Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

wöhnlich ihn auf diese Weise die Zeit vertreiben. Sie
las heut besonders schlecht, und die Generalin war
eben im Begriff, dies zu tadeln, als die Thür sich
öffnete und der Sohn eintrat. Er winkte, setzte sich
in eine dunkle Ecke, und die Mutter bemerkte: sie
wolle nur dies kurze Kapitel auslesen lassen. In
Klärchen schien plötzlich eine andere Kraft gefahren,
sie las besonders schön und mit ganz anderer, bewegter
Stimme. Der Lieutenant wandte keinen Blick von ihr,
und die Generalin sah sie bedenklich an. Als sie das
Zimmer verlassen, wandte sich diese zu ihrem Sohne.

Lieber Alfred, sagte sie lächelnd, ich glaube, so
lange Ihr jungen, leichtfertigen Leute hier bei mir
ein- und ausgeht, muß ich das Mädchen aus dem
Haus thun.

Und wenn ich mich auch ein wenig verliebte,
entgegnete Alfred, Du fürchtest doch nicht --

Nein, ich fürchte nicht, daß Du leichtfertig genug
wärest, ein Mädchen thörichter zu machen, als es
schon ist, aber Deinen Freunden traue ich nicht.

Alfred lachte. Sie sind alle außer sich über diese
Schönheit, und Graf Bründel, glaube ich, früge aller¬
dings nicht viel danach, ob er ein thöricht Mädchen
thörichter mache.

So bitte ich Dich, vermeide es, daß er sie sieht,
-- entgegnete die Mutter besorgt. Und Du, lieber
Alfred, bist vorsichtig. -- fügte sie zögernd hinzu.

Gewiß, sagte Alfred treuherzig und reichte der
Mutter die Hand; und sollte es wirklich gefährlich
werden, da bitte ich Dich, mich fortzuschicken, -- schloß
er scherzend.

4

wöhnlich ihn auf dieſe Weiſe die Zeit vertreiben. Sie
las heut beſonders ſchlecht, und die Generalin war
eben im Begriff, dies zu tadeln, als die Thür ſich
öffnete und der Sohn eintrat. Er winkte, ſetzte ſich
in eine dunkle Ecke, und die Mutter bemerkte: ſie
wolle nur dies kurze Kapitel ausleſen laſſen. In
Klärchen ſchien plötzlich eine andere Kraft gefahren,
ſie las beſonders ſchön und mit ganz anderer, bewegter
Stimme. Der Lieutenant wandte keinen Blick von ihr,
und die Generalin ſah ſie bedenklich an. Als ſie das
Zimmer verlaſſen, wandte ſich dieſe zu ihrem Sohne.

Lieber Alfred, ſagte ſie lächelnd, ich glaube, ſo
lange Ihr jungen, leichtfertigen Leute hier bei mir
ein- und ausgeht, muß ich das Mädchen aus dem
Haus thun.

Und wenn ich mich auch ein wenig verliebte,
entgegnete Alfred, Du fürchteſt doch nicht —

Nein, ich fürchte nicht, daß Du leichtfertig genug
wäreſt, ein Mädchen thörichter zu machen, als es
ſchon iſt, aber Deinen Freunden traue ich nicht.

Alfred lachte. Sie ſind alle außer ſich über dieſe
Schönheit, und Graf Bründel, glaube ich, früge aller¬
dings nicht viel danach, ob er ein thöricht Mädchen
thörichter mache.

So bitte ich Dich, vermeide es, daß er ſie ſieht,
— entgegnete die Mutter beſorgt. Und Du, lieber
Alfred, biſt vorſichtig. — fügte ſie zögernd hinzu.

Gewiß, ſagte Alfred treuherzig und reichte der
Mutter die Hand; und ſollte es wirklich gefährlich
werden, da bitte ich Dich, mich fortzuſchicken, — ſchloß
er ſcherzend.

