auch wenn man vorzieht, sie im Namen der Gerechtigkeit, statt in dem der Liebe, zu stellen.
In wesentlich anderem Sinne lässt Plato in einer seiner tiefsten Betrachtungen das rein Sittliche sich zur Liebe steigern. Das ist nicht die christliche Agape, die -- obgleich die besten Christen diesen Schein nicht anerkennen wollen -- den- noch leicht allzu passiv, bloss duldend und aufopfernd, ja asketisch erscheint; sondern es ist der altgriechische, schöpferische Eros, der vielmehr ganz und gar aktiv, lebensvoll und mit Notwendigkeit Leben zeugend gedacht ist. In jener schon ein- mal zitierten grossartigen Vergleichung mit dem Fortpflanzungs- trieb, der das leibliche Leben nicht für sich behalten mag, sondern weitergeben muss, um das eigene Leben zum Leben der Menschheit zu erweitern und so zu verewigen, wird der geistige Eros dargestellt als nur mächtigerer und edlerer Trieb, das geistige Leben weiterzugeben, es von bloss indi- vidualer zu gemeinschaftlicher, zuletzt menschheitlicher Be- deutung zu erhöhen und so fortpflanzend zu verewigen. Dieser Trieb erstreckt sich nach Platos Darstellung zwar keineswegs unterschiedslos auf alle, er sucht im Gegenteil die edelsten Naturen auf; aber er kann, in seiner höchsten Energie gedacht, nicht nur nicht auf den Einzelnen, sondern auch nicht auf Wenige beschränkt bleiben, da er doch zur Höhe der Mensch- heit hinanstrebt. Sein Ziel ist eben "das" Gute selbst und an sich, nicht die einzelne, noch so edle Person; die bloss persönliche Liebe soll zuletzt ganz aufgehen in die stärkste, ewigste Liebe, die nur das an sich Schöne, das Schöne der sittlichen Idee in uns zu entzünden fähig und würdig ist. Dieser platonische Eros ist eigentlich nichts andres als der Trieb der Gemeinschaft, in allen Gestalten, bis zur höchsten, der rein sittlichen Gemeinschaft. Er bedeutet Streben des Einswerdens mit dem Andern, zuletzt auf dem Grunde des Guten, das in der That den stärksten, den allein unerschütter- lichen Grund der inneren Einigkeit giebt. Genau dies fanden wir als den höchsten Begriff der Gerechtigkeit; aber in un- nachahmlicher Weise drückt der platonische Eros das aus, was hier besonders zu zeigen war: dass das Sittliche, als Quell
auch wenn man vorzieht, sie im Namen der Gerechtigkeit, statt in dem der Liebe, zu stellen.
In wesentlich anderem Sinne lässt Plato in einer seiner tiefsten Betrachtungen das rein Sittliche sich zur Liebe steigern. Das ist nicht die christliche Agape, die — obgleich die besten Christen diesen Schein nicht anerkennen wollen — den- noch leicht allzu passiv, bloss duldend und aufopfernd, ja asketisch erscheint; sondern es ist der altgriechische, schöpferische Eros, der vielmehr ganz und gar aktiv, lebensvoll und mit Notwendigkeit Leben zeugend gedacht ist. In jener schon ein- mal zitierten grossartigen Vergleichung mit dem Fortpflanzungs- trieb, der das leibliche Leben nicht für sich behalten mag, sondern weitergeben muss, um das eigene Leben zum Leben der Menschheit zu erweitern und so zu verewigen, wird der geistige Eros dargestellt als nur mächtigerer und edlerer Trieb, das geistige Leben weiterzugeben, es von bloss indi- vidualer zu gemeinschaftlicher, zuletzt menschheitlicher Be- deutung zu erhöhen und so fortpflanzend zu verewigen. Dieser Trieb erstreckt sich nach Platos Darstellung zwar keineswegs unterschiedslos auf alle, er sucht im Gegenteil die edelsten Naturen