Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

es immer gut mit ihr gemeint. Günther versprach
den Brief nicht ganz so arg zu machen, aber, setzte
er hinzu, wenn wir sie bei dieser Gelegenheit nicht los
werden, wird sie uns das ganze Leben plagen. In
dem Sinn sprach er noch Mancherlei. Klärchen ließ
sich bereden, und die Sache schien abgemacht. Am an¬
deren Abend aber kam Frau Krauter mit sehr bedenk¬
lichem Gesichte. Tante Ricke hatte sie zu sich kommen
lassen, ihr das Vorgefallene erzählt und ihr den Brief
mitgegeben, den Günther heut Morgen an die Tante
geschickt. Klärchen ward heiß und kalt beim Lesen
dieses Briefes; der war wenigstens so grob, als Gün¬
ther gestern Abend sich vorgenommen hatte zu schrei¬
ben. Frau Krauter trug den Mantel auf beiden
Schultern; bei Tante Ricke hatte sie geklagt über das
Unglück und über den Leichtsinn der Welt; hier redete
sie anders, weil ihr im Grunde diese Verheirathung
der Tochter sehr erwünscht kam. Schon jetzt kam man¬
cher Bissen aus dem Hotel zu ihr hin, schon jetzt hatte
sie zeitweise ein herrliches Leben geführt, sie erwartete
nun den Himmel von Klärchens eigenem Hotel. Als
sie die Tochter böse auf den Bräutigam sah, redete
sie gütlich zu. Jeder Mann hat seine schwache Seite,
und die Tante wird nicht ohne Schuld sein. Wenn
Du auch einen Andern genommen hättest, sie wäre
doch nicht zufrieden gewesen; denn ihr Geschmack ist
nicht Dein Geschmack, und Du mußt es mit Deinem
Manne halten. Klärchen seufzte, und mußte der Mut¬
ter doch theilweise Recht geben. Entweder! oder!
hieß es jetzt, und da sie den Bräutigam nicht fallen
lassen wollte, mußte sie von der Tante lassen. Die

es immer gut mit ihr gemeint. Günther verſprach
den Brief nicht ganz ſo arg zu machen, aber, ſetzte
er hinzu, wenn wir ſie bei dieſer Gelegenheit nicht los
werden, wird ſie uns das ganze Leben plagen. In
dem Sinn ſprach er noch Mancherlei. Klärchen ließ
ſich bereden, und die Sache ſchien abgemacht. Am an¬
deren Abend aber kam Frau Krauter mit ſehr bedenk¬
lichem Geſichte. Tante Ricke hatte ſie zu ſich kommen
laſſen, ihr das Vorgefallene erzählt und ihr den Brief
mitgegeben, den Günther heut Morgen an die Tante
geſchickt. Klärchen ward heiß und kalt beim Leſen
dieſes Briefes; der war wenigſtens ſo grob, als Gün¬
ther geſtern Abend ſich vorgenommen hatte zu ſchrei¬
ben. Frau Krauter trug den Mantel auf beiden
Schultern; bei Tante Ricke hatte ſie geklagt über das
Unglück und über den Leichtſinn der Welt; hier redete
ſie anders, weil ihr im Grunde dieſe Verheirathung
der Tochter ſehr erwünſcht kam. Schon jetzt kam man¬
cher Biſſen aus dem Hotel zu ihr hin, ſchon jetzt hatte
ſie zeitweiſe ein herrliches Leben geführt, ſie erwartete
nun den Himmel von Klärchens eigenem Hotel. Als
ſie die Tochter böſe auf den Bräutigam ſah, redete
ſie gütlich zu. Jeder Mann hat ſeine ſchwache Seite,
und die Tante wird nicht ohne Schuld ſein. Wenn
Du auch einen Andern genommen hätteſt, ſie wäre
doch nicht zufrieden geweſen; denn ihr Geſchmack iſt
nicht Dein Geſchmack, und Du mußt es mit Deinem
Manne halten. Klärchen ſeufzte, und mußte der Mut¬
ter doch theilweiſe Recht geben. Entweder! oder!
