Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Es bleibt dabei, ich vermiethe mich! sagte Klär¬
chen zu ihrer Mutter. Eine Schneiderin führt ein
trauriges Leben, ein Tag geht so grau und einförmig
hin wie der andere, keinen vernünftigen Menschen
kriegt man zu sehen, sitzen muß man vom Morgen
bis zum Abend, und sitzen bleiben und eine alte Jung¬
fer werden ist das Ende vom Liede.

Du weißt selbst nicht was Du willst, sagte ihre
Mutter. Weißt Du noch, was Du sagtest vorigen
Martinstag, wie Tante Rieke Dir den Rath gab, Du
solltest in einen Dienst gehen? Da hast Du von Skla¬
verei gesprochen und die Nase gerümpft, und ich war's
auch zufrieden: es wäre doch eine Sünde und Schande,
wenn eine alte Frau allein wohnen müßte ohne Hülfe
und Pflege. Aber ich sage: Du weißt nicht was du
willst. Kannst Du's besser haben, wie Du's jetzt hast?
Bist Dein eigner Herr, kannst thun was Du willst,
und brauchst Dich nicht von fremden Leuten traktiren
zu lassen. Ach, wenn ich an meine Jugend denke!

Ja, ja, Deine Jugend kenne ich, fiel ihr Klär¬
chen schnippisch in das Wort; so dumm wie Du werde
ich nicht sein, Du hättest den Rechtsgelehrten nur fest¬
halten sollen. Tante Rieke sagte vorgestern sehr sal¬
bungsvoll, wie Deine Schönheit Dein Unglück gewesen ;
da hätte sie nur aufrichtig sagen sollen: Dein Un¬
geschick. Ich sage Dir aber, meine Schönheit soll

1 *

Es bleibt dabei, ich vermiethe mich! ſagte Klär¬
chen zu ihrer Mutter. Eine Schneiderin führt ein
trauriges Leben, ein Tag geht ſo grau und einförmig
hin wie der andere, keinen vernünftigen Menſchen
kriegt man zu ſehen, ſitzen muß man vom Morgen
bis zum Abend, und ſitzen bleiben und eine alte Jung¬
fer werden iſt das Ende vom Liede.

Du weißt ſelbſt nicht was Du willſt, ſagte ihre
Mutter. Weißt Du noch, was Du ſagteſt vorigen
Martinstag, wie Tante Rieke Dir den Rath gab, Du
ſollteſt in einen Dienſt gehen? Da haſt Du von Skla¬
verei geſprochen und die Naſe gerümpft, und ich war's
auch zufrieden: es wäre doch eine Sünde und Schande,
wenn eine alte Frau allein wohnen müßte ohne Hülfe
und Pflege. Aber ich ſage: Du weißt nicht was du
willſt. Kannſt Du's beſſer haben, wie Du's jetzt haſt?
Biſt Dein eigner Herr, kannſt thun was Du willſt,
und brauchſt Dich nicht von fremden Leuten traktiren
zu laſſen. Ach, wenn ich an meine Jugend denke!

Ja, ja, Deine Jugend kenne ich, fiel ihr Klär¬
chen ſchnippiſch in das Wort; ſo dumm wie Du werde
ich nicht ſein, Du hätteſt den Rechtsgelehrten nur feſt¬
halten ſollen. Tante Rieke ſagte vorgeſtern ſehr ſal¬
bungsvoll, wie Deine Schönheit Dein Unglück geweſen ;
da hätte ſie nur aufrichtig ſagen ſollen: Dein Un¬
geſchick. Ich ſage Dir aber, meine Schönheit ſoll

