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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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jetzt die Frage eben nach der letzten materialen Bedingtheit
menschlicher Thätigkeit, sozialer oder individualer; also ist
bis zu diesem Punkte notwendig zurückzugehen; alles was
darüber hinausführt, ist schon nicht mehr rein material.

Uebrigens ist, unterhalb der im allgemeinsten Sinne tech-
nischen Bedingtheit der menschlichen Thätigkeit eine wichtige
Unterscheidung zu treffen. Soziale Technik, wie jede psycho-
logische (s. § 6), fasst den Menschen allerdings nicht bloss
als bestimmbar, sondern immerhin auch als sich selbst zur
Thätigkeit bestimmend ins Auge; sie strebt ihren eignen Zweck
auch durch menschliche Selbstbestimmung, auf diese rech-
nend
, zu erreichen. Das fällt immer noch unter den Begriff
der Technik, denn auch dabei wird der Mensch, sogar seine
Selbstbestimmung, lediglich als Mittel erwogen. Aber es
grenzt sich innerhalb seines weiten Umfangs scharf ab gegen
alle solche Technik, die ein eigenes Wollen nicht in Rechnung
zu ziehen hat.

Hiernach möchte die Frage nach der Materie des sozialen
Lebens genauer so zu beantworten sein. Materiale Bedingung
sozialer Thätigkeit überhaupt ist: die Möglichkeit, das Thun
von Menschen, als bestimmbaren obgleich willensfähigen Wesen,
auf Grund kausaler Erkenntnis zu beherrschen, und so, als
Mittel zu voraus feststehendem und zwar gemeinschaftlichem
Zweck, mit technischem Vorteil zu vereinen. Ueberall und
nur, wo diese Bedingung erfüllt ist, ist die Voraussetzung zu
sozialer Regelung, also zu sozialem Leben (welches ausser
jenem materialen noch diesen formalen Faktor einschliesst)
gegeben. Diese technische Bedingtheit sozialer Thätigkeit schliesst
aber zwei ungleichartige Bestandteile ein. Von diesen bezieht
sich der eine ausschliesslich auf das hervorzubringende Werk,
der andere betrifft dagegen direkt die gemeinschaftliche und zwar
zum Teil auch willentliche Richtung der menschlichen
Arbeitstriebe auf dies Werk. In ersterer Hinsicht werden
auch die menschlichen Arbeitskräfte bloss als physisch er-
wogen; es fragt sich einfach, ob und welches bestimmte Zu-
sammenwirken der als verfügbar vorausgesetzten Kräfte, unter
denen auch menschliche Arbeitskräfte sind, zur fraglichen Ar-

jetzt die Frage eben nach der letzten materialen Bedingtheit
menschlicher Thätigkeit, sozialer oder individualer; also ist
bis zu diesem Punkte notwendig zurückzugehen; alles was
darüber hinausführt, ist schon nicht mehr rein material.

Uebrigens ist, unterhalb der im allgemeinsten Sinne tech-
nischen Bedingtheit der menschlichen Thätigkeit eine wichtige
Unterscheidung zu treffen. Soziale Technik, wie jede psycho-
logische (s. § 6), fasst den Menschen allerdings nicht bloss
als bestimmbar, sondern immerhin auch als sich selbst zur
Thätigkeit bestimmend ins Auge; sie strebt ihren eignen Zweck
auch durch menschliche Selbstbestimmung, auf diese rech-
nend
, zu erreichen. Das fällt immer noch unter den Begriff
der Technik, denn auch dabei wird der Mensch, sogar seine
Selbstbestimmung, lediglich als Mittel erwogen. Aber es
grenzt sich innerhalb seines weiten Umfangs scharf ab gegen
alle solche Technik, die ein eigenes Wollen nicht in Rechnung
zu ziehen hat.