hieß es jetzt, und da ſie den Bräutigam nicht fallen
laſſen wollte, mußte ſie von der Tante laſſen. Die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0097" n="91"/>
es immer gut mit ihr gemeint. Günther ver&#x017F;prach<lb/>
den Brief nicht ganz &#x017F;o arg zu machen, aber, &#x017F;etzte<lb/>
er hinzu, wenn wir &#x017F;ie bei die&#x017F;er Gelegenheit nicht los<lb/>
werden, wird &#x017F;ie uns das ganze Leben plagen. In<lb/>
dem Sinn &#x017F;prach er noch Mancherlei. Klärchen ließ<lb/>
&#x017F;ich bereden, und die Sache &#x017F;chien abgemacht. Am an¬<lb/>
deren Abend aber kam Frau Krauter mit &#x017F;ehr bedenk¬<lb/>
lichem Ge&#x017F;ichte. Tante Ricke hatte &#x017F;ie zu &#x017F;ich kommen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, ihr das Vorgefallene erzählt und ihr den Brief<lb/>
mitgegeben, den Günther heut Morgen an die Tante<lb/>
ge&#x017F;chickt. Klärchen ward heiß und kalt beim Le&#x017F;en<lb/>
die&#x017F;es Briefes; der war wenig&#x017F;tens &#x017F;o grob, als Gün¬<lb/>
ther ge&#x017F;tern Abend &#x017F;ich vorgenommen hatte zu &#x017F;chrei¬<lb/>
ben. Frau Krauter trug den Mantel auf beiden<lb/>
Schultern; bei Tante Ricke hatte &#x017F;ie geklagt über das<lb/>
Unglück und über den Leicht&#x017F;inn der Welt; hier redete<lb/>
&#x017F;ie anders, weil ihr im Grunde die&#x017F;e Verheirathung<lb/>
der Tochter &#x017F;ehr erwün&#x017F;cht kam. Schon jetzt kam man¬<lb/>
cher Bi&#x017F;&#x017F;en aus dem Hotel zu ihr hin, &#x017F;chon jetzt hatte<lb/>
&#x017F;ie zeitwei&#x017F;e ein herrliches Leben geführt, &#x017F;ie erwartete<lb/>
nun den Himmel von Klärchens eigenem Hotel. Als<lb/>
&#x017F;ie die Tochter bö&#x017F;e auf den Bräutigam &#x017F;ah, redete<lb/>
&#x017F;ie gütlich zu. Jeder Mann hat &#x017F;eine &#x017F;chwache Seite,<lb/>
und die Tante wird nicht ohne Schuld &#x017F;ein. Wenn<lb/>
Du auch einen Andern genommen hätte&#x017F;t, &#x017F;ie wäre<lb/>
doch nicht zufrieden gewe&#x017F;en; denn ihr Ge&#x017F;chmack i&#x017F;t<lb/>
nicht Dein Ge&#x017F;chmack, und Du mußt es mit Deinem<lb/>
Manne halten. Klärchen &#x017F;eufzte, und mußte der Mut¬<lb/>
ter doch theilwei&#x017F;e Recht geben. Entweder! oder!<lb/>
hieß es jetzt, und da &#x017F;ie den Bräutigam nicht fallen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en wollte, mußte &#x017F;ie von der Tante la&#x017F;&#x017F;en. Die<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0097] es immer gut mit ihr gemeint. Günther verſprach den Brief nicht ganz ſo arg zu machen, aber, ſetzte er hinzu, wenn wir ſie bei dieſer Gelegenheit nicht los werden, wird ſie uns das ganze Leben plagen. In dem Sinn ſprach er noch Mancherlei. Klärchen ließ ſich bereden, und die Sache ſchien abgemacht. Am an¬ deren Abend aber kam Frau Krauter mit ſehr bedenk¬ lichem Geſichte. Tante Ricke hatte ſie zu ſich kommen laſſen, ihr das Vorgefallene erzählt und ihr den Brief mitgegeben, den Günther heut Morgen an die Tante geſchickt. Klärchen ward heiß und kalt beim Leſen dieſes Briefes; der war wenigſtens ſo grob, als Gün¬ ther geſtern Abend ſich vorgenommen hatte zu ſchrei¬ ben. Frau Krauter trug den Mantel auf beiden Schultern; bei Tante Ricke hatte ſie geklagt über das Unglück und über den Leichtſinn der Welt; hier redete ſie anders, weil ihr im Grunde dieſe Verheirathung der Tochter ſehr erwünſcht kam. Schon jetzt kam man¬ cher Biſſen aus dem Hotel zu ihr hin, ſchon jetzt hatte ſie zeitweiſe ein herrliches Leben geführt, ſie erwartete nun den Himmel von Klärchens eigenem Hotel. Als ſie die Tochter böſe auf den Bräutigam ſah, redete ſie gütlich zu. Jeder Mann hat ſeine ſchwache Seite, und die Tante wird nicht ohne Schuld ſein. Wenn Du auch einen Andern genommen hätteſt, ſie wäre doch nicht zufrieden geweſen; denn ihr Geſchmack iſt nicht Dein Geſchmack, und Du mußt es mit Deinem Manne halten. Klärchen ſeufzte, und mußte der Mut¬ ter doch theilweiſe Recht geben. Entweder! oder! hieß es jetzt, und da ſie den Bräutigam nicht fallen laſſen wollte, mußte ſie von der Tante laſſen. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/97
Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/97>, abgerufen am 27.11.2024.