Taschentuch geschickt über die schmutzigen Handschuh ge¬ legt, und wollte nun mit einem leichten Adieu zur Thür hinaus.
Warte, Klärchen! rief die Mutter, da kömmt Dein Hemd an der Schulter zum Vorschein und gerade ein rechter Ratsch darin.
Stopf' es nur tief genug unter, sagte Klärchen gleichgültig, und nachdem das geschehen, ging sie fort.
Alle Schneiderinnen, sagt man, sind unordentlich, weil sie immer mit der Nadel für Andere beschäftigt, nie Zeit für ihre eigne Arbeit finden. Klärchen war es aber nicht allein als Schneiderin, sondern noch da¬ zu als unordentliche Tochter einer unordentlichen Mut¬ ter, und als über ihren Stand hinaus verwöhnte und verbildete Jungfrau. Daß die Kleider sechs Ellen weit sein mußten und wo möglich den Staub auf der Straße kehren, war ihr von höchster Wichtigkeit; auch durften die Manschetten nicht fehlen, Mantillen, Kragen, gestickte Taschentücher und Unterröcke mit Frisuren. Ob ihr Hemd zerrissen, war ihr gleichgül¬ tig, ja, außerordentlich gleichgültig! Das sah ja Niemand. Unangenehmer war es schon, fehlte der Hacken im Strumpf, oder die Sohle am Schuh, aber auch das machte ihr nicht großes Bedenken, es wurde geschickt verborgen, die langen Kleider waren auch hier von Nutzen. Mit der Muhme Gretchen hatte sie neu¬ lich erst einen derben Strauß gehabt; denn war Gret¬ chen auch nicht gebildet, so war sie doch gescheut und derb und kurz angebunden. Sie sah den Unterrock mit den breiten Frisuren, und sagte, das wäre ganz verrückt nun, gar an einem Unterrock den überflüssigen
Taſchentuch geſchickt über die ſchmutzigen Handſchuh ge¬ legt, und wollte nun mit einem leichten Adieu zur Thür hinaus.
Warte, Klärchen! rief die Mutter, da kömmt Dein Hemd an der Schulter zum Vorſchein und gerade ein rechter Ratſch darin.
Stopf' es nur tief genug unter, ſagte Klärchen gleichgültig, und nachdem das geſchehen, ging ſie fort.
Alle Schneiderinnen, ſagt man, ſind unordentlich, weil ſie immer mit der Nadel für Andere beſchäftigt, nie Zeit für ihre eigne Arbeit finden. Klärchen war es aber nicht allein als Schneiderin, ſondern noch da¬ zu als unordentliche Tochter einer unordentlichen Mut¬ ter, und als über ihren Stand hinaus verwöhnte und verbildete Jungfrau. Daß die Kleider ſechs Ellen weit ſein mußten und wo möglich den Staub auf der Straße kehren, war ihr von höchſter Wichtigkeit; auch durften die Manſchetten nicht fehlen, Mantillen, Kragen, geſtickte Taſchentücher und Unterröcke mit Friſuren. Ob ihr Hemd zerriſſen, war ihr gleichgül¬ tig, ja, außerordentlich gleichgültig! Das ſah ja Niemand. Unangenehmer war es ſchon, fehlte der Hacken im Strumpf, oder die Sohle am Schuh, aber auch das machte ihr nicht großes Bedenken, es wurde geſchickt verborgen, die langen Kleider waren auch hier von Nutzen. Mit der Muhme Gretchen hatte ſie neu¬ lich erſt einen derben Strauß gehabt; denn war Gret¬ chen auch nicht gebildet, ſo war ſie doch geſcheut und derb und kurz angebunden. Sie ſah den Unterrock mit den breiten Friſuren, und ſagte, das wäre ganz verrückt nun, gar an einem Unterrock den überflüſſigen
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[8/0014]
Taſchentuch geſchickt über die ſchmutzigen Handſchuh ge¬
legt, und wollte nun mit einem leichten Adieu zur
Thür hinaus.
Warte, Klärchen! rief die Mutter, da kömmt
Dein Hemd an der Schulter zum Vorſchein und gerade
ein rechter Ratſch darin.
Stopf' es nur tief genug unter, ſagte Klärchen
gleichgültig, und nachdem das geſchehen, ging ſie fort.
Alle Schneiderinnen, ſagt man, ſind unordentlich,
weil ſie immer mit der Nadel für Andere beſchäftigt,
nie Zeit für ihre eigne Arbeit finden. Klärchen war
es aber nicht allein als Schneiderin, ſondern noch da¬
zu als unordentliche Tochter einer unordentlichen Mut¬
ter, und als über ihren Stand hinaus verwöhnte und
verbildete Jungfrau. Daß die Kleider ſechs Ellen
weit ſein mußten und wo möglich den Staub auf
der Straße kehren, war ihr von höchſter Wichtigkeit;
auch durften die Manſchetten nicht fehlen, Mantillen,
Kragen, geſtickte Taſchentücher und Unterröcke mit
Friſuren. Ob ihr Hemd zerriſſen, war ihr gleichgül¬
tig, ja, außerordentlich gleichgültig! Das ſah ja
Niemand. Unangenehmer war es ſchon, fehlte der
Hacken im Strumpf, oder die Sohle am Schuh, aber
auch das machte ihr nicht großes Bedenken, es wurde
geſchickt verborgen, die langen Kleider waren auch hier
von Nutzen. Mit der Muhme Gretchen hatte ſie neu¬
lich erſt einen derben Strauß gehabt; denn war Gret¬
chen auch nicht gebildet, ſo war ſie doch geſcheut und
derb und kurz angebunden. Sie ſah den Unterrock
mit den breiten Friſuren, und ſagte, das wäre ganz
verrückt nun, gar an einem Unterrock den überflüſſigen
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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/14>, abgerufen am 17.02.2025.
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