführt werden kann.<lb/>
Auf dieser Grundlage dürften wohl die allgemeinsten That-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0167] ist das Gesetz der Wirtschaft nicht etwa identisch mit diesem biologischen Gesetz oder eine reine Ableitung aus ihm; es ist überhaupt kein blosses Naturgesetz, sondern ein Gesetz der Technik, welche den sonst bloss natürlich sich vollziehenden Umsatz der Kräfte zum Werk menschlicher, d. i. zweck- bewusster Arbeit umwandelt. Aller Verbrauch und Ersatz von Kräften, auch und besonders der eigenen Kräfte des Menschen, soll zweckgemäss d. h. so eingerichtet werden, dass mit dem geringsten Aufwand an Kraft das grösste Maass vorrätiger Kraft wiedererzeugt wird. Kräfte zu jedweder menschlicher Thätigkeit bereitzustellen, ist der eigentümliche Zweck der Wirtschaft; also darf keine Kraft verschwendet, d. h. ohne entsprechenden Ersatz aufgebraucht werden. Das ist es denn auch, was man unter wirtschaftlichem Verhalten vorzugsweise versteht. Zu welchen Zwecken die so immerfort sich er- neuernde Triebenergie weiterhin zu verwenden sei, ist dagegen durch den Begriff der Wirtschaft nicht bestimmt. Nur ein Zweck ihrer Verwendung folgt aus ihm, nämlich es muss jeden- falls die wirtschaftliche Thätigkeit selbst reproduziert werden, d. h. es muss immer wenigstens so viel an verfügbarer Energie herauskommen, als erforderlich ist, um die Wirtschaft selbst, d. h. die planmässige Erneuerung jeder verbrauchten Energie, in Gang zu halten, und nicht nur überhaupt in Gang, sondern in gutem, geregeltem, sich selbst erhaltendem Stande zu halten und womöglich zu steigern. Da es aber, ausser der Erhaltung des Betriebes des menschlichen Lebens selbst, doch noch sehr viele andre und darunter nicht minder wesentliche Zwecke giebt — Zwecke, deren ordentliche Verfolgung einerseits wirtschaft- licher Kräfte bedarf, und die andrerseits der Wirtschaft selbst nicht gleichgültig sein können, weil keiner der wesentlichen mensch- lichen Zwecke ohne Beziehung zu den andern bleiben kann —, so folgt, dass über den zur Erhaltung des Betriebs erforder- lichen Bestand verfügbarer Kräfte stets noch ein Ueberschuss produziert werden muss, damit jederzeit ohne Schaden für die Erhaltung der Gesamtkraft ein gewisses Quantum Energie andern als wirtschaftlichen Zwecken zugeführt werden kann. Auf dieser Grundlage dürften wohl die allgemeinsten That-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/167
Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/167>, abgerufen am 29.11.2024.