Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.nem Glücke. Am anderen Morgen machte sie das nem Glücke. Am anderen Morgen machte ſie das <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0072" n="66"/> nem Glücke. Am anderen Morgen machte ſie das<lb/> bekannte Manöver mit dem Schlüſſel. Ihre Hände<lb/> zitterten, als ſie in den Kaſten griff, und angſtvoll<lb/> ſchlug ihr Herz. Doch als ſie den Abend bei der<lb/> Mutter war und vor dem Spiegel den grünen Sam¬<lb/> met probirte, zitterte ſie nicht mehr. Ja, als ſie einige<lb/> Tage darauf an des Grafen Arm durch die Reihen<lb/> flog, als ihre Geſtalt laut bewundert, ihre Schönheit<lb/> geprieſen ward, da ſchwieg das Gewiſſen ganz und<lb/> gar. Der Graf gab ihr den Abend noch einiges Geld,<lb/> denn ſie geſtand ihm, daß ſie Schulden hätte, und<lb/> Guſtchen Vogler war ſchon ungeduldig geworden. Zu¬<lb/> erſt ſollte aber die Summe in den Schreibtiſch der<lb/> Generalin gelegt werden, ſo war es ihre Abſicht. Da<lb/> ſie am andern Morgen ſpäter als gewöhnlich aufſtand,<lb/> mußte ſie es bis zum nächſten verſchieben. Den Tag<lb/> aber überlegte ſie ſich die Sache noch einmal. Die<lb/> Generalin hatte nichts gemerkt, ſie war gleich freund¬<lb/> lich und gütig, von <hi rendition="#g">der</hi> Seite war Klärchen ſicher.<lb/> Sie nahm ſich daher vor: lieber erſt die kleinen Schul¬<lb/> den in den Kaufläden zu bezahlen, um bei nächſter<lb/> Gelegenheit wieder borgen zu können. Als ſie mit<lb/> dem Reſt ihrer Summe im letzten Laden ſtand, be¬<lb/> merkte ſie mit Schrecken, daß dieſe Summe nicht aus¬<lb/> reiche. Noch dazu hatte ſie groß gethan, von Bezah¬<lb/> len geſprochen, und der älteſte Diener gerade hatte<lb/> ihr die Summe ausgezogen, mit der höflichen, aber<lb/> doch ernſten Bemerkung: daß es eigentlich nicht erlaubt<lb/> ſei, Damen in ihrer Stellung ſolche Vorſchüſſe zu<lb/> machen. Klärchens Hochmuth regte ſich gewaltig, die<lb/> Summe mußte um jeden Preis bezahlt ſein. Sie, die<lb/></p> </body> </text> </TEI> [66/0072]
nem Glücke. Am anderen Morgen machte ſie das
bekannte Manöver mit dem Schlüſſel. Ihre Hände
zitterten, als ſie in den Kaſten griff, und angſtvoll
ſchlug ihr Herz. Doch als ſie den Abend bei der
Mutter war und vor dem Spiegel den grünen Sam¬
met probirte, zitterte ſie nicht mehr. Ja, als ſie einige
Tage darauf an des Grafen Arm durch die Reihen
flog, als ihre Geſtalt laut bewundert, ihre Schönheit
geprieſen ward, da ſchwieg das Gewiſſen ganz und
gar. Der Graf gab ihr den Abend noch einiges Geld,
denn ſie geſtand ihm, daß ſie Schulden hätte, und
Guſtchen Vogler war ſchon ungeduldig geworden. Zu¬
erſt ſollte aber die Summe in den Schreibtiſch der
Generalin gelegt werden, ſo war es ihre Abſicht. Da
ſie am andern Morgen ſpäter als gewöhnlich aufſtand,
mußte ſie es bis zum nächſten verſchieben. Den Tag
aber überlegte ſie ſich die Sache noch einmal. Die
Generalin hatte nichts gemerkt, ſie war gleich freund¬
lich und gütig, von der Seite war Klärchen ſicher.
Sie nahm ſich daher vor: lieber erſt die kleinen Schul¬
den in den Kaufläden zu bezahlen, um bei nächſter
Gelegenheit wieder borgen zu können. Als ſie mit
dem Reſt ihrer Summe im letzten Laden ſtand, be¬
merkte ſie mit Schrecken, daß dieſe Summe nicht aus¬
reiche. Noch dazu hatte ſie groß gethan, von Bezah¬
len geſprochen, und der älteſte Diener gerade hatte
ihr die Summe ausgezogen, mit der höflichen, aber
doch ernſten Bemerkung: daß es eigentlich nicht erlaubt
ſei, Damen in ihrer Stellung ſolche Vorſchüſſe zu
machen. Klärchens Hochmuth regte ſich gewaltig, die
Summe mußte um jeden Preis bezahlt ſein. Sie, die
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