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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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"Es mag wohl so seyn; indessen wie
ich gegenwärtig gestellt bin, ist mirs so un-
möglich gegen den Strohm meiner Ueber-
zeugung zu schwimmen, als in die Wolken zu
fliegen. Und ich begreifs auch nicht, wie
Menschen von Menschen anders denken kön-
nen als ich. Die mich eines andern beleh-
ren wollen, denen wünscht' ich meine Er-
fahrung."

Ein wohlgemeinter Wunsch! der zum
Glücke so wenig haftet, als die Wünsch'
am Neujahrstag. Jch mag Sie nicht be-
lehren Freund! will Jhnen dennoch meine
unvorgreifliche Meinung von der Sach nicht
vorenthalten. Es ist mit der Gesichtsdeu-
tung gerad wie mit der Schriftauslegung;
die Schrift ist nun bald zweytausend Jahr
erklärt, ist des Forschens und Spähens
noch kein End, wird hinein und heraus er-
klärt werden, biß ans Ende der Welt, was
die Ausleger nach Maaßgab der Sitten,

Zeiten

„Es mag wohl ſo ſeyn; indeſſen wie
ich gegenwaͤrtig geſtellt bin, iſt mirs ſo un-
moͤglich gegen den Strohm meiner Ueber-
zeugung zu ſchwimmen, als in die Wolken zu
fliegen. Und ich begreifs auch nicht, wie
Menſchen von Menſchen anders denken koͤn-
nen als ich. Die mich eines andern beleh-
ren wollen, denen wuͤnſcht’ ich meine Er-
fahrung.“

Ein wohlgemeinter Wunſch! der zum
Gluͤcke ſo wenig haftet, als die Wuͤnſch’
am Neujahrstag. Jch mag Sie nicht be-
lehren Freund! will Jhnen dennoch meine
unvorgreifliche Meinung von der Sach nicht
vorenthalten. Es iſt mit der Geſichtsdeu-
tung gerad wie mit der Schriftauslegung;
die Schrift iſt nun bald zweytauſend Jahr
erklaͤrt, iſt des Forſchens und Spaͤhens
noch kein End, wird hinein und heraus er-
klaͤrt werden, biß ans Ende der Welt, was
die Ausleger nach Maaßgab der Sitten,

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[82/0082] „Es mag wohl ſo ſeyn; indeſſen wie ich gegenwaͤrtig geſtellt bin, iſt mirs ſo un- moͤglich gegen den Strohm meiner Ueber- zeugung zu ſchwimmen, als in die Wolken zu fliegen. Und ich begreifs auch nicht, wie Menſchen von Menſchen anders denken koͤn- nen als ich. Die mich eines andern beleh- ren wollen, denen wuͤnſcht’ ich meine Er- fahrung.“ Ein wohlgemeinter Wunſch! der zum Gluͤcke ſo wenig haftet, als die Wuͤnſch’ am Neujahrstag. Jch mag Sie nicht be- lehren Freund! will Jhnen dennoch meine unvorgreifliche Meinung von der Sach nicht vorenthalten. Es iſt mit der Geſichtsdeu- tung gerad wie mit der Schriftauslegung; die Schrift iſt nun bald zweytauſend Jahr erklaͤrt, iſt des Forſchens und Spaͤhens noch kein End, wird hinein und heraus er- klaͤrt werden, biß ans Ende der Welt, was die Ausleger nach Maaßgab der Sitten, Zeiten

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/82>, abgerufen am 22.11.2024.