erstrecken muss. Denn alles eigentliche Thun des Menschen ist eben Willenssache. Wo kein Wille, da reden wir nicht eigentlich von Thun. Dagegen gehört nicht ebenso notwendig zum Begriff einer That die Darstellung des Willens in einem äusseren Stoff. Zur blossen Erforschung der Wahrheit, selbst wenn sie im reinen Erkennen ihr Ziel fände, gehört ein tapferer nicht minder als streng aufrichtiger Sinn; vollends zur Er- haltung sittlicher Gesinnung im Menschen, zur inneren, sitt- lichen Wahrhaftigkeit gehört gewiss ein hoher sittlicher Mut; nicht minder zur äussern Wahrhaftigkeit, zur Wahrhaftigkeit des Worts. Dann aber auch zu jeder unmittelbar an den Stoff gewendeten Arbeit ist nicht bloss die Tugend der Sachlich- keit, sondern auch entschlossene, rein für die Sache sich ein- setzende Thatkraft vonnöten. Man spricht also mit gutem Recht von tapfrer Arbeit. Treu ausharrender, unverdrossener Fleiss ist gewiss keiner Tugend verwandter als der Tapferkeit; ja was man zumeist darunter versteht, ist am Ende nur ein Ausfluss des erstern. Endlich erstreckt sich auch diese Tugend ganz besonders auf die Gemeinschaftsbeziehungen unter den Menschen. Untreue gegen Pflichten des Gemeinschaftslebens aus persönlicher Schwäche, Mattheit in sittlich begründeten Gemeinschaftsbeziehungen, in Liebe und Freundschaft, Untreue gegen das Vaterland hat gewiss am meisten ihren Grund in Mattherzigkeit überhaupt, bis zur deutlichen Feigheit, also im Gegenteil unsrer Tugend. Sie ist schecht, nicht allein oder hauptsächlich wegen der sich auf den Andern miterstreckenden Folgen, sondern an und für sich als Schädigung des eigenen sittlichen Charakters wie des der Gemeinschaft.
Besonders klar ergiebt sich aus allem Gesagten die ge- naue Wechselbeziehung zwischen den beiden ersten Tugenden. Wahr zu sein in der umfassenden Bedeutung des Worts, die wir kennen lernten, fordert ebenso gewiss Tapferkeit, wie umgekehrt tapfer im sittlichen Sinne keiner ist, es sei denn in unbeugsamer Treue gegen Wahrheit. Dieses schon einigemal gebrauchte Wort Treue drückt überhaupt un- übertrefflich die Einheit der beiden Grundtugenden aus; es besagt: Wahrhaftigkeit, die sich in standhaftem Ausharren
erstrecken muss. Denn alles eigentliche Thun des Menschen ist eben Willenssache. Wo kein Wille, da reden wir nicht eigentlich von Thun. Dagegen gehört nicht ebenso notwendig zum Begriff einer That die Darstellung des Willens in einem äusseren Stoff. Zur blossen Erforschung der Wahrheit, selbst wenn sie im reinen Erkennen ihr Ziel fände, gehört ein tapferer nicht minder als streng aufrichtiger Sinn; vollends zur Er- haltung sittlicher Gesinnung im Menschen, zur inneren, sitt- lichen Wahrhaftigkeit gehört gewiss ein hoher sittlicher Mut; nicht minder zur äussern Wahrhaftigkeit, zur Wahrhaftigkeit des Worts. Dann aber auch zu jeder unmittelbar an den Stoff gewendeten Arbeit ist nicht bloss die Tugend der Sachlich- keit, sondern auch entschlossene, rein für die Sache sich ein- setzende Thatkraft vonnöten. Man spricht also mit gutem Recht von tapfrer Arbeit. Treu ausharrender, unverdrossener Fleiss ist gewiss keiner Tugend verwandter als der Tapferkeit; ja was man zumeist darunter versteht, ist am Ende nur ein Ausfluss des erstern. Endlich erstreckt sich auch diese Tugend ganz besonders auf die Gemeinschaftsbeziehungen unter den Menschen. Untreue gegen Pflichten des Gemeinschaftslebens aus persönlicher Schwäche, Mattheit in sittlich begründeten Gemeinschaftsbeziehungen, in Liebe und Freundschaft, Untreue gegen das Vaterland hat gewiss am meisten ihren Grund in Mattherzigkeit überhaupt, bis zur deutlichen Feigheit, also im Gegenteil unsrer Tugend. Sie ist schecht, nicht allein oder hauptsächlich wegen der sich auf den Andern miterstreckenden Folgen, sondern an und für sich als Schädigung des eigenen sittlichen Charakters wie des der Gemeinschaft.