Hiernach möchte die Frage nach der Materie des sozialen
Lebens genauer so zu beantworten sein. Materiale Bedingung
sozialer Thätigkeit überhaupt ist: die Möglichkeit, das Thun
von Menschen, als bestimmbaren obgleich willensfähigen Wesen,
auf Grund kausaler Erkenntnis zu beherrschen, und so, als
Mittel zu voraus feststehendem und zwar gemeinschaftlichem
Zweck, mit technischem Vorteil zu vereinen. Ueberall und
nur, wo diese Bedingung erfüllt ist, ist die Voraussetzung zu
sozialer Regelung, also zu sozialem Leben (welches ausser
jenem materialen noch diesen formalen Faktor einschliesst)
gegeben. Diese technische Bedingtheit sozialer Thätigkeit schliesst
aber zwei ungleichartige Bestandteile ein. Von diesen bezieht
sich der eine ausschliesslich auf das hervorzubringende Werk,
der andere betrifft dagegen direkt die gemeinschaftliche und zwar
zum Teil auch willentliche Richtung der menschlichen
Arbeitstriebe auf dies Werk. In ersterer Hinsicht werden
auch die menschlichen Arbeitskräfte bloss als physisch er-
wogen; es fragt sich einfach, ob und welches bestimmte Zu-
sammenwirken der als verfügbar vorausgesetzten Kräfte, unter
denen auch menschliche Arbeitskräfte sind, zur fraglichen Ar-

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[138/0154] jetzt die Frage eben nach der letzten materialen Bedingtheit menschlicher Thätigkeit, sozialer oder individualer; also ist bis zu diesem Punkte notwendig zurückzugehen; alles was darüber hinausführt, ist schon nicht mehr rein material. Uebrigens ist, unterhalb der im allgemeinsten Sinne tech- nischen Bedingtheit der menschlichen Thätigkeit eine wichtige Unterscheidung zu treffen. Soziale Technik, wie jede psycho- logische (s. § 6), fasst den Menschen allerdings nicht bloss als bestimmbar, sondern immerhin auch als sich selbst zur Thätigkeit bestimmend ins Auge; sie strebt ihren eignen Zweck auch durch menschliche Selbstbestimmung, auf diese rech- nend, zu erreichen. Das fällt immer noch unter den Begriff der Technik, denn auch dabei wird der Mensch, sogar seine Selbstbestimmung, lediglich als Mittel erwogen. Aber es grenzt sich innerhalb seines weiten Umfangs scharf ab gegen alle solche Technik, die ein eigenes Wollen nicht in Rechnung zu ziehen hat. Hiernach möchte die Frage nach der Materie des sozialen Lebens genauer so zu beantworten sein. Materiale Bedingung sozialer Thätigkeit überhaupt ist: die Möglichkeit, das Thun von Menschen, als bestimmbaren obgleich willensfähigen Wesen, auf Grund kausaler Erkenntnis zu beherrschen, und so, als Mittel zu voraus feststehendem und zwar gemeinschaftlichem Zweck, mit technischem Vorteil zu vereinen. Ueberall und nur, wo diese Bedingung erfüllt ist, ist die Voraussetzung zu sozialer Regelung, also zu sozialem Leben (welches ausser jenem materialen noch diesen formalen Faktor einschliesst) gegeben. Diese technische Bedingtheit sozialer Thätigkeit schliesst aber zwei ungleichartige Bestandteile ein. Von diesen bezieht sich der eine ausschliesslich auf das hervorzubringende Werk, der andere betrifft dagegen direkt die gemeinschaftliche und zwar zum Teil auch willentliche Richtung der menschlichen Arbeitstriebe auf dies Werk. In ersterer Hinsicht werden auch die menschlichen Arbeitskräfte bloss als physisch er- wogen; es fragt sich einfach, ob und welches bestimmte Zu- sammenwirken der als verfügbar vorausgesetzten Kräfte, unter denen auch menschliche Arbeitskräfte sind, zur fraglichen Ar-

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/154>, abgerufen am 28.11.2024.