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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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wer konnte denn wissen, ob in Wahrheit die Bege¬
benheit so schwarz war, wie die Tante sie vorgetragen?
Die Tante sieht Alles mit so strengen Blicken an; in
den Stücken war ihr nicht zu trauen. Aber beichten
sollte ihr Bräutigam, erfahren, daß sie Alles wisse,
und um so demüthiger werden und ergebener. Als
er wie gewöhnlich nach den beendigten Geschäften zu
ihr kam, fand er sie so getröstet, aber die Thränen
flossen von Neuem bei seinem Anblick. Er, mit dem
bösen Gewissen, war besonders weichherzig, forschte
nach den Thränen und erfuhr nun die ganze Ge¬
schichte. Da schien sein Zorn keine Grenzen zu haben,
er nannte Alles die abscheulichste Verleumdung, und
Gretchen sammt der Tante maliziöse Personen, die
absichtlich eine Sache so verdreht hätten, um ihm
Klärchen abspenstig zu machen. Wer weiß, in wel¬
chen Winkel sie sie stecken möchten; sie ärgern sich,
sie vornehmer und schöner zu sehen, und so mehr.
Von der Kranken erzählte er: sie sei Hausmädchen
hier gewesen, und er habe allerdings ein kleines Lie¬
besverhältniß mit ihr gehabt, später sei sie fortgekom¬
men, sei liederlich geworden und so herab gekommen.
In ihrer Noth habe sie sich zu ihm gewandt, und er
habe sie hin und wieder unterstützt, ja, er habe sich
durch seine Gutmüthigkeit verleiten lassen, einmal hin¬
zugehen, weil die Person ihm keine Ruhe gelassen. --
Und das ist die Geschichte, die Deine vortreffliche
Cousine so verdreht hat! schloß der Erzürnte. Du
mußt mir jetzt aber heilig versprechen, mit den abscheu¬
lichen Menschen ganz und gar zu brechen, denn bei
ihrer Schlechtigkeit sind sie auch roh und ungebildet

wer konnte denn wiſſen, ob in Wahrheit die Bege¬
benheit ſo ſchwarz war, wie die Tante ſie vorgetragen?
Die Tante ſieht Alles mit ſo ſtrengen Blicken an; in
den Stücken war ihr nicht zu trauen. Aber beichten
ſollte ihr Bräutigam, erfahren, daß ſie Alles wiſſe,
und um ſo demüthiger werden und ergebener. Als
er wie gewöhnlich nach den beendigten Geſchäften zu
ihr kam, fand er ſie ſo getröſtet, aber die Thränen
floſſen von Neuem bei ſeinem Anblick. Er, mit dem
böſen Gewiſſen, war beſonders weichherzig, forſchte
nach den Thränen und erfuhr nun die ganze Ge¬
ſchichte. Da ſchien ſein Zorn keine Grenzen zu haben,
er nannte Alles die abſcheulichſte Verleumdung, und
Gretchen ſammt der Tante maliziöſe Perſonen, die
abſichtlich eine Sache ſo verdreht hätten, um ihm
Klärchen abſpenſtig zu machen. Wer weiß, in wel¬
chen Winkel ſie ſie ſtecken möchten; ſie ärgern ſich,
ſie vornehmer und ſchöner zu ſehen, und ſo mehr.
Von der Kranken erzählte er: ſie ſei Hausmädchen
hier geweſen, und er habe allerdings ein kleines Lie¬
besverhältniß mit ihr gehabt, ſpäter ſei ſie fortgekom¬
men, ſei liederlich geworden und ſo herab gekommen.
In ihrer Noth habe ſie ſich zu ihm gewandt, und er
habe ſie hin und wieder unterſtützt, ja, er habe ſich
durch ſeine Gutmüthigkeit verleiten laſſen, einmal hin¬
zugehen, weil die Perſon ihm keine Ruhe gelaſſen. —
Und das iſt die Geſchichte, die Deine vortreffliche
Couſine ſo verdreht hat! ſchloß der Erzürnte. Du
mußt mir jetzt aber heilig verſprechen, mit den abſcheu¬
lichen Menſchen ganz und gar zu brechen, denn bei
ihrer Schlechtigkeit ſind ſie auch roh und ungebildet

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[89/0095] wer konnte denn wiſſen, ob in Wahrheit die Bege¬ benheit ſo ſchwarz war, wie die Tante ſie vorgetragen? Die Tante ſieht Alles mit ſo ſtrengen Blicken an; in den Stücken war ihr nicht zu trauen. Aber beichten ſollte ihr Bräutigam, erfahren, daß ſie Alles wiſſe, und um ſo demüthiger werden und ergebener. Als er wie gewöhnlich nach den beendigten Geſchäften zu ihr kam, fand er ſie ſo getröſtet, aber die Thränen floſſen von Neuem bei ſeinem Anblick. Er, mit dem böſen Gewiſſen, war beſonders weichherzig, forſchte nach den Thränen und erfuhr nun die ganze Ge¬ ſchichte. Da ſchien ſein Zorn keine Grenzen zu haben, er nannte Alles die abſcheulichſte Verleumdung, und Gretchen ſammt der Tante maliziöſe Perſonen, die abſichtlich eine Sache ſo verdreht hätten, um ihm Klärchen abſpenſtig zu machen. Wer weiß, in wel¬ chen Winkel ſie ſie ſtecken möchten; ſie ärgern ſich, ſie vornehmer und ſchöner zu ſehen, und ſo mehr. Von der Kranken erzählte er: ſie ſei Hausmädchen hier geweſen, und er habe allerdings ein kleines Lie¬ besverhältniß mit ihr gehabt, ſpäter ſei ſie fortgekom¬ men, ſei liederlich geworden und ſo herab gekommen. In ihrer Noth habe ſie ſich zu ihm gewandt, und er habe ſie hin und wieder unterſtützt, ja, er habe ſich durch ſeine Gutmüthigkeit verleiten laſſen, einmal hin¬ zugehen, weil die Perſon ihm keine Ruhe gelaſſen. — Und das iſt die Geſchichte, die Deine vortreffliche Couſine ſo verdreht hat! ſchloß der Erzürnte. Du mußt mir jetzt aber heilig verſprechen, mit den abſcheu¬ lichen Menſchen ganz und gar zu brechen, denn bei ihrer Schlechtigkeit ſind ſie auch roh und ungebildet

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/95>, abgerufen am 21.11.2024.