Besonders klar ergiebt sich aus allem Gesagten die ge- naue Wechselbeziehung zwischen den beiden ersten Tugenden. Wahr zu sein in der umfassenden Bedeutung des Worts, die wir kennen lernten, fordert ebenso gewiss Tapferkeit, wie umgekehrt tapfer im sittlichen Sinne keiner ist, es sei denn in unbeugsamer Treue gegen Wahrheit. Dieses schon einigemal gebrauchte Wort Treue drückt überhaupt un- übertrefflich die Einheit der beiden Grundtugenden aus; es besagt: Wahrhaftigkeit, die sich in standhaftem Ausharren
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erstrecken muss. Denn alles eigentliche Thun des Menschen
ist eben Willenssache. Wo kein Wille, da reden wir nicht
eigentlich von Thun. Dagegen gehört nicht ebenso notwendig
zum Begriff einer That die Darstellung des Willens in einem
äusseren Stoff. Zur blossen Erforschung der Wahrheit, selbst
wenn sie im reinen Erkennen ihr Ziel fände, gehört ein tapferer
nicht minder als streng aufrichtiger Sinn; vollends zur Er-
haltung sittlicher Gesinnung im Menschen, zur inneren, sitt-
lichen Wahrhaftigkeit gehört gewiss ein hoher sittlicher Mut;
nicht minder zur äussern Wahrhaftigkeit, zur Wahrhaftigkeit
des Worts. Dann aber auch zu jeder unmittelbar an den Stoff
gewendeten Arbeit ist nicht bloss die Tugend der Sachlich-
keit, sondern auch entschlossene, rein für die Sache sich ein-
setzende Thatkraft vonnöten. Man spricht also mit gutem
Recht von tapfrer Arbeit. Treu ausharrender, unverdrossener
Fleiss ist gewiss keiner Tugend verwandter als der Tapferkeit;
ja was man zumeist darunter versteht, ist am Ende nur ein
Ausfluss des erstern. Endlich erstreckt sich auch diese Tugend
ganz besonders auf die Gemeinschaftsbeziehungen unter den
Menschen. Untreue gegen Pflichten des Gemeinschaftslebens
aus persönlicher Schwäche, Mattheit in sittlich begründeten
Gemeinschaftsbeziehungen, in Liebe und Freundschaft, Untreue
gegen das Vaterland hat gewiss am meisten ihren Grund in
Mattherzigkeit überhaupt, bis zur deutlichen Feigheit, also im
Gegenteil unsrer Tugend. Sie ist schecht, nicht allein oder
hauptsächlich wegen der sich auf den Andern miterstreckenden
Folgen, sondern an und für sich als Schädigung des eigenen
sittlichen Charakters wie des der Gemeinschaft.
Besonders klar ergiebt sich aus allem Gesagten die ge-
naue Wechselbeziehung zwischen den beiden ersten Tugenden.
Wahr zu sein in der umfassenden Bedeutung des Worts, die
wir kennen lernten, fordert ebenso gewiss Tapferkeit, wie
umgekehrt tapfer im sittlichen Sinne keiner ist, es sei
denn in unbeugsamer Treue gegen Wahrheit. Dieses schon
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übertrefflich die Einheit der beiden Grundtugenden aus; es
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/124>, abgerufen am 25.11.2024.
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