Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.Mädchen stießen sich an, Klärchen hatte ihnen schon Die Zeit war mit den Späßen vergangen, es Mädchen ſtießen ſich an, Klärchen hatte ihnen ſchon Die Zeit war mit den Späßen vergangen, es <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0045" n="39"/> Mädchen ſtießen ſich an, Klärchen hatte ihnen ſchon<lb/> den ganzen Abend zu vornehm gethan, und die Frau<lb/> Organiſtin ſagte ſpitz: Ei Klärchen, brauchſt den<lb/> Mund nicht zu verziehen, biſt in ganz guter Geſell¬<lb/> ſchaft hier. Doch die Tante wollte keinen Ernſt ge¬<lb/> macht haben; ſie entgegnete leicht: In der Hinſicht<lb/> muß ein jedes Mädchen ſtolz und ſpröde thun, die<lb/> jungen Burſchen ſollten ſonſt eitel werden. Dann<lb/> wurden die Namen der Schiffchen wieder geändert,<lb/> und die Sache war abgemacht. Fritz aber behielt den<lb/> Stachel im Herzen. Wenn er auch längſt Klärchens<lb/> Beſitz aufgegeben, ſo konnte er ihr doch heut nicht<lb/> ohne innere Bewegung gegenüber ſitzen, es war ihm,<lb/> als ob aus ihrem Weſen bald ein guter bald ein<lb/> böſer Engel ſchaue; er hätte den guten ſo gern feſt¬<lb/> halten und in ihre Nähe bannen mögen. Die dun¬<lb/> kelblauen Augen hatten ihn zuweilen ſo kindlich an¬<lb/> geſchaut, ganz ſo wie ſie auf ſeiner Wanderſchaft vor<lb/> ſeiner Seele ſchwebten. Er wußte zwar mehr als alle<lb/> die Anderen von ihrem Leben und Treiben — die Augen<lb/> der Liebe ſehen ſcharf —, auch wußte er daß der Medi¬<lb/> ziner im Hauſe der Generalin wohne, aber immer<lb/> noch konnte er den guten Engel in ihr nicht aufgeben,<lb/> und ſein theilnehmendes und trauerndes Herz ward<lb/> von ihrem verächtlichen Weſen ſchmerzlich berührt.</p><lb/> <p>Die Zeit war mit den Späßen vergangen, es<lb/> ſchlug zehn Uhr, man wurde ernſthafter. Die Alten<lb/> erzählten, die Jungen hörten ſtill zu. Fritzen war das<lb/> ſehr lieb, er war wahrlich nicht zur Freude aufgelegt<lb/> und er übernahm es auch ſpäter gern, etwas aus der<lb/> Bibel vorzuleſen. Er begann mit dem 90 Pſalm.<lb/></p> </body> </text> </TEI> [39/0045]
Mädchen ſtießen ſich an, Klärchen hatte ihnen ſchon
den ganzen Abend zu vornehm gethan, und die Frau
Organiſtin ſagte ſpitz: Ei Klärchen, brauchſt den
Mund nicht zu verziehen, biſt in ganz guter Geſell¬
ſchaft hier. Doch die Tante wollte keinen Ernſt ge¬
macht haben; ſie entgegnete leicht: In der Hinſicht
muß ein jedes Mädchen ſtolz und ſpröde thun, die
jungen Burſchen ſollten ſonſt eitel werden. Dann
wurden die Namen der Schiffchen wieder geändert,
und die Sache war abgemacht. Fritz aber behielt den
Stachel im Herzen. Wenn er auch längſt Klärchens
Beſitz aufgegeben, ſo konnte er ihr doch heut nicht
ohne innere Bewegung gegenüber ſitzen, es war ihm,
als ob aus ihrem Weſen bald ein guter bald ein
böſer Engel ſchaue; er hätte den guten ſo gern feſt¬
halten und in ihre Nähe bannen mögen. Die dun¬
kelblauen Augen hatten ihn zuweilen ſo kindlich an¬
geſchaut, ganz ſo wie ſie auf ſeiner Wanderſchaft vor
ſeiner Seele ſchwebten. Er wußte zwar mehr als alle
die Anderen von ihrem Leben und Treiben — die Augen
der Liebe ſehen ſcharf —, auch wußte er daß der Medi¬
ziner im Hauſe der Generalin wohne, aber immer
noch konnte er den guten Engel in ihr nicht aufgeben,
und ſein theilnehmendes und trauerndes Herz ward
von ihrem verächtlichen Weſen ſchmerzlich berührt.
Die Zeit war mit den Späßen vergangen, es
ſchlug zehn Uhr, man wurde ernſthafter. Die Alten
erzählten, die Jungen hörten ſtill zu. Fritzen war das
ſehr lieb, er war wahrlich nicht zur Freude aufgelegt
und er übernahm es auch ſpäter gern, etwas aus der
Bibel vorzuleſen. Er begann mit dem 90 Pſalm.
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