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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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die Kellner Dich höhnten wegen Deiner Betrunkenheit,
und daß ich Dich nur heimlich fortgebracht habe?

Das weiß ich Alles! entgegnete Günther kalt.
Das war sehr weise von Dir, Du hättest nur hier
so fortfahren sollen.

Klärchen konnte nicht weiter reden, der Kummer
schnürte ihr die Kehle zu. Er bereute also nicht ein¬
mal seine Unthaten, er klagte sie an. Das war das
erste Mal, daß er im nüchternen Zustande unfreundlich
war; jetzt mußte sie jede Hoffnung, ihn je anders zu
sehen, aufgeben. Er legte sich zu Bett, sie mußte
ihn bedienen, sie mußte die abgesandten Boten des
Hotels abfertigen, und als später die Mutter kam,
dieser ihre Stimmung verbergen. Sie hätte sich ge¬
schämt, ihr Unglück merken zu lassen; trotz ihrer Klug¬
heit, trotz ihres Hochmuthes war sie jetzt eben so weit
als die Mutter.

Nachdem das Ehepaar acht Tage nicht mit ein¬
ander gesprochen, Günther sich fast gar nicht oder nur
mürrisch gezeigt hatte, und Klärchens Augen fast
nicht trocken geworden waren, schien er endlich wieder
besserer Laune zu werden. Er brachte mehr Geld,
denn auch das hatte sie in den letzten acht Tagen fast
gar nicht gehabt. Er fing an zu schmeicheln, ja, sein
Unrecht einzusehen, und Klärchen hielt es für das
Beste, nicht zu unversöhnlich zu sein. So war äu¬
ßerlich das Verhältniß wieder hergestellt, aber der
Stachel saß in Klärchens Herzen, unmöglich konnte
sie sich über ihr Schicksal noch leichtfertige Phantasien
machen, die Wirklichkeit war zu sprechend.

die Kellner Dich höhnten wegen Deiner Betrunkenheit,
und daß ich Dich nur heimlich fortgebracht habe?

Das weiß ich Alles! entgegnete Günther kalt.
Das war ſehr weiſe von Dir, Du hätteſt nur hier
ſo fortfahren ſollen.

Klärchen konnte nicht weiter reden, der Kummer
ſchnürte ihr die Kehle zu. Er bereute alſo nicht ein¬
mal ſeine Unthaten, er klagte ſie an. Das war das
erſte Mal, daß er im nüchternen Zuſtande unfreundlich
war; jetzt mußte ſie jede Hoffnung, ihn je anders zu
ſehen, aufgeben. Er legte ſich zu Bett, ſie mußte
ihn bedienen, ſie mußte die abgeſandten Boten des
Hotels abfertigen, und als ſpäter die Mutter kam,
dieſer ihre Stimmung verbergen. Sie hätte ſich ge¬
ſchämt, ihr Unglück merken zu laſſen; trotz ihrer Klug¬
heit, trotz ihres Hochmuthes war ſie jetzt eben ſo weit
als die Mutter.

Nachdem das Ehepaar acht Tage nicht mit ein¬
ander geſprochen, Günther ſich faſt gar nicht oder nur
mürriſch gezeigt hatte, und Klärchens Augen faſt
nicht trocken geworden waren, ſchien er endlich wieder
beſſerer Laune zu werden. Er brachte mehr Geld,
denn auch das hatte ſie in den letzten acht Tagen faſt
gar nicht gehabt. Er fing an zu ſchmeicheln, ja, ſein
Unrecht einzuſehen, und Klärchen hielt es für das
Beſte, nicht zu unverſöhnlich zu ſein. So war äu¬
ßerlich das Verhältniß wieder hergeſtellt, aber der
Stachel ſaß in Klärchens Herzen, unmöglich konnte
ſie ſich über ihr Schickſal noch leichtfertige Phantaſien
machen, die Wirklichkeit war zu ſprechend.

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[103/0109] die Kellner Dich höhnten wegen Deiner Betrunkenheit, und daß ich Dich nur heimlich fortgebracht habe? Das weiß ich Alles! entgegnete Günther kalt. Das war ſehr weiſe von Dir, Du hätteſt nur hier ſo fortfahren ſollen. Klärchen konnte nicht weiter reden, der Kummer ſchnürte ihr die Kehle zu. Er bereute alſo nicht ein¬ mal ſeine Unthaten, er klagte ſie an. Das war das erſte Mal, daß er im nüchternen Zuſtande unfreundlich war; jetzt mußte ſie jede Hoffnung, ihn je anders zu ſehen, aufgeben. Er legte ſich zu Bett, ſie mußte ihn bedienen, ſie mußte die abgeſandten Boten des Hotels abfertigen, und als ſpäter die Mutter kam, dieſer ihre Stimmung verbergen. Sie hätte ſich ge¬ ſchämt, ihr Unglück merken zu laſſen; trotz ihrer Klug¬ heit, trotz ihres Hochmuthes war ſie jetzt eben ſo weit als die Mutter. Nachdem das Ehepaar acht Tage nicht mit ein¬ ander geſprochen, Günther ſich faſt gar nicht oder nur mürriſch gezeigt hatte, und Klärchens Augen faſt nicht trocken geworden waren, ſchien er endlich wieder beſſerer Laune zu werden. Er brachte mehr Geld, denn auch das hatte ſie in den letzten acht Tagen faſt gar nicht gehabt. Er fing an zu ſchmeicheln, ja, ſein Unrecht einzuſehen, und Klärchen hielt es für das Beſte, nicht zu unverſöhnlich zu ſein. So war äu¬ ßerlich das Verhältniß wieder hergeſtellt, aber der Stachel ſaß in Klärchens Herzen, unmöglich konnte ſie ſich über ihr Schickſal noch leichtfertige Phantaſien machen, die Wirklichkeit war zu ſprechend.

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/109>, abgerufen am 23.11.2024.