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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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der Gegner geschlagen, und die geschnürten
Mädchen so geschmackloß und widernatür-
lich befunden, als der selge Winkelmann
den verhunzten und schäbigten Kontur der
griechischen Buchstaben, seit dem Zeitalter
des Robert Stephanus. Es ist kein Licht
und Schatten mehr, sprach ich oft, im
ganzen weiblichen Körper: die fast unmerk-
liche Hebung und Senkung, Schwellung
und Vertiefung, welche den Buchstaben die
Grazie giebt, theilt solche auch der Ober-
fläche des menschlichen Körpers mit.
Wenn alles gerad und eben ist wie ein
Bret, oder der weibliche Leib in einen
fischbeinern Trichter eingepreßt wird, daß
er das Ansehen eines abgestümpften Kegels,
oder eines umgekehrten Zuckerhutes ge-
winnt: so schwindet alle Lieblichkeit und
Anmuth davon. Warum ahmt doch das
weibliche Geschlecht, durch Aufblehung der
Hüften mit Poschen und Reiffen, und Ver-

dünnung
N

der Gegner geſchlagen, und die geſchnuͤrten
Maͤdchen ſo geſchmackloß und widernatuͤr-
lich befunden, als der ſelge Winkelmann
den verhunzten und ſchaͤbigten Kontur der
griechiſchen Buchſtaben, ſeit dem Zeitalter
des Robert Stephanus. Es iſt kein Licht
und Schatten mehr, ſprach ich oft, im
ganzen weiblichen Koͤrper: die faſt unmerk-
liche Hebung und Senkung, Schwellung
und Vertiefung, welche den Buchſtaben die
Grazie giebt, theilt ſolche auch der Ober-
flaͤche des menſchlichen Koͤrpers mit.
Wenn alles gerad und eben iſt wie ein
Bret, oder der weibliche Leib in einen
fiſchbeinern Trichter eingepreßt wird, daß
er das Anſehen eines abgeſtuͤmpften Kegels,
oder eines umgekehrten Zuckerhutes ge-
winnt: ſo ſchwindet alle Lieblichkeit und
Anmuth davon. Warum ahmt doch das
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[193/0201] der Gegner geſchlagen, und die geſchnuͤrten Maͤdchen ſo geſchmackloß und widernatuͤr- lich befunden, als der ſelge Winkelmann den verhunzten und ſchaͤbigten Kontur der griechiſchen Buchſtaben, ſeit dem Zeitalter des Robert Stephanus. Es iſt kein Licht und Schatten mehr, ſprach ich oft, im ganzen weiblichen Koͤrper: die faſt unmerk- liche Hebung und Senkung, Schwellung und Vertiefung, welche den Buchſtaben die Grazie giebt, theilt ſolche auch der Ober- flaͤche des menſchlichen Koͤrpers mit. Wenn alles gerad und eben iſt wie ein Bret, oder der weibliche Leib in einen fiſchbeinern Trichter eingepreßt wird, daß er das Anſehen eines abgeſtuͤmpften Kegels, oder eines umgekehrten Zuckerhutes ge- winnt: ſo ſchwindet alle Lieblichkeit und Anmuth davon. Warum ahmt doch das weibliche Geſchlecht, durch Aufblehung der Huͤften mit Poſchen und Reiffen, und Ver- duͤnnung N

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/201>, abgerufen am 22.11.2024.