1 *
<TEI>
  <text>
    <pb facs="#f0009"/>
    <body>
      <p><hi rendition="#in">E</hi>s bleibt dabei, ich vermiethe mich! &#x017F;agte Klär¬<lb/>
chen zu ihrer Mutter. Eine Schneiderin führt ein<lb/>
trauriges Leben, ein Tag geht &#x017F;o grau und einförmig<lb/>
hin wie der andere, keinen vernünftigen Men&#x017F;chen<lb/>
kriegt man zu &#x017F;ehen, &#x017F;itzen muß man vom Morgen<lb/>
bis zum Abend, und &#x017F;itzen bleiben und eine alte Jung¬<lb/>
fer werden i&#x017F;t das Ende vom Liede.</p><lb/>
      <p>Du weißt &#x017F;elb&#x017F;t nicht was Du will&#x017F;t, &#x017F;agte ihre<lb/>
Mutter. Weißt Du noch, was Du &#x017F;agte&#x017F;t vorigen<lb/>
Martinstag, wie Tante Rieke Dir den Rath gab, Du<lb/>
&#x017F;ollte&#x017F;t in einen Dien&#x017F;t gehen? Da ha&#x017F;t Du von Skla¬<lb/>
verei ge&#x017F;prochen und die Na&#x017F;e gerümpft, und ich war's<lb/>
auch zufrieden: es wäre doch eine Sünde und Schande,<lb/>
wenn eine alte Frau allein wohnen müßte ohne Hülfe<lb/>
und Pflege. Aber ich &#x017F;age: Du weißt nicht was du<lb/>
will&#x017F;t. Kann&#x017F;t Du's be&#x017F;&#x017F;er haben, wie Du's jetzt ha&#x017F;t?<lb/>
Bi&#x017F;t Dein eigner Herr, kann&#x017F;t thun was Du will&#x017F;t,<lb/>
und brauch&#x017F;t Dich nicht von fremden Leuten traktiren<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en. Ach, wenn ich an <hi rendition="#g">meine</hi> Jugend denke!</p><lb/>
      <p>Ja, ja, Deine Jugend kenne ich, fiel ihr Klär¬<lb/>
chen &#x017F;chnippi&#x017F;ch in das Wort; &#x017F;o dumm wie Du werde<lb/>
ich nicht &#x017F;ein, Du hätte&#x017F;t den Rechtsgelehrten nur fe&#x017F;<lb/>
halten &#x017F;ollen. Tante Rieke &#x017F;agte vorge&#x017F;tern &#x017F;ehr &#x017F;al¬<lb/>
bungsvoll, wie Deine Schönheit Dein Unglück gewe&#x017F;en ;<lb/>
da hätte &#x017F;ie nur aufrichtig &#x017F;agen &#x017F;ollen: Dein Un¬<lb/>
ge&#x017F;chick. Ich &#x017F;age Dir aber, <hi rendition="#g">meine</hi> Schönheit &#x017F;oll<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1 *<lb/></fw> 
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0009] Es bleibt dabei, ich vermiethe mich! ſagte Klär¬ chen zu ihrer Mutter. Eine Schneiderin führt ein trauriges Leben, ein Tag geht ſo grau und einförmig hin wie der andere, keinen vernünftigen Menſchen kriegt man zu ſehen, ſitzen muß man vom Morgen bis zum Abend, und ſitzen bleiben und eine alte Jung¬ fer werden iſt das Ende vom Liede. Du weißt ſelbſt nicht was Du willſt, ſagte ihre Mutter. Weißt Du noch, was Du ſagteſt vorigen Martinstag, wie Tante Rieke Dir den Rath gab, Du ſollteſt in einen Dienſt gehen? Da haſt Du von Skla¬ verei geſprochen und die Naſe gerümpft, und ich war's auch zufrieden: es wäre doch eine Sünde und Schande, wenn eine alte Frau allein wohnen müßte ohne Hülfe und Pflege. Aber ich ſage: Du weißt nicht was du willſt. Kannſt Du's beſſer haben, wie Du's jetzt haſt? Biſt Dein eigner Herr, kannſt thun was Du willſt, und brauchſt Dich nicht von fremden Leuten traktiren zu laſſen. Ach, wenn ich an meine Jugend denke! Ja, ja, Deine Jugend kenne ich, fiel ihr Klär¬ chen ſchnippiſch in das Wort; ſo dumm wie Du werde ich nicht ſein, Du hätteſt den Rechtsgelehrten nur feſt¬ halten ſollen. Tante Rieke ſagte vorgeſtern ſehr ſal¬ bungsvoll, wie Deine Schönheit Dein Unglück geweſen ; da hätte ſie nur aufrichtig ſagen ſollen: Dein Un¬ geſchick. Ich ſage Dir aber, meine Schönheit ſoll 1 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/9
Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/9>, abgerufen am 27.11.2024.