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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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Gab nun wieder meinen Gedanken Au-
dienz, wie ich so einsam dahin trabt. Jch
treibe Physiognomik, sprach ich, zu Be-
förderung der Menschenliebe, gaffe iedem
der mir begegnet ins Gesicht, spekulir und
simulir ein langes und breites darüber, und
ein andrer, der vielleicht nicht weiß daß eine
Physiognomik existirt, übt unterdessen die
Menschenliebe thätig aus. Bin ich nicht
der stolze Pharisäer, der die Theorie des
Guten vor sich herposaunen läßt, dahingegen
der bessre Praktikus, der barmherzige Sa-
mariter, Oel in die Wunden tröpfelt, ohne
eines Studiums zu bedürfen, welches das
Herz erst zur Menschenliebe ermuntere. Als
uns die drey Bauerdirnen begegneten, dacht
ich weiter nichts dabey als drey Alletagsge-
sichter und ritt vorüber. Johannes Fischer
aber beschaute nicht ihre Lineamenten, son-
dern die schweren Bürden Holz auf ihren
Rücken, und den tiefen kothigen Weg den

sie

Gab nun wieder meinen Gedanken Au-
dienz, wie ich ſo einſam dahin trabt. Jch
treibe Phyſiognomik, ſprach ich, zu Be-
foͤrderung der Menſchenliebe, gaffe iedem
der mir begegnet ins Geſicht, ſpekulir und
ſimulir ein langes und breites daruͤber, und
ein andrer, der vielleicht nicht weiß daß eine
Phyſiognomik exiſtirt, uͤbt unterdeſſen die
Menſchenliebe thaͤtig aus. Bin ich nicht
der ſtolze Phariſaͤer, der die Theorie des
Guten vor ſich herpoſaunen laͤßt, dahingegen
der beſſre Praktikus, der barmherzige Sa-
mariter, Oel in die Wunden troͤpfelt, ohne
eines Studiums zu beduͤrfen, welches das
Herz erſt zur Menſchenliebe ermuntere. Als
uns die drey Bauerdirnen begegneten, dacht
ich weiter nichts dabey als drey Alletagsge-
ſichter und ritt voruͤber. Johannes Fiſcher
aber beſchaute nicht ihre Lineamenten, ſon-
dern die ſchweren Buͤrden Holz auf ihren
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[267/0275] Gab nun wieder meinen Gedanken Au- dienz, wie ich ſo einſam dahin trabt. Jch treibe Phyſiognomik, ſprach ich, zu Be- foͤrderung der Menſchenliebe, gaffe iedem der mir begegnet ins Geſicht, ſpekulir und ſimulir ein langes und breites daruͤber, und ein andrer, der vielleicht nicht weiß daß eine Phyſiognomik exiſtirt, uͤbt unterdeſſen die Menſchenliebe thaͤtig aus. Bin ich nicht der ſtolze Phariſaͤer, der die Theorie des Guten vor ſich herpoſaunen laͤßt, dahingegen der beſſre Praktikus, der barmherzige Sa- mariter, Oel in die Wunden troͤpfelt, ohne eines Studiums zu beduͤrfen, welches das Herz erſt zur Menſchenliebe ermuntere. Als uns die drey Bauerdirnen begegneten, dacht ich weiter nichts dabey als drey Alletagsge- ſichter und ritt voruͤber. Johannes Fiſcher aber beſchaute nicht ihre Lineamenten, ſon- dern die ſchweren Buͤrden Holz auf ihren Ruͤcken, und den tiefen kothigen Weg den ſie

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/275>, abgerufen am 25.11.2024.