was zu thun hatte, und nun schloß sie mit Leichtig¬ keit das Schlößchen auf. Da stand ein volles Geld¬ kästchen, daneben lag der Brief; das Gelb reizte sie nicht, wohl aber der Brief. Sie durchflog ihn mit Hast, aber erfuhr genug. Die Mutter warnte den Sohn vor dem eignen Herzen: sie möchte ihn vor einer Liebe bewahren, die ihn, wenn auch nicht für Jahre, doch für Tage unglücklich machen könne. Dar¬ auf schilderte sie Klärchens Wesen und Gedanken mit solcher Wahrheit, daß Klärchen feuerroth beim Lesen dieser Worte wurde. Ja, die kluge Frau hatte sie in ihrem koquetten Treiben und verdrehten, überbildeten Träumereien durchschaut. "Sie ist ehrlich und treu, geschickt und fleißig," schloß die Generalin diese Schil¬ derung, "darum werde ich sie jetzt nicht gehen lassen, ich werde es mir aber zur Pflicht machen, sie besser zu überwachen, was mir bei meinem jetzigen stilleren Leben nicht schwer werden soll."
Klärchen war in großer Aufregung. Sie legte den Brief wieder an dieselbe Stelle, schloß den Kasten und legte den Schlüssel zurück an seinen Platz. Die Sache war herrlich geglückt, und wenn sie auch man¬ ches Unangenehme aus dem Briefe erfahren, so doch auch das Erfreuliche: der Lieutenant liebte sie, die Mutter fürchtete. Ihre größte Begierde war von jetzt an, die Antwort des Sohnes zu lesen; mit höchster Aufmerksamkeit kontrollirte sie die Briefe, die zu ihrer Dame kamen. Acht Tage vergingen, da endlich ent¬ deckte sie das Postzeichen von Berlin und das Fami¬ lienwappen. Die Generalin nahm den Brief in höch¬ ster Spannung aus Klärchens Hand und erbrach ihn
was zu thun hatte, und nun ſchloß ſie mit Leichtig¬ keit das Schlößchen auf. Da ſtand ein volles Geld¬ käſtchen, daneben lag der Brief; das Gelb reizte ſie nicht, wohl aber der Brief. Sie durchflog ihn mit Haſt, aber erfuhr genug. Die Mutter warnte den Sohn vor dem eignen Herzen: ſie möchte ihn vor einer Liebe bewahren, die ihn, wenn auch nicht für Jahre, doch für Tage unglücklich machen könne. Dar¬ auf ſchilderte ſie Klärchens Weſen und Gedanken mit ſolcher Wahrheit, daß Klärchen feuerroth beim Leſen dieſer Worte wurde. Ja, die kluge Frau hatte ſie in ihrem koquetten Treiben und verdrehten, überbildeten Träumereien durchſchaut. „Sie iſt ehrlich und treu, geſchickt und fleißig,“ ſchloß die Generalin dieſe Schil¬ derung, „darum werde ich ſie jetzt nicht gehen laſſen, ich werde es mir aber zur Pflicht machen, ſie beſſer zu überwachen, was mir bei meinem jetzigen ſtilleren Leben nicht ſchwer werden ſoll.“
Klärchen war in großer Aufregung. Sie legte den Brief wieder an dieſelbe Stelle, ſchloß den Kaſten und legte den Schlüſſel zurück an ſeinen Platz. Die Sache war herrlich geglückt, und wenn ſie auch man¬ ches Unangenehme aus dem Briefe erfahren, ſo doch auch das Erfreuliche: der Lieutenant liebte ſie, die Mutter fürchtete. Ihre größte Begierde war von jetzt an, die Antwort des Sohnes zu leſen; mit höchſter Aufmerkſamkeit kontrollirte ſie die Briefe, die zu ihrer Dame kamen. Acht Tage vergingen, da endlich ent¬ deckte ſie das Poſtzeichen von Berlin und das Fami¬ lienwappen. Die Generalin nahm den Brief in höch¬ ſter Spannung aus Klärchens Hand und erbrach ihn
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was zu thun hatte, und nun ſchloß ſie mit Leichtig¬
keit das Schlößchen auf. Da ſtand ein volles Geld¬
käſtchen, daneben lag der Brief; das Gelb reizte ſie
nicht, wohl aber der Brief. Sie durchflog ihn mit
Haſt, aber erfuhr genug. Die Mutter warnte den
Sohn vor dem eignen Herzen: ſie möchte ihn vor
einer Liebe bewahren, die ihn, wenn auch nicht für
Jahre, doch für Tage unglücklich machen könne. Dar¬
auf ſchilderte ſie Klärchens Weſen und Gedanken mit
ſolcher Wahrheit, daß Klärchen feuerroth beim Leſen
dieſer Worte wurde. Ja, die kluge Frau hatte ſie in
ihrem koquetten Treiben und verdrehten, überbildeten
Träumereien durchſchaut. „Sie iſt ehrlich und treu,
geſchickt und fleißig,“ ſchloß die Generalin dieſe Schil¬
derung, „darum werde ich ſie jetzt nicht gehen laſſen,
ich werde es mir aber zur Pflicht machen, ſie beſſer
zu überwachen, was mir bei meinem jetzigen ſtilleren
Leben nicht ſchwer werden ſoll.“
Klärchen war in großer Aufregung. Sie legte den
Brief wieder an dieſelbe Stelle, ſchloß den Kaſten
und legte den Schlüſſel zurück an ſeinen Platz. Die
Sache war herrlich geglückt, und wenn ſie auch man¬
ches Unangenehme aus dem Briefe erfahren, ſo doch
auch das Erfreuliche: der Lieutenant liebte ſie, die
Mutter fürchtete. Ihre größte Begierde war von jetzt
an, die Antwort des Sohnes zu leſen; mit höchſter
Aufmerkſamkeit kontrollirte ſie die Briefe, die zu ihrer
Dame kamen. Acht Tage vergingen, da endlich ent¬
deckte ſie das Poſtzeichen von Berlin und das Fami¬
lienwappen. Die Generalin nahm den Brief in höch¬
ſter Spannung aus Klärchens Hand und erbrach ihn
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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/61>, abgerufen am 16.02.2025.
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