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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

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ein ehrlicher Kerl; dagegen behaupt ich nun
auch zu Gunsten meines Schäfers des Mar-
kus, daß Einer der aussieht wie 'n Schurke,
dennoch die ehrlichste Haut unter der Sonn'
seyn kan. Wie's aber dennoch ein seltener
Fall ist, daß Einer durchs Aderlassen ein
Bein verliehrt, zumal wenn er einen guten
Tag wählt; sondern vielmehr die Opera-
tion an einem guten Tage dem Blutlasser
auch wohl bekommt, und mithin das Ader-
laßtäflein in den mehresten Fällen zutrift:
so trift auch die Gesichtsdeutung gemeinig-
lich zu, daß der brave Kerl das Testimo-
nium seiner Rechtschaffenheit an der Phy-
siognomie aufweisen kan, so wie der Gal-
gendieb den Steckbrief vor der Stirn trägt. --
Wahrlich Herr! das hätt ich beym ersten
Jmbiß im Walde, Jhnen nicht angesehn,
daß Sie der seyn würden, der meinen Glau-
ben an Lavaters physiognomischen Confes-
sion würd wankend machen. Dafür kan

ich

ein ehrlicher Kerl; dagegen behaupt ich nun
auch zu Gunſten meines Schaͤfers des Mar-
kus, daß Einer der ausſieht wie ’n Schurke,
dennoch die ehrlichſte Haut unter der Sonn’
ſeyn kan. Wie’s aber dennoch ein ſeltener
Fall iſt, daß Einer durchs Aderlaſſen ein
Bein verliehrt, zumal wenn er einen guten
Tag waͤhlt; ſondern vielmehr die Opera-
tion an einem guten Tage dem Blutlaſſer
auch wohl bekommt, und mithin das Ader-
laßtaͤflein in den mehreſten Faͤllen zutrift:
ſo trift auch die Geſichtsdeutung gemeinig-
lich zu, daß der brave Kerl das Teſtimo-
nium ſeiner Rechtſchaffenheit an der Phy-
ſiognomie aufweiſen kan, ſo wie der Gal-
gendieb den Steckbrief vor der Stirn traͤgt. —
Wahrlich Herr! das haͤtt ich beym erſten
Jmbiß im Walde, Jhnen nicht angeſehn,
daß Sie der ſeyn wuͤrden, der meinen Glau-
ben an Lavaters phyſiognomiſchen Confeſ-
ſion wuͤrd wankend machen. Dafuͤr kan

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[80/0080] ein ehrlicher Kerl; dagegen behaupt ich nun auch zu Gunſten meines Schaͤfers des Mar- kus, daß Einer der ausſieht wie ’n Schurke, dennoch die ehrlichſte Haut unter der Sonn’ ſeyn kan. Wie’s aber dennoch ein ſeltener Fall iſt, daß Einer durchs Aderlaſſen ein Bein verliehrt, zumal wenn er einen guten Tag waͤhlt; ſondern vielmehr die Opera- tion an einem guten Tage dem Blutlaſſer auch wohl bekommt, und mithin das Ader- laßtaͤflein in den mehreſten Faͤllen zutrift: ſo trift auch die Geſichtsdeutung gemeinig- lich zu, daß der brave Kerl das Teſtimo- nium ſeiner Rechtſchaffenheit an der Phy- ſiognomie aufweiſen kan, ſo wie der Gal- gendieb den Steckbrief vor der Stirn traͤgt. — Wahrlich Herr! das haͤtt ich beym erſten Jmbiß im Walde, Jhnen nicht angeſehn, daß Sie der ſeyn wuͤrden, der meinen Glau- ben an Lavaters phyſiognomiſchen Confeſ- ſion wuͤrd wankend machen. Dafuͤr kan ich

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/80>, abgerufen am 22.11.2024.