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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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ehe sie in Kaffeegärten und Conzerte ging, oft mit
der Mutter, mit Tante Rieke und mit Gretchen besucht
hatte. Es war ihr wohl, wie lange nicht, zu Sinne,
als sie dem Grasrain entlang der blühenden Wei߬
dornhecke entgegen ging. O wie die Lerchen dem
blauen Himmel entgegen jubelten, und Duft und Lieb¬
lichkeit überall und tiefer Frieden! -- Sie trat in den
Garten. Lichtblaue Irisstreifen begrenzten die Rabat¬
ten, vor dem Haus blühten Tulpen, blaue Männer¬
treue, Ranunkeln und Hyazinthen. In den blühen¬
den Bäumen, dem jungen Grün der Spiräen und
Flieder hüpften und sangen Vöglein, und hoch drüber
in einem knospenden Kastanienbaume schlug eine Nach¬
tigall in langen, weichen, gehaltenen Tönen. O wie
schön ist des lieben Gottes Welt! mußte Klärchen sa¬
gen und seufzend hinzusetzen: wenn er doch auch dein
lieber Gott wäre! Sie wollte in einen Seitenweg ein¬
biegen, trat aber erschrocken zurück, -- in einer Flie¬
derlaube saßen Fritz und Gretchen traulich neben ein¬
ander. Fritz hatte seinen Arm um Gretchen geschlun¬
gen und schaute ihr warm in die Augen, diese hatte
einen weiß blühenden Spiräenzweig um das Haar ge¬
schlungen und sah ganz wie eine Braut aus. Jetzt
erst dachte Klärchen daran, daß morgen Gretchens
Hochzeitstag war. Das bewegte sie sehr. Sie suchte
sich in dem Bosquet einen einsamen Platz und ließ
den Thränen freien Lauf. Nicht aus Neid weinte sie,
nein, aus Reue und Kummer über das eigene Unglück.
Wie glücklich mußte Gretchen sein, zur Seite solch'
eines rechtschaffenen Mannes! Ja, Rechtschaffenheit
geht über alle Galanterie, dachte sie jetzt. Wenn ich auch

ehe ſie in Kaffeegärten und Conzerte ging, oft mit
der Mutter, mit Tante Rieke und mit Gretchen beſucht
hatte. Es war ihr wohl, wie lange nicht, zu Sinne,
als ſie dem Grasrain entlang der blühenden Wei߬
dornhecke entgegen ging. O wie die Lerchen dem
blauen Himmel entgegen jubelten, und Duft und Lieb¬
lichkeit überall und tiefer Frieden! — Sie trat in den
Garten. Lichtblaue Irisſtreifen begrenzten die Rabat¬
ten, vor dem Haus blühten Tulpen, blaue Männer¬
treue, Ranunkeln und Hyazinthen. In den blühen¬
den Bäumen, dem jungen Grün der Spiräen und
Flieder hüpften und ſangen Vöglein, und hoch drüber
in einem knospenden Kaſtanienbaume ſchlug eine Nach¬
tigall in langen, weichen, gehaltenen Tönen. O wie
ſchön iſt des lieben Gottes Welt! mußte Klärchen ſa¬
gen und ſeufzend hinzuſetzen: wenn er doch auch dein
lieber Gott wäre! Sie wollte in einen Seitenweg ein¬
biegen, trat aber erſchrocken zurück, — in einer Flie¬
derlaube ſaßen Fritz und Gretchen traulich neben ein¬
ander. Fritz hatte ſeinen Arm um Gretchen geſchlun¬
gen und ſchaute ihr warm in die Augen, dieſe hatte
einen weiß blühenden Spiräenzweig um das Haar ge¬
ſchlungen und ſah ganz wie eine Braut aus. Jetzt
erſt dachte Klärchen daran, daß morgen Gretchens
Hochzeitstag war. Das bewegte ſie ſehr. Sie ſuchte
ſich in dem Bosquet einen einſamen Platz und ließ
den Thränen freien Lauf. Nicht aus Neid weinte ſie,
nein, aus Reue und Kummer über das eigene Unglück.
Wie glücklich mußte Gretchen ſein, zur Seite ſolch'
eines rechtſchaffenen Mannes! Ja, Rechtſchaffenheit
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[116/0122] ehe ſie in Kaffeegärten und Conzerte ging, oft mit der Mutter, mit Tante Rieke und mit Gretchen beſucht hatte. Es war ihr wohl, wie lange nicht, zu Sinne, als ſie dem Grasrain entlang der blühenden Wei߬ dornhecke entgegen ging. O wie die Lerchen dem blauen Himmel entgegen jubelten, und Duft und Lieb¬ lichkeit überall und tiefer Frieden! — Sie trat in den Garten. Lichtblaue Irisſtreifen begrenzten die Rabat¬ ten, vor dem Haus blühten Tulpen, blaue Männer¬ treue, Ranunkeln und Hyazinthen. In den blühen¬ den Bäumen, dem jungen Grün der Spiräen und Flieder hüpften und ſangen Vöglein, und hoch drüber in einem knospenden Kaſtanienbaume ſchlug eine Nach¬ tigall in langen, weichen, gehaltenen Tönen. O wie ſchön iſt des lieben Gottes Welt! mußte Klärchen ſa¬ gen und ſeufzend hinzuſetzen: wenn er doch auch dein lieber Gott wäre! Sie wollte in einen Seitenweg ein¬ biegen, trat aber erſchrocken zurück, — in einer Flie¬ derlaube ſaßen Fritz und Gretchen traulich neben ein¬ ander. Fritz hatte ſeinen Arm um Gretchen geſchlun¬ gen und ſchaute ihr warm in die Augen, dieſe hatte einen weiß blühenden Spiräenzweig um das Haar ge¬ ſchlungen und ſah ganz wie eine Braut aus. Jetzt erſt dachte Klärchen daran, daß morgen Gretchens Hochzeitstag war. Das bewegte ſie ſehr. Sie ſuchte ſich in dem Bosquet einen einſamen Platz und ließ den Thränen freien Lauf. Nicht aus Neid weinte ſie, nein, aus Reue und Kummer über das eigene Unglück. Wie glücklich mußte Gretchen ſein, zur Seite ſolch' eines rechtſchaffenen Mannes! Ja, Rechtſchaffenheit geht über alle Galanterie, dachte ſie jetzt. Wenn ich auch

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/122>, abgerufen am 25.11.2024.