4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0055" n="49"/>
wöhnlich ihn auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e die Zeit vertreiben. Sie<lb/>
las heut be&#x017F;onders &#x017F;chlecht, und die Generalin war<lb/>
eben im Begriff, dies zu tadeln, als die Thür &#x017F;ich<lb/>
öffnete und der Sohn eintrat. Er winkte, &#x017F;etzte &#x017F;ich<lb/>
in eine dunkle Ecke, und die Mutter bemerkte: &#x017F;ie<lb/>
wolle nur dies kurze Kapitel ausle&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en. In<lb/>
Klärchen &#x017F;chien plötzlich eine andere Kraft gefahren,<lb/>
&#x017F;ie las be&#x017F;onders &#x017F;chön und mit ganz anderer, bewegter<lb/>
Stimme. Der Lieutenant wandte keinen Blick von ihr,<lb/>
und die Generalin &#x017F;ah &#x017F;ie bedenklich an. Als &#x017F;ie das<lb/>
Zimmer verla&#x017F;&#x017F;en, wandte &#x017F;ich die&#x017F;e zu ihrem Sohne.</p><lb/>
      <p>Lieber Alfred, &#x017F;agte &#x017F;ie lächelnd, ich glaube, &#x017F;o<lb/>
lange Ihr jungen, leichtfertigen Leute hier bei mir<lb/>
ein- und ausgeht, muß ich das Mädchen aus dem<lb/>
Haus thun.</p><lb/>
      <p>Und wenn ich mich auch ein wenig verliebte,<lb/>
entgegnete Alfred, Du fürchte&#x017F;t doch nicht &#x2014;</p><lb/>
      <p>Nein, ich fürchte nicht, daß Du leichtfertig genug<lb/>
wäre&#x017F;t, ein Mädchen thörichter zu machen, als es<lb/>
&#x017F;chon i&#x017F;t, aber Deinen Freunden traue ich nicht.</p><lb/>
      <p>Alfred lachte. Sie &#x017F;ind alle außer &#x017F;ich über die&#x017F;e<lb/>
Schönheit, und Graf Bründel, glaube ich, früge aller¬<lb/>
dings nicht viel danach, ob er ein thöricht Mädchen<lb/>
thörichter mache.</p><lb/>
      <p>So bitte ich Dich, vermeide es, daß er &#x017F;ie &#x017F;ieht,<lb/>
&#x2014; entgegnete die Mutter be&#x017F;orgt. Und Du, lieber<lb/>
Alfred, bi&#x017F;t vor&#x017F;ichtig. &#x2014; fügte &#x017F;ie zögernd hinzu.</p><lb/>
      <p>Gewiß, &#x017F;agte Alfred treuherzig und reichte der<lb/>
Mutter die Hand; und &#x017F;ollte es wirklich gefährlich<lb/>
werden, da bitte ich Dich, mich fortzu&#x017F;chicken, &#x2014; &#x017F;chloß<lb/>
er &#x017F;cherzend.<lb/></p>
      <fw place="bottom" type="sig">4<lb/></fw>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0055] wöhnlich ihn auf dieſe Weiſe die Zeit vertreiben. Sie las heut beſonders ſchlecht, und die Generalin war eben im Begriff, dies zu tadeln, als die Thür ſich öffnete und der Sohn eintrat. Er winkte, ſetzte ſich in eine dunkle Ecke, und die Mutter bemerkte: ſie wolle nur dies kurze Kapitel ausleſen laſſen. In Klärchen ſchien plötzlich eine andere Kraft gefahren, ſie las beſonders ſchön und mit ganz anderer, bewegter Stimme. Der Lieutenant wandte keinen Blick von ihr, und die Generalin ſah ſie bedenklich an. Als ſie das Zimmer verlaſſen, wandte ſich dieſe zu ihrem Sohne. Lieber Alfred, ſagte ſie lächelnd, ich glaube, ſo lange Ihr jungen, leichtfertigen Leute hier bei mir ein- und ausgeht, muß ich das Mädchen aus dem Haus thun. Und wenn ich mich auch ein wenig verliebte, entgegnete Alfred, Du fürchteſt doch nicht — Nein, ich fürchte nicht, daß Du leichtfertig genug wäreſt, ein Mädchen thörichter zu machen, als es ſchon iſt, aber Deinen Freunden traue ich nicht. Alfred lachte. Sie ſind alle außer ſich über dieſe Schönheit, und Graf Bründel, glaube ich, früge aller¬ dings nicht viel danach, ob er ein thöricht Mädchen thörichter mache. So bitte ich Dich, vermeide es, daß er ſie ſieht, — entgegnete die Mutter beſorgt. Und Du, lieber Alfred, biſt vorſichtig. — fügte ſie zögernd hinzu. Gewiß, ſagte Alfred treuherzig und reichte der Mutter die Hand; und ſollte es wirklich gefährlich werden, da bitte ich Dich, mich fortzuſchicken, — ſchloß er ſcherzend. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/55
Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/55>, abgerufen am 27.11.2024.