auf; aber er kann, in seiner höchsten Energie gedacht, nicht nur nicht auf den Einzelnen, sondern auch nicht auf Wenige beschränkt bleiben, da er doch zur Höhe der Mensch- heit hinanstrebt. Sein Ziel ist eben „das“ Gute selbst und an sich, nicht die einzelne, noch so edle Person; die bloss persönliche Liebe soll zuletzt ganz aufgehen in die stärkste, ewigste Liebe, die nur das an sich Schöne, das Schöne der sittlichen Idee in uns zu entzünden fähig und würdig ist. Dieser platonische Eros ist eigentlich nichts andres als der Trieb der Gemeinschaft, in allen Gestalten, bis zur höchsten, der rein sittlichen Gemeinschaft. Er bedeutet Streben des Einswerdens mit dem Andern, zuletzt auf dem Grunde des Guten, das in der That den stärksten, den allein unerschütter- lichen Grund der inneren Einigkeit giebt. Genau dies fanden wir als den höchsten Begriff der Gerechtigkeit; aber in un- nachahmlicher Weise drückt der platonische Eros das aus, was hier besonders zu zeigen war: dass das Sittliche, als Quell
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auch wenn man vorzieht, sie im Namen der Gerechtigkeit,
statt in dem der Liebe, zu stellen.
In wesentlich anderem Sinne lässt Plato in einer seiner
tiefsten Betrachtungen das rein Sittliche sich zur Liebe steigern.
Das ist nicht die christliche Agape, die — obgleich die
besten Christen diesen Schein nicht anerkennen wollen — den-
noch leicht allzu passiv, bloss duldend und aufopfernd, ja
asketisch erscheint; sondern es ist der altgriechische, schöpferische
Eros, der vielmehr ganz und gar aktiv, lebensvoll und mit
Notwendigkeit Leben zeugend gedacht ist. In jener schon ein-
mal zitierten grossartigen Vergleichung mit dem Fortpflanzungs-
trieb, der das leibliche Leben nicht für sich behalten mag,
sondern weitergeben muss, um das eigene Leben zum Leben
der Menschheit zu erweitern und so zu verewigen, wird
der geistige Eros dargestellt als nur mächtigerer und edlerer
Trieb, das geistige Leben weiterzugeben, es von bloss indi-
vidualer zu gemeinschaftlicher, zuletzt menschheitlicher Be-
deutung zu erhöhen und so fortpflanzend zu verewigen. Dieser
Trieb erstreckt sich nach Platos Darstellung zwar keineswegs
unterschiedslos auf alle, er sucht im Gegenteil die edelsten
Naturen auf; aber er kann, in seiner höchsten Energie gedacht,
nicht nur nicht auf den Einzelnen, sondern auch nicht auf
Wenige beschränkt bleiben, da er doch zur Höhe der Mensch-
heit hinanstrebt. Sein Ziel ist eben „das“ Gute selbst und
an sich, nicht die einzelne, noch so edle Person; die bloss
persönliche Liebe soll zuletzt ganz aufgehen in die stärkste,
ewigste Liebe, die nur das an sich Schöne, das Schöne der
sittlichen Idee in uns zu entzünden fähig und würdig ist.
Dieser platonische Eros ist eigentlich nichts andres als der
Trieb der Gemeinschaft, in allen Gestalten, bis zur höchsten,
der rein sittlichen Gemeinschaft. Er bedeutet Streben des
Einswerdens mit dem Andern, zuletzt auf dem Grunde des
Guten, das in der That den stärksten, den allein unerschütter-
lichen Grund der inneren Einigkeit giebt. Genau dies fanden
wir als den höchsten Begriff der Gerechtigkeit; aber in un-
nachahmlicher Weise drückt der platonische Eros das aus,
was hier besonders zu zeigen war: dass das Sittliche, als Quell
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/146>, abgerufen am 27.11.2024.
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