sie barfus durchwadeten. Meine Betrach- tung war todt und unfruchtbar, die seine ermunterte ihn zu einer edlen That. Beym Fuhrmann in der Senke dacht ich: Ein wahres Automat, eine Fleisch und Kno- chenmasse, die sich nach einem gewissen Mechanismus bewegt ohne Sinn und Em- pfindung, wie sein Fahrkarren. Aber Jo- hannes Fischer sah nicht den Mann an, son- dern die Umstände unter welchen er sich be- fand, dachte der Fuhrmann ist auch ein Mensch wie wir, muß sich um seines elen- den Bissen Brodtes willen placken und quä- len, und wir reuten da in aller Gemäch- lichkeit vor ihm vorüber. Das bewog ihn zur Theilnehmung an seiner Widerwärtig- keit und zu thätiger Hülfe. Als ich den Li- centbeschauer erblickte, sah ich nichts als ein Zöllner und Sündergesicht; er hingegen sah den hülfbedürftigen Mann, den be- kümmerten Vater, den Elenden, den die
Noth
ſie barfus durchwadeten. Meine Betrach- tung war todt und unfruchtbar, die ſeine ermunterte ihn zu einer edlen That. Beym Fuhrmann in der Senke dacht ich: Ein wahres Automat, eine Fleiſch und Kno- chenmaſſe, die ſich nach einem gewiſſen Mechanismus bewegt ohne Sinn und Em- pfindung, wie ſein Fahrkarren. Aber Jo- hannes Fiſcher ſah nicht den Mann an, ſon- dern die Umſtaͤnde unter welchen er ſich be- fand, dachte der Fuhrmann iſt auch ein Menſch wie wir, muß ſich um ſeines elen- den Biſſen Brodtes willen placken und quaͤ- len, und wir reuten da in aller Gemaͤch- lichkeit vor ihm voruͤber. Das bewog ihn zur Theilnehmung an ſeiner Widerwaͤrtig- keit und zu thaͤtiger Huͤlfe. Als ich den Li- centbeſchauer erblickte, ſah ich nichts als ein Zoͤllner und Suͤndergeſicht; er hingegen ſah den huͤlfbeduͤrftigen Mann, den be- kuͤmmerten Vater, den Elenden, den die
Noth
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0276"n="268"/>ſie barfus durchwadeten. Meine Betrach-<lb/>
tung war todt und unfruchtbar, die ſeine<lb/>
ermunterte ihn zu einer edlen That. Beym<lb/>
Fuhrmann in der Senke dacht ich: Ein<lb/>
wahres Automat, eine Fleiſch und Kno-<lb/>
chenmaſſe, die ſich nach einem gewiſſen<lb/>
Mechanismus bewegt ohne Sinn und Em-<lb/>
pfindung, wie ſein Fahrkarren. Aber Jo-<lb/>
hannes Fiſcher ſah nicht den Mann an, ſon-<lb/>
dern die Umſtaͤnde unter welchen er ſich be-<lb/>
fand, dachte der Fuhrmann iſt auch ein<lb/>
Menſch wie wir, muß ſich um ſeines elen-<lb/>
den Biſſen Brodtes willen placken und quaͤ-<lb/>
len, und wir reuten da in aller Gemaͤch-<lb/>
lichkeit vor ihm voruͤber. Das bewog ihn<lb/>
zur Theilnehmung an ſeiner Widerwaͤrtig-<lb/>
keit und zu thaͤtiger Huͤlfe. Als ich den Li-<lb/>
centbeſchauer erblickte, ſah ich nichts als<lb/>
ein Zoͤllner und Suͤndergeſicht; er hingegen<lb/>ſah den huͤlfbeduͤrftigen Mann, den be-<lb/>
kuͤmmerten Vater, den Elenden, den die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Noth</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[268/0276]
ſie barfus durchwadeten. Meine Betrach-
tung war todt und unfruchtbar, die ſeine
ermunterte ihn zu einer edlen That. Beym
Fuhrmann in der Senke dacht ich: Ein
wahres Automat, eine Fleiſch und Kno-
chenmaſſe, die ſich nach einem gewiſſen
Mechanismus bewegt ohne Sinn und Em-
pfindung, wie ſein Fahrkarren. Aber Jo-
hannes Fiſcher ſah nicht den Mann an, ſon-
dern die Umſtaͤnde unter welchen er ſich be-
fand, dachte der Fuhrmann iſt auch ein
Menſch wie wir, muß ſich um ſeines elen-
den Biſſen Brodtes willen placken und quaͤ-
len, und wir reuten da in aller Gemaͤch-
lichkeit vor ihm voruͤber. Das bewog ihn
zur Theilnehmung an ſeiner Widerwaͤrtig-
keit und zu thaͤtiger Huͤlfe. Als ich den Li-
centbeſchauer erblickte, ſah ich nichts als
ein Zoͤllner und Suͤndergeſicht; er hingegen
ſah den huͤlfbeduͤrftigen Mann, den be-
kuͤmmerten Vater, den Elenden, den die
Noth
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/276>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.