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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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lenden Tropfen, und ihre Augen tropften ebenfalls.
Was werden die Nachbarn sagen, dachte sie, wenn
sie dich hier wieder sehen, und nun in Schande und
Noth; was Gustchen Vogler, die sie manchmal in
ihrer vornehmen Wohnung besucht und ihr Loos ge¬
priesen und beneidet hatte? Was wird Tante Rieke
sagen, die ihr das Alles vorher gesagt? Aber Mit¬
leiden wird sie doch mit dir haben. Hat sie doch
neulich ganz freundlich zur Mutter von Klärchen ge¬
sprochen, hat sich gefreut, daß sie ihr kleines Mäd¬
chen Gretchen genannt hat, und daß sie Klärchen ei¬
nigemal in der Stephani-Kirche gesehen. Ja, die
Stephani-Kirche! -- dachte Klärchen weiter, es hat
dir auch nichts geholfen; der liebe Gott hat deine Ge¬
bete nicht erhört, er hat dir die Strafe für dein frü¬
heres Leben bald geschickt, er ist ein strafender Gott.
Klärchen konnte nicht zu ihm aufsehen, aber ihr ver¬
gangenes Leben ging jetzt vor ihrer Seele vorüber, die
zwei letzten Jahre kamen ihr wie ein langes Leben
vor. Es war jetzt Jahreszeit, als Fritz Buchstein
zurückkam, als sie mit Geringschätzung auf ihn schaute
und um den Studenten buhlte. Was hätte sie denn
gehabt, wenn sie den errungen? O sie wußte jetzt,
daß rohe, gottlose Männer eben so gegen ihre Frauen
sind, wenn sie auch in den Liebesmonaten eine sanfte
Sprache führen. Sie hatte es erfahren, daß schöne
Kleider und ein vornehmes, bequemes Leben keine
Freude sind, wenn das Herz an Kummer und Ver¬
druß zehren muß. Sie dachte weiter an ihr Leben
bei der Generalin, wohin der Leichtsinn sie dort ge¬
führt, und hielt beide Hände vor das Gesicht vor in¬

lenden Tropfen, und ihre Augen tropften ebenfalls.
Was werden die Nachbarn ſagen, dachte ſie, wenn
ſie dich hier wieder ſehen, und nun in Schande und
Noth; was Guſtchen Vogler, die ſie manchmal in
ihrer vornehmen Wohnung beſucht und ihr Loos ge¬
prieſen und beneidet hatte? Was wird Tante Rieke
ſagen, die ihr das Alles vorher geſagt? Aber Mit¬
leiden wird ſie doch mit dir haben. Hat ſie doch
neulich ganz freundlich zur Mutter von Klärchen ge¬
ſprochen, hat ſich gefreut, daß ſie ihr kleines Mäd¬
chen Gretchen genannt hat, und daß ſie Klärchen ei¬
nigemal in der Stephani-Kirche geſehen. Ja, die
Stephani-Kirche! — dachte Klärchen weiter, es hat
dir auch nichts geholfen; der liebe Gott hat deine Ge¬
bete nicht erhört, er hat dir die Strafe für dein frü¬
heres Leben bald geſchickt, er iſt ein ſtrafender Gott.
Klärchen konnte nicht zu ihm aufſehen, aber ihr ver¬
gangenes Leben ging jetzt vor ihrer Seele vorüber, die
zwei letzten Jahre kamen ihr wie ein langes Leben
vor. Es war jetzt Jahreszeit, als Fritz Buchſtein
zurückkam, als ſie mit Geringſchätzung auf ihn ſchaute
und um den Studenten buhlte. Was hätte ſie denn
gehabt, wenn ſie den errungen? O ſie wußte jetzt,
daß rohe, gottloſe Männer eben ſo gegen ihre Frauen
ſind, wenn ſie auch in den Liebesmonaten eine ſanfte
Sprache führen. Sie hatte es erfahren, daß ſchöne
Kleider und ein vornehmes, bequemes Leben keine
Freude ſind, wenn das Herz an Kummer und Ver¬
druß zehren muß. Sie dachte weiter an ihr Leben
bei der Generalin, wohin der Leichtſinn ſie dort ge¬
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[124/0130] lenden Tropfen, und ihre Augen tropften ebenfalls. Was werden die Nachbarn ſagen, dachte ſie, wenn ſie dich hier wieder ſehen, und nun in Schande und Noth; was Guſtchen Vogler, die ſie manchmal in ihrer vornehmen Wohnung beſucht und ihr Loos ge¬ prieſen und beneidet hatte? Was wird Tante Rieke ſagen, die ihr das Alles vorher geſagt? Aber Mit¬ leiden wird ſie doch mit dir haben. Hat ſie doch neulich ganz freundlich zur Mutter von Klärchen ge¬ ſprochen, hat ſich gefreut, daß ſie ihr kleines Mäd¬ chen Gretchen genannt hat, und daß ſie Klärchen ei¬ nigemal in der Stephani-Kirche geſehen. Ja, die Stephani-Kirche! — dachte Klärchen weiter, es hat dir auch nichts geholfen; der liebe Gott hat deine Ge¬ bete nicht erhört, er hat dir die Strafe für dein frü¬ heres Leben bald geſchickt, er iſt ein ſtrafender Gott. Klärchen konnte nicht zu ihm aufſehen, aber ihr ver¬ gangenes Leben ging jetzt vor ihrer Seele vorüber, die zwei letzten Jahre kamen ihr wie ein langes Leben vor. Es war jetzt Jahreszeit, als Fritz Buchſtein zurückkam, als ſie mit Geringſchätzung auf ihn ſchaute und um den Studenten buhlte. Was hätte ſie denn gehabt, wenn ſie den errungen? O ſie wußte jetzt, daß rohe, gottloſe Männer eben ſo gegen ihre Frauen ſind, wenn ſie auch in den Liebesmonaten eine ſanfte Sprache führen. Sie hatte es erfahren, daß ſchöne Kleider und ein vornehmes, bequemes Leben keine Freude ſind, wenn das Herz an Kummer und Ver¬ druß zehren muß. Sie dachte weiter an ihr Leben bei der Generalin, wohin der Leichtſinn ſie dort ge¬ führt, und hielt beide Hände vor das Geſicht vor in¬

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/130>, abgerufen am 25.11.2024.