wie plump war seine Sprache und sein ganzes We¬ sen! Freilich, tröstete sie sich, er ist ein Student, und die meinen, sie müssen burschikos sein; wenn er bei seiner Mutter, der Frau Präsidentin sitzt, wird er auch anders sein. Aber er soll auch gegen mich anders sein, dachte sie weiter, er soll fein und nobel werden wie der Gardelieutenant!
Das Haus war durch die Neujahrs-Glückwün¬ schenden so belebt, daß es dem Mediziner unmöglich ward, Klärchen zu sehen. Auch den Abend war große Gesellschaft, der Flur hell erleuchtet und fast immer¬ fort Bewegung auf der Treppe. Er war sehr unge¬ duldig und wußte kaum wie er die Zeit hinbringen sollte. Klärchen ging es nicht so, sie war heut so beschäftigt und hingenommen, daß sie kaum Zeit hatte an ihre Liebe zu denken. Bis jetzt hatte sie fast nur alten Damen den Thee servirt, heute aber waren junge Herren, die Freunde des Lieutenants, in der Gesell¬ schaft. Klärchen, im hellblauen Musselin-Kleide mit freiem Hals und freien Armen, stand vor der singen¬ den Theemaschine und schwebte dann in den hell er¬ leuchteten und wohl durchdufteten Zimmern hin und her. Ein solcher Triumph war ihr noch nie geworden: die Blicke der jungen Leute folgten ihr, wohin sie ging, bis leider die Generalin sehr ernste Blicke auf sie warf und ihr huldreich sagte, sie möchte sich nicht weiter bemühen, der Bediente solle allein aufwarten. Sie ging, und trat erhitzt und aufgeregt in ihre Stube. Kaum hatte der Mediziner Licht darinnen gesehen, als er sein Fenster öffnete und leise mit den Händen klappte. Klärchen hatte eigentlich nicht große Lust ihn jetzt zu
wie plump war ſeine Sprache und ſein ganzes We¬ ſen! Freilich, tröſtete ſie ſich, er iſt ein Student, und die meinen, ſie müſſen burſchikos ſein; wenn er bei ſeiner Mutter, der Frau Präſidentin ſitzt, wird er auch anders ſein. Aber er ſoll auch gegen mich anders ſein, dachte ſie weiter, er ſoll fein und nobel werden wie der Gardelieutenant!
Das Haus war durch die Neujahrs-Glückwün¬ ſchenden ſo belebt, daß es dem Mediziner unmöglich ward, Klärchen zu ſehen. Auch den Abend war große Geſellſchaft, der Flur hell erleuchtet und faſt immer¬ fort Bewegung auf der Treppe. Er war ſehr unge¬ duldig und wußte kaum wie er die Zeit hinbringen ſollte. Klärchen ging es nicht ſo, ſie war heut ſo beſchäftigt und hingenommen, daß ſie kaum Zeit hatte an ihre Liebe zu denken. Bis jetzt hatte ſie faſt nur alten Damen den Thee ſervirt, heute aber waren junge Herren, die Freunde des Lieutenants, in der Geſell¬ ſchaft. Klärchen, im hellblauen Muſſelin-Kleide mit freiem Hals und freien Armen, ſtand vor der ſingen¬ den Theemaſchine und ſchwebte dann in den hell er¬ leuchteten und wohl durchdufteten Zimmern hin und her. Ein ſolcher Triumph war ihr noch nie geworden: die Blicke der jungen Leute folgten ihr, wohin ſie ging, bis leider die Generalin ſehr ernſte Blicke auf ſie warf und ihr huldreich ſagte, ſie möchte ſich nicht weiter bemühen, der Bediente ſolle allein aufwarten. Sie ging, und trat erhitzt und aufgeregt in ihre Stube. Kaum hatte der Mediziner Licht darinnen geſehen, als er ſein Fenſter öffnete und leiſe mit den Händen klappte. Klärchen hatte eigentlich nicht große Luſt ihn jetzt zu
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wie plump war ſeine Sprache und ſein ganzes We¬
ſen! Freilich, tröſtete ſie ſich, er iſt ein Student, und
die meinen, ſie müſſen burſchikos ſein; wenn er bei
ſeiner Mutter, der Frau Präſidentin ſitzt, wird er auch
anders ſein. Aber er ſoll auch gegen mich anders
ſein, dachte ſie weiter, er ſoll fein und nobel werden
wie der Gardelieutenant!
Das Haus war durch die Neujahrs-Glückwün¬
ſchenden ſo belebt, daß es dem Mediziner unmöglich
ward, Klärchen zu ſehen. Auch den Abend war große
Geſellſchaft, der Flur hell erleuchtet und faſt immer¬
fort Bewegung auf der Treppe. Er war ſehr unge¬
duldig und wußte kaum wie er die Zeit hinbringen
ſollte. Klärchen ging es nicht ſo, ſie war heut ſo
beſchäftigt und hingenommen, daß ſie kaum Zeit hatte
an ihre Liebe zu denken. Bis jetzt hatte ſie faſt nur
alten Damen den Thee ſervirt, heute aber waren junge
Herren, die Freunde des Lieutenants, in der Geſell¬
ſchaft. Klärchen, im hellblauen Muſſelin-Kleide mit
freiem Hals und freien Armen, ſtand vor der ſingen¬
den Theemaſchine und ſchwebte dann in den hell er¬
leuchteten und wohl durchdufteten Zimmern hin und
her. Ein ſolcher Triumph war ihr noch nie geworden:
die Blicke der jungen Leute folgten ihr, wohin ſie
ging, bis leider die Generalin ſehr ernſte Blicke auf
ſie warf und ihr huldreich ſagte, ſie möchte ſich nicht
weiter bemühen, der Bediente ſolle allein aufwarten.
Sie ging, und trat erhitzt und aufgeregt in ihre Stube.
Kaum hatte der Mediziner Licht darinnen geſehen, als
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Klärchen hatte eigentlich nicht große Luſt ihn jetzt zu
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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/52>, abgerufen am 16.02.2025.
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