hätte vermuthen können, daß Theodor dem Himmel seine Vorrechte mit hätte abdringen helfen, daß ihm der Todesengel, auch Wind und Meer gehorsam wären, und daß er in das menschliche Herz hinein schauen könne wie in einen Spiegel: so vermocht er doch bey der ersten vorläufigen Probe, einer Delinquentin nicht anzusehen, ob sie des Ehebruchs, des Diebstahls oder gar der Zauberey bezüchtiget würde; und als sich das angeschuldigte Deliktum aus den Akten ergab, verwirrete ihn ihre Physiognomie dergestalt, daß er sie weder zu verurtheilen noch freyzusprechen waghalste. Jn dieser Verlegenheit nahm er zum Seher Spörtler, dem Phönix aller physiognomischen Richter in Frankenland seine Zuflucht, der sich denn aller freundnachbarlichen Dienste gern und willig erbot, auch zu rechter Gerichtszeit an Ort und Stelle sich einfand, worauf denn das erste physiognomische arme Sünder Ge-
richt
haͤtte vermuthen koͤnnen, daß Theodor dem Himmel ſeine Vorrechte mit haͤtte abdringen helfen, daß ihm der Todesengel, auch Wind und Meer gehorſam waͤren, und daß er in das menſchliche Herz hinein ſchauen koͤnne wie in einen Spiegel: ſo vermocht er doch bey der erſten vorlaͤufigen Probe, einer Delinquentin nicht anzuſehen, ob ſie des Ehebruchs, des Diebſtahls oder gar der Zauberey bezuͤchtiget wuͤrde; und als ſich das angeſchuldigte Deliktum aus den Akten ergab, verwirrete ihn ihre Phyſiognomie dergeſtalt, daß er ſie weder zu verurtheilen noch freyzuſprechen waghalste. Jn dieſer Verlegenheit nahm er zum Seher Spoͤrtler, dem Phoͤnix aller phyſiognomiſchen Richter in Frankenland ſeine Zuflucht, der ſich denn aller freundnachbarlichen Dienſte gern und willig erbot, auch zu rechter Gerichtszeit an Ort und Stelle ſich einfand, worauf denn das erſte phyſiognomiſche arme Suͤnder Ge-
richt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0035"n="27"/>
haͤtte vermuthen koͤnnen, daß Theodor dem<lb/>
Himmel ſeine Vorrechte mit haͤtte abdringen<lb/>
helfen, daß ihm der Todesengel, auch<lb/>
Wind und Meer gehorſam waͤren, und daß<lb/>
er in das menſchliche Herz hinein ſchauen<lb/>
koͤnne wie in einen Spiegel: ſo vermocht er<lb/>
doch bey der erſten vorlaͤufigen Probe, einer<lb/>
Delinquentin nicht anzuſehen, ob ſie des<lb/>
Ehebruchs, des Diebſtahls oder gar der<lb/>
Zauberey bezuͤchtiget wuͤrde; und als ſich<lb/>
das angeſchuldigte Deliktum aus den Akten<lb/>
ergab, verwirrete ihn ihre Phyſiognomie<lb/>
dergeſtalt, daß er ſie weder zu verurtheilen<lb/>
noch freyzuſprechen waghalste. Jn dieſer<lb/>
Verlegenheit nahm er zum Seher Spoͤrtler,<lb/>
dem Phoͤnix aller phyſiognomiſchen Richter<lb/>
in Frankenland ſeine Zuflucht, der ſich denn<lb/>
aller freundnachbarlichen Dienſte gern und<lb/>
willig erbot, auch zu rechter Gerichtszeit an<lb/>
Ort und Stelle ſich einfand, worauf denn<lb/>
das erſte phyſiognomiſche arme Suͤnder Ge-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">richt</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[27/0035]
haͤtte vermuthen koͤnnen, daß Theodor dem
Himmel ſeine Vorrechte mit haͤtte abdringen
helfen, daß ihm der Todesengel, auch
Wind und Meer gehorſam waͤren, und daß
er in das menſchliche Herz hinein ſchauen
koͤnne wie in einen Spiegel: ſo vermocht er
doch bey der erſten vorlaͤufigen Probe, einer
Delinquentin nicht anzuſehen, ob ſie des
Ehebruchs, des Diebſtahls oder gar der
Zauberey bezuͤchtiget wuͤrde; und als ſich
das angeſchuldigte Deliktum aus den Akten
ergab, verwirrete ihn ihre Phyſiognomie
dergeſtalt, daß er ſie weder zu verurtheilen
noch freyzuſprechen waghalste. Jn dieſer
Verlegenheit nahm er zum Seher Spoͤrtler,
dem Phoͤnix aller phyſiognomiſchen Richter
in Frankenland ſeine Zuflucht, der ſich denn
aller freundnachbarlichen Dienſte gern und
willig erbot, auch zu rechter Gerichtszeit an
Ort und Stelle ſich einfand, worauf denn
das erſte phyſiognomiſche arme Suͤnder Ge-
richt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/35>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.