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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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Sie. Das haben Sie, wenn Sie mich
zur weiblichen Kunstgenossenschaft zählen,
bereits entschieden.

Jch. Jch gestehs, ein Gesicht wie dieses,
noch dazu mit einer so empfehlenden Jnter-
pretation, hat viel anziehendes, und ied-
wedes Frauenzimmer, das nicht an die
strenge Gelübde der Tochter Jephta gebun-
den ist, -- Jncidenter! ich geselle mich
nicht zu der exegetischen Würgerzunft, die
das arme Mädchen unbarmherzig abschlach-
tet, sondern zu den mildern Auslegern,
die dafür halten, sie habe nolens volens
eine ewige Keuschheit geloben müssen.
Denn wie würde sichs schicken, wenn die
Tochter eines Helden, drey Tage lang zag-
haft um ihr Leben hätte weinen wollen?
Das hätt' ihr wenig Ehre gebracht, und
der Vater würd ihr zu einer so unedlen
Klage auch keine dreytägige Frist verstattet,
sondern in der ersten Stund' ihr den Hals

abge-

Sie. Das haben Sie, wenn Sie mich
zur weiblichen Kunſtgenoſſenſchaft zaͤhlen,
bereits entſchieden.

Jch. Jch geſtehs, ein Geſicht wie dieſes,
noch dazu mit einer ſo empfehlenden Jnter-
pretation, hat viel anziehendes, und ied-
wedes Frauenzimmer, das nicht an die
ſtrenge Geluͤbde der Tochter Jephta gebun-
den iſt, — Jncidenter! ich geſelle mich
nicht zu der exegetiſchen Wuͤrgerzunft, die
das arme Maͤdchen unbarmherzig abſchlach-
tet, ſondern zu den mildern Auslegern,
die dafuͤr halten, ſie habe nolens volens
eine ewige Keuſchheit geloben muͤſſen.
Denn wie wuͤrde ſichs ſchicken, wenn die
Tochter eines Helden, drey Tage lang zag-
haft um ihr Leben haͤtte weinen wollen?
Das haͤtt’ ihr wenig Ehre gebracht, und
der Vater wuͤrd ihr zu einer ſo unedlen
Klage auch keine dreytaͤgige Friſt verſtattet,
ſondern in der erſten Stund’ ihr den Hals

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[203/0211] Sie. Das haben Sie, wenn Sie mich zur weiblichen Kunſtgenoſſenſchaft zaͤhlen, bereits entſchieden. Jch. Jch geſtehs, ein Geſicht wie dieſes, noch dazu mit einer ſo empfehlenden Jnter- pretation, hat viel anziehendes, und ied- wedes Frauenzimmer, das nicht an die ſtrenge Geluͤbde der Tochter Jephta gebun- den iſt, — Jncidenter! ich geſelle mich nicht zu der exegetiſchen Wuͤrgerzunft, die das arme Maͤdchen unbarmherzig abſchlach- tet, ſondern zu den mildern Auslegern, die dafuͤr halten, ſie habe nolens volens eine ewige Keuſchheit geloben muͤſſen. Denn wie wuͤrde ſichs ſchicken, wenn die Tochter eines Helden, drey Tage lang zag- haft um ihr Leben haͤtte weinen wollen? Das haͤtt’ ihr wenig Ehre gebracht, und der Vater wuͤrd ihr zu einer ſo unedlen Klage auch keine dreytaͤgige Friſt verſtattet, ſondern in der erſten Stund’ ihr den Hals abge-

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/211>, abgerufen am 27.11.2024.