Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.lich schien. Im Grunde aber ekelte sie dies rohe We¬ Als der Rendant sein Maaß getrunken hatte, und lich ſchien. Im Grunde aber ekelte ſie dies rohe We¬ Als der Rendant ſein Maaß getrunken hatte, und <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0115" n="109"/> lich ſchien. Im Grunde aber ekelte ſie dies rohe We¬<lb/> ſen an, ihre Natur war zu edel, um ſich in ſolcher<lb/> Gemeinheit wohl zu fühlen. Ihr leichtfertiger Sinn<lb/> hatte wohl nach Luſt und Vergnügen, nach vornehmen<lb/> und hohen Dingen geſtrebt, hatte ſich auch ſchlechter<lb/> Mittel dazu bedient; aber die Geſellſchaft, in der ſie<lb/> ſich jetzt befand, dieſe Art und Weiſe zu leben, konnte<lb/> ihr durch kein Schlaraffenleben angenehm gemacht wer¬<lb/> den. Auch war ſie in der letzten Woche ſehr nach¬<lb/> denklich geweſen. Der Kirchgang am Weihnachtsmorgen,<lb/> die Gefühle, die er angeregt, hatten ſeine Weihe aus¬<lb/> gegoſſen auch noch über die nächſten Tage; eine Un¬<lb/> ruhe hatte ſie erfaßt, daß ſie ſelbſt nicht wußte, wie<lb/> ihr war; aber das fühlte ſie, in Eſſen und Trinken,<lb/> in ſchönen Kleidern fand ſie die Befriedigung dieſer<lb/> Unruhe nicht.</p><lb/> <p>Als der Rendant ſein Maaß getrunken hatte, und<lb/> die anderen Männer auf dem Höhepunkte der Ausge¬<lb/> laſſenheit waren, da verfügte die Frau Rendantin die<lb/> Auflöſung des Gelages und Niemand hatte etwas da¬<lb/> gegen. Günther legte ſich ohne Weiteres zu Bette,<lb/> ſchlief ſeinen Rauſch aus, und als er am anderen<lb/> Morgen bleich und mit zitternden Händen kaum die<lb/> Kaffeetaſſe halten konnte, demonſtrirte er ſeiner Frau,<lb/> wie unſchuldig ein ſolches Vergnügen ſei, und wie es<lb/> nur auf die Frauen ankäme, daß die Männer ver¬<lb/> nünftig blieben, und ſo mehr. Klärchen ſchwieg, die<lb/> Erinnerung an den geſtrigen Abend und der zitternde<lb/> Mann vor ihr waren ihr ſchrecklich, und immer und<lb/> immer wieder mußte ſie an den verlebten Sylveſter¬<lb/> abend bei Tante Rieke denken, an Fritz Buchſtein —<lb/></p> </body> </text> </TEI> [109/0115]
lich ſchien. Im Grunde aber ekelte ſie dies rohe We¬
ſen an, ihre Natur war zu edel, um ſich in ſolcher
Gemeinheit wohl zu fühlen. Ihr leichtfertiger Sinn
hatte wohl nach Luſt und Vergnügen, nach vornehmen
und hohen Dingen geſtrebt, hatte ſich auch ſchlechter
Mittel dazu bedient; aber die Geſellſchaft, in der ſie
ſich jetzt befand, dieſe Art und Weiſe zu leben, konnte
ihr durch kein Schlaraffenleben angenehm gemacht wer¬
den. Auch war ſie in der letzten Woche ſehr nach¬
denklich geweſen. Der Kirchgang am Weihnachtsmorgen,
die Gefühle, die er angeregt, hatten ſeine Weihe aus¬
gegoſſen auch noch über die nächſten Tage; eine Un¬
ruhe hatte ſie erfaßt, daß ſie ſelbſt nicht wußte, wie
ihr war; aber das fühlte ſie, in Eſſen und Trinken,
in ſchönen Kleidern fand ſie die Befriedigung dieſer
Unruhe nicht.
Als der Rendant ſein Maaß getrunken hatte, und
die anderen Männer auf dem Höhepunkte der Ausge¬
laſſenheit waren, da verfügte die Frau Rendantin die
Auflöſung des Gelages und Niemand hatte etwas da¬
gegen. Günther legte ſich ohne Weiteres zu Bette,
ſchlief ſeinen Rauſch aus, und als er am anderen
Morgen bleich und mit zitternden Händen kaum die
Kaffeetaſſe halten konnte, demonſtrirte er ſeiner Frau,
wie unſchuldig ein ſolches Vergnügen ſei, und wie es
nur auf die Frauen ankäme, daß die Männer ver¬
nünftig blieben, und ſo mehr. Klärchen ſchwieg, die
Erinnerung an den geſtrigen Abend und der zitternde
Mann vor ihr waren ihr ſchrecklich, und immer und
immer wieder mußte ſie an den verlebten Sylveſter¬
abend bei Tante Rieke denken, an Fritz Buchſtein —
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