Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.selig. Der Graf hatte gesagt: das Mädchen sei ganz Aber die Tage vergingen und die Zeit der Tren¬ Nach einigen Tagen saß die Generalin einen gan¬ ſelig. Der Graf hatte geſagt: das Mädchen ſei ganz Aber die Tage vergingen und die Zeit der Tren¬ Nach einigen Tagen ſaß die Generalin einen gan¬ <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0059" n="53"/> ſelig. Der Graf hatte geſagt: das Mädchen ſei ganz<lb/> verteufelt ſtolz und ſpröde, und Alfred hatte das mit<lb/> Triumph der Mutter erzählt und dabei fallen laſſen,<lb/> daß ihre Bildung eigentlich über die eines Kammer¬<lb/> mädchens hinausgehe. Klärchen hatte das glücklicher¬<lb/> weiſe wieder erlauſcht, denn wenn Mutter und Sohn<lb/> allein in der Stube waren, kam ſie nicht viel vom<lb/> Schlüſſelloch fort. Das waren ſelige vierzehn Tage,<lb/> und ihr Kopf war voll der tollſten Pläne und Träu¬<lb/> mereien.</p><lb/> <p>Aber die Tage vergingen und die Zeit der Tren¬<lb/> nung kam; ja, der Lieutenant war eines Morgens ab¬<lb/> gereiſt, ohne daß Klärchen etwas davon geahnet. Sie<lb/> war plötzlich eine andere, ſie war zerſtreut und träge,<lb/> erſt der Generalin ernſte Blicke mußten ſie wieder et¬<lb/> was zu ſich bringen.</p><lb/> <p>Nach einigen Tagen ſaß die Generalin einen gan¬<lb/> zen Morgen am Schreibtiſch mit Schreiben beſchäftigt:<lb/> dazwiſchen ging ſie ſinnend in der Stube auf und ab.<lb/> Klärchen kalkulirte richtig: ſie ſchreibt an ihren Sohn.<lb/> Um Alles in der Welt hätte ſie den Brief gern gele¬<lb/> ſen. Wenn er nur heut nicht fortgeſchickt wird, ſo iſt's<lb/> möglich, dachte ſie. Und wirklich ward er nicht fort¬<lb/> geſchickt; der Nachmittag war unruhig, den Abend<lb/> war die Generalin in Geſellſchaft, ſie fand nicht Zeit,<lb/> ihn zu vollenden. Mit klopfendem Herzen hörte Klär¬<lb/> chen ihre Dame fortfahren, der Bediente hatte ſie be¬<lb/> gleiten müſſen, ſo war jetzt die beſte Zeit, ihren Plan<lb/> auszuführen. Was ſie an kleinen Schlüſſeln finden<lb/> konnte, ſuchte ſie zuſammen und verſuchte das Schloß<lb/> zu öffnen. Ihre Hände zitterten, und zehnmal wohl<lb/></p> </body> </text> </TEI> [53/0059]
ſelig. Der Graf hatte geſagt: das Mädchen ſei ganz
verteufelt ſtolz und ſpröde, und Alfred hatte das mit
Triumph der Mutter erzählt und dabei fallen laſſen,
daß ihre Bildung eigentlich über die eines Kammer¬
mädchens hinausgehe. Klärchen hatte das glücklicher¬
weiſe wieder erlauſcht, denn wenn Mutter und Sohn
allein in der Stube waren, kam ſie nicht viel vom
Schlüſſelloch fort. Das waren ſelige vierzehn Tage,
und ihr Kopf war voll der tollſten Pläne und Träu¬
mereien.
Aber die Tage vergingen und die Zeit der Tren¬
nung kam; ja, der Lieutenant war eines Morgens ab¬
gereiſt, ohne daß Klärchen etwas davon geahnet. Sie
war plötzlich eine andere, ſie war zerſtreut und träge,
erſt der Generalin ernſte Blicke mußten ſie wieder et¬
was zu ſich bringen.
Nach einigen Tagen ſaß die Generalin einen gan¬
zen Morgen am Schreibtiſch mit Schreiben beſchäftigt:
dazwiſchen ging ſie ſinnend in der Stube auf und ab.
Klärchen kalkulirte richtig: ſie ſchreibt an ihren Sohn.
Um Alles in der Welt hätte ſie den Brief gern gele¬
ſen. Wenn er nur heut nicht fortgeſchickt wird, ſo iſt's
möglich, dachte ſie. Und wirklich ward er nicht fort¬
geſchickt; der Nachmittag war unruhig, den Abend
war die Generalin in Geſellſchaft, ſie fand nicht Zeit,
ihn zu vollenden. Mit klopfendem Herzen hörte Klär¬
chen ihre Dame fortfahren, der Bediente hatte ſie be¬
gleiten müſſen, ſo war jetzt die beſte Zeit, ihren Plan
auszuführen. Was ſie an kleinen Schlüſſeln finden
konnte, ſuchte ſie zuſammen und verſuchte das Schloß
zu öffnen. Ihre Hände zitterten, und zehnmal wohl
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